Das neue Vorsorgeprinzip bei Lebensmitteln
Landwirtschaft
Was noch alles kommt, ist offen
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Dennoch wiederholen sich in der Wirtschaft die Signale und Verhalten, die zu Beginn der Pandemie 2020 eintrafen. Die Preise stiegen und Klopapier wird knapp. Damals wie heute gibt es keinen Grund für Hamsterkäufe. Und dennoch sitzt die Angst tiefer. Mit dem Russlandkrieg trifft Wladimir Putin auch die Kornkammer der Welt. Umso mehr, desto länger Putins Krieg geht. Rund um die Landwirtschaft sind die vielfältigsten Sektoren betroffen: Trotz hoher Weizenpreise fressen die Dieselpreise mögliche Gewinne auf. Die Aussaat bekommt „nur“ den noch bezahlbaren Anteil Dünger, was sich direkt auf das Ertragsniveau auswirkt. Immerhin geht der Deutsche Raiffeisenverband bei Weizen und Raps in seiner ersten Ernteschätzung vergangene Woche von einer durchschnittlichen Ernte aus [1].
Direkten Einfluss hat der Krieg auch auf die Futterversorgung, die sich traditionell aus Grünland und Getreide zusammensetzt. Der heute Nachmittag veröffentlichte Vegetationsbericht der EU-Kommission wird von gut entwickelten Winterbeständen und versorgtem Grünland ausgehen. Aber bei den Monogastriern, wie Schwein und Geflügel, stehen die Betrieben trotz rasant steigender Schlachtpreise vor dem Aus. Das betrifft sowohl den konventionellen als auch den ökologischen Nutztierbereich. Bis Jahresende wird sich zeigen, ob die Politik noch eine Aufforderung zum Fleischverzicht braucht.
Ein großer indirekter Effekt wird die schwer einkalkulierbare Versorgung für Länder sein, die sich auf Agrarohstoffe aus der Schwarzmeerregion verlassen haben. Die negativen Auswirkungen können die Länder über die Ernte 2022 hinaus nicht mehr nur kurzfristig bewältigen, sondern sind auf eine Neugestaltung der Warenströme angewiesen. Saudi-Arabien hat beispielsweise gleich Landflächen in der Ukraine gepachtet, auf denen sie Nahrungsmittel anbauen, die es auf ihrer trockenen Halbinsel niemals geben wird. Welchen Anteil kann die EU als der größte Exporteur von Agrarrohstoffen beisteuern?
Es gibt noch weitere indirekte Effekte, die aktuell im Verborgenen ablaufen. Die Deutschen tanken in Westpolen die Tankstellen leer und im Osten hat Putins Krieg zu privater Bevorratung geführt. Zwischenzeitlich haben die polnischen Tankstellen die Kraftstoffabgabe begrenzt. Da viele polnische Landwirte nur mit kleinen Traktoren unterwegs, müssen diese ihre Frühjahrsarbeiten immer wieder mit dem Besuch an der Tankstelle unterbrechen. Eine Ausnahme vom Dieseldeckel für die Landwirtschaft ist im Gespräch.Ob die Aussaat von Sommerungen in Polen in Gefahr ist, wird sich erst in einigen Wochen zeigen.
Die Union will in dieser Woche den Antrag für die Errichtung eines „Krisenstabes zur Versorgungssicherheit“ in den Bundestag einreichen. Den Begriff „Belastungsmoratorium“ hat die CDU/CSU-Opposition schon länger im Repertoire. Damit ist nicht nur die temporäre Veränderung der Agrarpolitik gemeint, sondern weitergehend die Sorge um wirkliche Engpässe.
Schon im vergangenen Jahr bleiben in den Niederlanden Gewächshäuser wegen der gestiegenen Energiepreise leer. Nach Lilian Heim vom Deutschen Bauernverband geschieht das mittlerweile auch schon in Deutschland, wie sie der Neuen Osnabrücker Zeitung vom Wochenende sagte. Davon betroffen sind Tomaten, Gurken, Topfkräuter und Zierpflanzen, bei denen sich die Bundesbürger an der Freilandsaisonalität inklusive witterungsbedingte Verfügbarkeitsschwankungen gewöhnen sollten.
Lesestoff:
[1] Erste DRV-Ernteschätzung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/erste-drv-ernteschaetzung-2.html
Roland Krieg
© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html