„Das Saatgut des Friedens“

Landwirtschaft

Die Rettung der syrischen Saatgutbank

Im Dunklen liegt das Saatkorn unter der Bodenoberfläche und wartet. Einige Tage oder Wochen, ein Jahr oder mehrere Jahre. Irgendwann benetzt Regenwasser die Samenschale und bei bestimmten Temperaturen quillt das Korn. Die Kraftreserven werden über biochemische Prozesse aktiviert und als zarte Härchen beginnen die Wurzeln den Nährstoffen im Boden entgegenzuwachsen. Der Sproß drängt nach oben, durchbricht die Erdkrume und sammelt über Chloroplasten Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Die Pflanze bildet mit der Glucose den ersten Energiespeicher für verschiedene Stoffwechselkreisläufe. Am Ende steht eine Getreidepflanze wo vorher nur karger Boden war. So wird aus einem Korn eine Ähre mit rund 40 Körnern. Da Weizenpflanzen etwa drei Halme bilden, sind am Ende aus einem Saatkorn rund 120 Getreidekörner geworden. Vermahlen und im Feuer gebacken haben sich weltweit tausende Brotsorten entwickelt, die Menschen als Zeichen der Gastlichkeit teilen.

Wiege der Menschheit

Als die Menschen die Savannen Afrikas verließen war es noch nicht soweit. Sie zogen nordostwärts, wohl den Nil entlang und gelangten nach Kleinasien. Paul Salopek wanderte den Pfad der Eroberung der Welt bis zum letzten Winkel in Feuerland nach. Der vierte Teil seiner Reisebeschreibung [1] führte ihn in das Grenzgebiet Syriens und der Türkei. Er besuchte den Oylum Höyük, einen von Menschen aufgeschütteten Berg, der heute zur Türkei gehört. Damals lag er mitten im Fruchtbaren Halbmond, jenem Gebiet, in dem viele das Paradies verorten. Die ältesten menschlichen Spuren sind 9.000 Jahre alt und künden von der neolithischen Revolution, als der Mensch vom Beerensammler zum ersten Getreidewirt überging. (Auf dem Foto sehen sie syrische Gerste)

Heute sind große Teile Kleinasiens karg. Siedlungsreste verkünden, dass die Region seit 9.000 Jahren vielfach Kriege hat erleben müssen. Doch das Trauerspiel im heutigen Syrien findet in einer anderen Dimension statt. Die Reintegration vertriebener Menschen und der Wiederaufbau des Landes und der Region werden den Globus noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Trockenregionen

Weiter südlich von Oylum Höyük liegt Tel Hadya. Es ist ein Ortsteil von Aleppo und Sitz des International Center for Agricultural Research in the Dry Areas (ICARDA). Im Jahr 2012 mussten die Forscher wegen des Bürgerkriegs den Ort verlassen und haben das Büro in den Libanon verlegt. Und sie haben es etwas Unbezahlbares mitgenommen: Die Genbank für Pflanzen in Trockenregionen.

Rund 41 Prozent der Welt mit 2,5 Milliarden Menschen werden zu den Trockenregionen gezählt. 16 Prozent davon leben in Armut. Trotz der schwierigen Bedingungen wächst dort die Bevölkerung. Vor allem in Städten. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist groß und erreicht Werte bis zu 80 Prozent. Der Niederschlag ist gering und unregelmäßig und begrenzt die landwirtschaftliche Produktion am meisten. Desertifikation und Verlust an Biodiversität sind hoch.

Dennoch wird Landwirtschaft betrieben. Dr. Mahmoud Solh ist Generaldirektor von ICARDA und begann vor 40 Jahren mit dem Sammeln lokaler Pflanzenarten. Heute umfasst die Genbank 148.000 Proben Weizen, Hafer, Gerste, Bohnen, Klee, Linsen und Medizinalpflanzen. Viele der ersten Sorten werden von den Landwirten heute nicht mehr angebaut, berichtet er Herd-und-Hof.de. Diese Genbank ist kein überdimensionaler Kühlschrank, sondern wird in situ oder gar on farm erhalten und gepflegt [2]. Die Pflanzenzüchter kennen die Pflanzen daher genau, was nicht nur die Landwirte in den Trockenregionen zu schätzen wissen. Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) und selbst Züchterin weiß das zu schätzen. In Deutschland verbreitete sich im letzten Jahr der Gelbrost im Weizen. Auf der Suche nach resistenten Sorten braucht sie keinen nüchternen Katalog, sondern Erfahrungen, welche Pflanzen am ehesten diesen Pilzen widerstehen können. Das wissen Dr. Solh und seine Kollegen. Sie bieten interessierten Pflanzenzüchtern gleich ein Päckchen mit möglichem Saatgut an, das seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen kann.

Vielfalt gesichert

Aus dem Land, in dem wütende Schergen historische Zeugnisse von mannigfaltiger Kultur zerstören, hat Dr. Solh die genetische Vielfalt der Genbank retten können und wurde von der Gregor-Mendel-Stiftung am Donnerstag in Berlin mit ihrem Innovationspreis 2015 ausgezeichnet. Dr. h.c. Peter Harry Carstensen, Vorsitzender der Kuratoriums, hält Dr. Solh für einen sehr würdigen Preisträger, der von Afghanistan bis Marokko Saatgut zusammengetragen hat.

Doch während in Deutschland und Westeuropa seltene Pflanzen in privaten Kleingärten und Botanischen Museen überdauern, fehlt diese Infrastruktur in den Trockenregionen. Solh wanderte beispielsweise in Afghanistan sechs Wochen lang über die Felder. Die alten Sorten überleben wegen ihrer Standortangepasstheit an manchen Feldrändern oder im abseitigen Gelände. Ein scharfer Blick und große Kenntnisse über die Phänotypen einzelner Pflanzen gehören zu den wichtigsten Eigenschaften des Saatgutsammlers.

Zwar bauen die meisten Menschen in den Trockenregionen heute „moderne“ Sorten mit Höchsterträgen an. Doch erfordert der Klimawandel Pflanzen mit neuen Eigenschaften: Krankheitsresistenter, toleranter gegen Wasserknappheit und Salz sowie robust gegen höhere Sonneneinstrahlung. Wer weiß, was 9,5 Milliarden Menschen, die 2050 auf der Erde wohnen, noch alles brauchen?

Resiliente Gesellschaft

Der Gegensatz zwischen Zerstörung im syrischen Bürgerkrieg und Bewahrung alter Pflanzensorten war das stärkste Motiv für die diesjährige Auswahl. Es zog sich bis zur Festrede von Bundeslandwirtschafts-minister Christian Schmidt wie ein roter Faden durch die Veranstaltung. „Wissen und Forschung werden wichtiger denn je“, sagte Schmidt. Die Pflanzenzüchtung sichert die Basis der Welternährung vor dem Hintergrund wechselnder Umweltbedingungen.

Gerade in den Trockenregionen wird das heute sichtbar. Einer der Begleitursachen für den Bürgerkrieg in Syrien war die sechsjährige Dürre seit 2006. Das hat die Menschen vermehrt in die Stadt getrieben und die Unzufriedenheit anwachsen lassen, sagte Dr. Solh. Das gilt derzeit für den gesamten arabischen Raum, wo Jugendarbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit anfällig für Radikalismus jeglicher Art machen. Der ländliche Raum braucht für seine Entwicklung neben einer starken Infrastruktur eine funktionierende Landwirtschaft, mit der die Bauern auch Gewinne erzielen. Resilientes Saatgut ist die Basis für eine resiliente Gesellschaft.

Bedeutung der Pflanzenzucht

Daher komme der Pflanzenzucht eine wachsende Bedeutung zu. Vormals haben die Menschen Pflanzen genutzt, die von der Natur aus selektiert und „gezüchtet“ wurden. Heute und vor allem morgen sind es die Menschen die Pflanzenzucht aktiv betreiben, betont Dr. Solh.

Die Landwirte in den Entwicklungsländern haben nach Stephanie Franck ein ungetrübteres Verhältnis zur Pflanzenzüchtung. Vor allem in Deutschland ist das anders. Am Mittwoch stritten sich im Bundestag Abgeordnete über die neue Rapslinie, die von der Firma Cibus mittels „Rapid Trait Development System“ (RTDS) hergestellt wurde, und im Februar eine Zulassung vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bekam. Diese Methode gehört zu zahlreichen neuen Zuchtverfahren, die laut Gentechnikgesetz nicht unter die grüne Gentechnik fallen. Das Verfahren ist derzeit bei der EU in der Prüfung und wird bereits vorverurteilt. Eine Klage gegen die Zulassung wurde Anfang des Monats gegen die BVL gestellt.

In Kurzform geht es beim RTDS-Verfahren um einen synthetische nachgebauten DNS-Abschnitt, der in die Pflanze eingebaut wird und beispielsweise Blüten weiß statt rot färbt. Beim Raps geht es um eine Herbizidresistenz. Pflanzen aus vergleichbarer Züchtungstechnik sind seit Jahren im Anbau [3].

Die Diskussionen gehen immer weiter und sind von den meisten Verbrauchern kaum noch nachvollziehbar. Wie es das „CMS-Verbot“ im Ökobereich [4]. Die Pflanzen sind nicht gesundheitsgefährlich, wie die Ökobranche ausdrücklich betont, das Verbot aber bringt eine Diskussion durcheinander, bei der die wenigsten auf Grundkenntnisse zurückgreifen können. Wie würde Gregor Mendel, der seine Kreuzungsexperimente mit Erbsen mit systematischem Denken durchführte, das bewerten, fragte Christian Schmidt.

Schmidt sprach aber auch von der Verantwortung von Wissenschaftlern, die ständig auf der Reise sind und niemals ankommen. Es bleibt zu hinterfragen, ob Nutzpflanzen gezüchtet werden sollen, die Herbizide überstehen können. Sinnvoller scheint die Auswahl auf Pflanzen zu sein, die ihre Stomata schneller schließen und Wasser sparen können [5].

Schlüssel Verbraucherwissen

Pflanzenzüchterin Franck geht pragmatisch vor: „Wie müssen wissen, was wir wollen.“ Geringe Inputs, Ressourcen schonen, eine umweltfreundliche Landwirtschaft und den Bedürfnisse des Verbrauchers gerecht werden – das alles steht zur Auswahl. Wenn Verbraucher irgendetwas nicht wollen, könne niemand marktwirtschaftlich oder demokratisch dagegen produzieren. Die Konsumenten sind aber weit weg von der Produktion in der Landwirtschaft und die Pflanzenzucht wird heute als „gefühlte Manipulation“ aufgefasst. Bedenklich sei es schon, so Franck zu Herd-und-Hof.de, dass, nachdem die „Gentechnik tot“ diskutiert sei, weitere Züchtungsmethoden hinterfragt werden.

Lesestoff:

www.icarda.org

www.gregor-mendel-stiftung.de

[1] Out of Eden Walk, Teil 4 National Geographic, März 2015

[2] Klimawandel braucht Nutzpflanzenvielfalt

[3] Pflanzenschutz und Sorte im Doppelpack

[4] BNN will CMS-freies Saatgut

[5] Gentechnik: Sicherheitsforschung und Forschungsallianz

Roland Krieg, Fotos: roRo

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