Das neue Gentechnikgesetz in Australien

Landwirtschaft

Australien definiert Gentechnik nach Prozessen

Der 07. Juni war der bislang heißeste Tag 2019 in der Berliner Wilhelmstraße. Im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fand das „Forum Neue Molekularbiologische Techniken“ statt. In der Öffentlichkeit wird nach Ministerin Julia Klöckner zumeist um ethische Fragen diskutiert. Das Forum sollte den Inhalt wieder auf den Tisch bringen. Seit mit der „molekularen Schere“ sowohl in der Humanmedizin als auch in der Landwirtschaft neue Optionen entstanden sind und sich sehr schnell weiterentwickeln, ist eine Statusdebatte über den Umgang mit neuen Techniken mehr als sinnvoll.

Züchtungsgeschichte im Schnelldurchgang

Züchtungstechnisch gesehen hat die Menschheit die Selektion nach Augenmaß und zufälligen Verbesserungen seit Jahrtausenden zurückgelassen und kann heute eindeutige und messbare Zuchtziele definieren. Der Weg ist lang und Erkenntnisse, dass äußere Einwirkungen Mutationen hervorrufen können gibt es erst seit rund 100 Jahren. Erbgutverändernde Strahlen und Chemikalien werden in der Pflanzenzüchtung seit den 1930er Jahren angewandt, haben heute mehr als 3.000 Sorten auf den Markt gebracht und stehen in der Öffentlichkeit nicht in der Kritik - weil sie nicht bekannt sind. 

Für die Züchter war die geschmackskonservierende Tomate Anfang der 1990er Jahre die erste „professionelle Pflanze“ auf der Basis der so genannten „alten Gentechnik“. Diese stand bald zumindest im grünen Bereich unter heftiger Kritik, während sie im roten Bereich der Humanmedizin längst ihren individuellen Nutzen entfaltet.

Was kritisiert die Kritik eigentlich genau?

Ob sich die Kritik an der Gentechnik auf die Züchtungstechnik selbst oder nicht vielmehr an den damit verbundenen Geschäftsmodellen entzündet ließ sich bis zur Genschere nicht immer unterscheiden. Das Genom Editing (GE), CRISPR/Cas und Co., versprechen zielgenauere Mutationen, keine genetischen Veränderungen gegenüber natürlichen Mutationen, sofern keine Fremdgene eingesetzt werden und vor allem eine Demokratisierung der Züchtung, weil GE preiswerter ist und auch von Kleinbauern selbst umgesetzt werden kann.

Obwohl sich auf Seite der Wissenschaft viel getan hat, machen es sich Kritiker wie der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) einfach und halten an der Formel „Gentechnik als Gentechnik regulieren“ fest. „Heute wurde erneut deutlich: CRISPR und Co. sind Gentechnik und müssen deshalb mit dem Gentechnikrecht reguliert werden. Nur das schützt die legitimen Interessen der Bürgerinnen, der Umwelt und der Wirtschaft“, sagte Friedhelm von Mering am Freitag.

Neues Referenzsystem ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). In Spanien wird GVO-Mais seit mehr als 20 Jahren Horrorfrei angebaut und Wissenschaftler an europäischen Universitäten wie Wageningen sind bereits in die USA ausgewandert, weil selbst das Bekenntnis, an GE forschen zu wollen, einen Makel verleiht.

Stillstand stirbt aus

In der gesellschaftlichen Debatte ist es wie in der Evolution: Was nicht in der Lage ist, sich veränderten Bedingungen anzupassen, stirbt aus. Die Gentechnik, alt wie neu, kann nuri n einer monopolisierten Wirtschaftsgesellschaft als einzige für die Suche nach künftigen Lösungen wirken. Heute gibt es keinen ernstzunehmenden Wissenschaftler, der GE nicht als nur einen Bauteil für die Saatgut-Sorten der Zukunft ansieht. Der Zeitraum für einen Züchtungsfortschritt wird nahezu halbiert.

Die von der Böll-Stiftung im Sonderheft Gentechnik in diesem Jahr erneut vorgestellten Narrative der neuen Züchtungsmethoden sind als Ernährungsframe, Natürlichkeitsframe und Demokratisierungsframe verzeichnet. Die Identifikation eines Frames bedeutet nicht, dass dieser negativ sein muss. Die Aufführung der Frames im Gesamtkontext der Böll-Ausgabe lässt aber kaum einen positiven Blick zu.

Dass die Frames nicht zwingend falsch sind, zeigt deren Aufzählung in den vorliegenden Absätzen. Komplett wird die Aufzählung der Narrative nur durch die Frames der Gentechnikkritiker. So ist der „Angstframe“ vor dem Hintergrund des Anthropozäns sicherlich zu relativieren. Auch der „Rettungsframe“ muss neu definiert werden. Ohne Frage kann der ökologische Landbau zehn und mehr Milliarden Menschen ernähren. Aber nur, wenn sich auf der Verbraucherseite die Kostzusammensetzung deutlich verändert. Sonst bleibt dem Ökolandbau, wie in den letzten Dekaden zu sehen ist, nichts anderes übrig, als den statischem Konsum grün einzufärben. Ohne vorausgehende Ernährungswende hat die Agrarwende keinen Erfolg und an der planetaren Grenze keine Alternative mehr. Im Fokus aber stehen immer wieder die Landwirtschaft, der Landwirt und die Ernährungsindustrie. Konsumenten werden lediglich beiläufig in Richtung neue Konsummuster erinnert. Daraus leitet sich der strategische Fehler ab, ob die Landwirte und die Landwirtschaft wirklich die richtigen Ansatzpunkte für die Kritik sind, oder ob eine vergleichbar empathische Ansprache an die Konsumenten nicht erfolgreicher wäre?

Die Kritik an der Landwirtschaft steht seit Jahrzehnten still. Wie auch die Kritik an der Gentechnik, die ihre alten Argumente aus dem Keller entstaubt und aufpoliert.  „Die Gentechnik“ hat sich in der Zwischenzeit sehr deutlich geändert. Endprodukte mit Hilfe neuer Technologieverfahren sind von natürlich vorkommenden Mutationen nicht mehr zu unterscheiden. Hinter dem Begriff Genom Editing steht schließlich eine ganze Methodenfamilie, die mitunter weit miteinander verwandt sind: TALEN, ZNF, ODM sowie CRISPR/Cas sind verschiedene Verfahren hinter dem Begriff Genom Editing [1]. Es gibt Verfahren ohne Fremdgene. Mittlerweile reicht bereits ein Basenaustausch, bevor das Gen zum Gen für ein Potein wird.

Die Ausweitung neuer Methoden hat zu keinen neuen Frames bei den Kritikern geführt. Die statische Losung „Gentechnik bleibt Gentechnik“ verhindert die eigene Meinungsbildung von Konsumenten (Fahrlässigkeitsframe).

Es helfen keine einfachen Lösungen

Das BMEL-Forum ist zumindest ein mutiger Schritt, in einem umfassenden Akteursumfeld eine Diskussion neu zu starten. Während die USA sich liberal zeigen und alle GE-Verfahren nicht der Gentechnikregulierung unterwerfen, bleibt die EU zuletzt mit Hilfe des Gerichtsspruches des Europäischen Gerichtshofes konsequent restriktiv.

In einem langen Prozess haben sich die Australier auf den Weg zu einer differenzierten Sichtweise durchgerungen und waren bereits vor einem Jahr schon sehr weit. Dr. Peter Thygesen vom australischen Gesundheitsministerium stellte Ende Juni 2018 die australischen Ziele auf der OECD-Konferenz zum Genom Editing in Paris vor. Also spätestens seit einem Jahr ist der australische Weg auch in den Fachministerien Europas bekannt. Das Regulierungsgesetz Australiens wurde 2000 geschrieben, definiert die Regeln und Ausnahmen. Schon 2000 wurde festgelegt, dass Organismen nicht als gentechnisch verändert gelten, sofern die abgebende und empfangene Art die gleiche ist. Also nur Eigen-DNS verwendet wird. Solche Definitionen sind nach wissenschaftlichem Erkenntnissgewinn durch die neuen Züchtungsverfahren überholt, weswegen sich Australien für eine Neudefinition stark gemacht hat. Im Oktober 2019 tritt die Neufassung des australischen Gentechnikrechtes in Kraft tritt. Die Australier haben nicht nur den Blick auf den Züchtungsprozess gelegt, sondern auch Klarheit in der Risikoanalyse verlangt. Weder die Wissenschaft, noch die staatlichen Regulierungen, die Risikobewertung und auch Gerichtsurteile waren auf das Erscheinen der GE ausgelegt. Vor einem Jahr war der australische Stand der Dinge, dass eine transgene Mutation mit Fremdgenen nach wie vor der Gentechnikregulierung im alten Maßstab unterliegt. „Reparatur“methoden (SDN2 und ODM) gelten als günstigstenfalls ambivalent, während die Mutagenese und natürliche Mutation frei von Regulierungen sind.

Die australische Motivation für die Neufassung ist das Schließen von unklaren Definitionen, wie sie allerdings auch in der EU bereits vorliegen. Radioaktivität und Chemikalien sind „traditionell“ trotz Gentechnikgesetz erlaubt. Die Prozessbetrachtung der neuen Züchtungsmöglichkeiten ändert nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung des EU-Gentechnikgesetzes mit Regularien und Ausnahmen. Der australische Weg passt die neuen Methoden in die Inkohärenz des Gentechnikgesetzes ein.

Es schafft fallbezogene Klarheit statt genereller Ablehnung. Ab Oktober dieses Jahres gilt, vereinfacht: Das Zerschneiden der DNS sowie die auch die Unterdrückung einzelner Gene im RNAi-Verfahren gelten fortan nicht als Gentechnik. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat die Redaktionsfrist für eine Stellungnahme zum „australischen Weg“ verstreichen lassen.

Richter oder Forscher?

„Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand“, weiß der Volksmund. Wissenschaftler sind nach dem EuGH-Urteil aus allen Wolken gefallen. Haben die Richter ihre Roben gegen den Laborkittel getauscht? Nun, auch ein gegenteiliger Urteilsspruch wiese den Wissenschaftlern keine Unfehlbarkeit zu. Doch angesichts des europäischen Forschungs- und Bewertungsapparates mit Checks und Risikoanalysen und der allgemein gewünschten evidenzbasierten Entscheidungsfindung, irritiert das Urteil aus Luxemburg.

Nach jedem Gerichtsurteil freuen sich immer nur die Gewinner. Das ist der Nachteil gegenüber einer wissenschaftlichen Evidenz. So ist aber auch das EuGH-Urteil alles andere als klar, denn ausgerechnet die Prozess-Produkt-Debatte, die Australien hinter sich hat, wurde ausgeklammert. Der Begriff der Mutagenese bleibt weiterhin ungeklärt, so dass in den Angstframe der Kritiker viele Argumente passen. Aufgrund des Vorsorgeprinzips werden wissenschaftliche Weiterentwicklungen ausgeschlossen.

Deutschland, die EU und Australien

Der Blick nach „Down under“ offenbart wichtigere Unterschiede zwischen dem Alten und dem fünften Kontinent. Schon Ernährungsministerin Ilse Aigner entledigte sich des heißen Stoffes Gentechnik-Forschung durch Verschiebung in das Ressorts des Forschungsministeriums Für die nutzbringenden Vorteile ist das Bundeslandwirtschaftsministerium mit der grünen Gentechnik unterwegs, das Bundesumweltministerium kann sich mit den ausschließlich negativen Folgen befassen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hingegen freut sich grenzenlos. Das kombinierte Wachstum Arzneimittel und Biotechnologie im Gesundheitsbereich hat zuletzt um 13 Prozent zugelegt, wie das Ministerium Mitte Mai aufführte. Innerhalb der Top10-Gruppe der technischen Gebiete legten diese Segmente mit 26.700 europäischen Patentanmeldungen am stärksten zu. Die forschenden Pharmaunternehmen vfa haben mit dem Stand vom 03.05.2018 in Deutschland 247 zugelassene Arzneimittel mit 224 Wirkstoffen, die gentechnisch hergestellt, gezählt [2].

Prozessdiagramm OGTR Australien

Australien hat die gesamte Regulation ressortübergreifend an das „Office oft he Gene Technology Regulator“ (OGTR) übertragen. Das Organigramm für den Arbeitsprozess sieht nicht weniger fragmentiert als die Ressortverteilung in Deutschland aus. Das OGTR arbeitet aber gemeinsam für die an der Gesetzgebung beteiligten Ministerien für Gesundheit und Umwelt. Die Verdunstung des Themas Gentechnik in viele Berliner Ressorts, die sich mangels Schiedsrichter ihre monoargumentative Sichtweise erlauben können, führt in Deutschland zu keinem Ergebnis. Mit Blick auf Brüssel geht mit dem Brexit ein Partner für differenzierende Ansichten verloren.

Eine Neuordnung der gentechnischen Befindlichkeiten in Deutschland wird nicht zwingend zu einseitiger Förderung gentechnisch veränderter Organismen führen. Dies wäre auch falsch. Sie kann aber den Stillstand und die Fehler in der Diskussion verhindern und das Thema ordentlich einordnen (Ehrlichkeitsframe).

Lesestoff:

[1] Der Lesbarkeit halber wurde auf nähere Definition der einzelnen Methoden im Text verzichtet. Eine Übersicht, was sich hinter den Akronymen verbirgt finden Sie beispielsweise beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit  (Anhörung zur Erstellung des Dokumentes inklusive Gentechnikkritiker wie BÖLW und Umweltinstitut München) https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/06_Gentechnik/00_allgemein/Bericht_Neue_Zuechtungstechniken%2023-02-2018.html

[2] Rote Gentechnik: www.vfa.de/gentech

http://www.ogtr.gov.au/internet/ogtr/publishing.nsf/Content/governance-1

Der lange Schatten der Gentechnikdiskussion: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/welche-chancen-hat-genom-editing.html

Japan diskutiert Genom Editing: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/welche-chancen-hat-genom-editing.html

Der nächste Fortschritt: Base Editing: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/welche-chancen-hat-genom-editing.html

Plattform GE: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/dialogplattform-genom-editing.html

EuGH zu GE: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/eugh-urteil-zu-genom-editing.html

BMBF forscht an GE: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bundesforschungsministerium-foerdert-genom-editing.html

BÖLW-Sammlung Gentechnik aus Sicht der ökologischen Landwirtschaft: https://www.boelw.de/themen/gentechnik/landwirtschaft/

Roland Krieg, Grafik: OGTR

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