DBV-Milchforum in Berlin

Landwirtschaft

Wie krank sind die Molkereigenossenschaften?

Milchforum

Nach zwei Jahren Milchkrise und Preiserholung 2017 gehen die Preise wieder runter. Die Pleite der Berliner Milcheinfuhrgesellschaft (B.M.G.) hat neuen Zündstoff in den Milchmarkt gebracht. Der größte Milchhändler Deutschland mit einem Handelsvolumen von 950 Millionen kg Milch hat bis zuletzt die finanzielle Schieflage verschwiegen und vor rund zehn Tagen die Milchbauern von der Nordsee bis Bayern vor vollendete Tatsachen gestellt. Am Donnerstag gab es auf dem Milchforum des Deutschen Bauernverbandes (DBV) beruhigende Nachrichten: Die Bauern sind bislang ihre Milch an andere Molkereien los geworden, niemand blieb auf seiner Milchmenge sitzen und einige haben schon neue Lieferverträge unterzeichnet. Für die Molkereien ist das alles andere als selbstverständlich. Heinz Korte vom Deutschen Milchkontor (DMK) bestätigt, dass die neue Liefermenge derzeit keine Vermarktungsmöglichkeit hat. Auch Christian Schramm von der Privatmolkerei Zott gibt an, dass zwischen 10 und 20 kg Milch überwiegend an andere Milchhändler vermittelt werden konnten.

Die B.M.G. hat Schulden in Millionenhöhe, was offenbar aus einer Mischung von unternehmerischem Fehlverhalten und Marktversagen resultiert.

Aufholbedarf

Die Insolvenz kommt laut, aber nicht überraschend. Eine Studie der HSH Nordbank weist bei den Genossenschaften systematische Defizite aus. Für die Milchbauern hat die Abnahmegarantie Vorteile und bietet Sicherheit, erklärt Analyst Volker Brokelmann. Die Fokussierung auf den Massenmarkt aber hat bei den Genossenschaften zu einer „defensiven Wettbewerbssituation“ geführt, bei der die Wertschöpfung als Schlüssel für den unternehmerischen Erfolg brach liege. Das resultiert bei hohem Milchaufkommen in niedrigen Preisen und zu Unzufriedenheit bei den Milchbauern. Aktuell liegt der Rohstoffwert der Milch sogar sieben Cent unter dem Auszahlungspreis von durchschnittlich 36 Cent. Die Milchmenge liegt zwei Prozent über dem Niveau von 2015. Die Intervention helfe nicht und drückt mit rund 370.000 Tonnen Magermilchpulver auf den Milchpreis.

Volker Brokelmann

Es fehlt nach Brokelmann an einer Verarbeitungsmengensteuerung, wenn die Milchmenge die Verarbeitung übersteigt. Gerade die Genossenschaftsmolkereien sind anfällig für Mengen- und Preisvolatilitäten. Die hohen Mengen haben in der Vergangenheit zur Bedienung des Massenmarktes mit Milchfett und Milcheiweiß geführt, während die Privatmolkereien auf Markenartikel und höher Wertschöpfung setzen. Die genossenschaftlichen Mehrmengen können bei gesättigtem Inlandsmarkt nur über den Export abgesetzt werden und konkurrieren mit anderen „Commodities“. Die Rohertragsmarge bei Genossenschaften liegt 12 Prozentpunkte unter der von Privatmolkereien. Daher gibt es speziell bei den Genossenschaften den Zielkonflikt zwischen Lieferanten und ihrem Wunsch nach kurzfristig höheren Auszahlungspreisen und den Genossenschaften, die langfristig in Produkte mit höherer Wertschöpfung investieren wollen. Die Genossenschaften müssten sich stärker an den Endverbrauchermarkt orientieren, den Dialog mit den Milcherzeugern verbessern, bräuchten eine Lieferkontingentierung, eine regelmäßige Absprache für die Mengenplanung und einen Garantiepreis für die Basismilchmenge.

Immerhin: Brokelmann relativiert sein schlechtes Zeugnis durch den Hinweis, dass die Genossenschaftsmolkereien mit den Hausaufgaben angefangen haben. Doch von einem Ruck, der durch den Milchmarkt geht, kann, abgesehen von der B.M.G. - Pleite, keine Rede sein. Die Milchmenge erkennen alle Beteiligten als Schlüsselelement für eine vernünftige Marktgestaltung an, doch von einer Mengenregulierung sind sie meilenweit entfernt, kritisiert Kirsten Wosnitza vom Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter (BDM). Das sei ein Element der „Mottenkiste“, wie es Milchpräsident Karsten Schmal vom Deutschen Bauernverband sagte, aber gleichzeitig die Intervention befürwortet. Auch das „Herbeireden einer Krise“ habe noch keinen Milchbauern gerettet, so Schmal, aber was genau die noch verbleibenden Erzeuger absichert, bleibt offen. Die Genossenschaften sammeln rund zwei Drittel der deutschen Milch, erzielen aber kaum mehr als die Hälfte der Wertschöpfung. Selbst wenn sich etwas verändert, bleibt die Frage, für welche Milchbauern die Hilfe noch rechtzeitig kommt.

Heinz Korte

„Mehr Wertschöpfung“

Die DMK hat mit Änderungen der Milchlieferbeziehungen begonnen [1]. Die DMK bewege sich vom Massenmarkt weg und bediene neue Segmente wie Heu- oder Weidemilch. Deutschlands größte Molkereigenossenschaft leide noch immer unter der Mengenausdehnung in den letzten Quotenjahren. DMK-Vorstand Ingo Müller hatte auf der Grünen Woche eine Branchenstrategie angekündigt, um Menge und Markt „einigermaßen in klangvolle Töne zu bringen“, so Korte. Die Strategie sei keine Branchenorganisation. Korte verweist auf die bestehende Interessengemeinschaft Milch [2]. Mittlerweile repräsentiert die IG Milch die Hälfte der deutschen Erzeugung. Korte verteidigt die Genossenschaften: „Wir sind sehr wohl in der Lage, die Mengen zu planen.“ Das sei aber genauso wenig Wille der Eigentümer als A-B-Preismodelle. Auf dem Milchmarkt sollten die Unternehmen und nicht der Markt verbessert werden. Statt über Mengen zu reden, sei es sinnhafter, über die ständig neuen Anforderungen an die Milchviehhalter zu reden. Das Ende der Anbindehaltung, die Dünge-Verordnung die Herkunft heimischer Proteinfutter stelle die Landwirte vor größere Investments. Aktuell werde der Mehraufwand bei GVO-freien Milch entlohnt. Aber man müsse darum kämpfen, dass es auch künftig so bleibe.

Josef Moosbrugger

Stabile Menge, stabile Preise

Deutschland und Österreich sitzen beim Milchmarkt im selben Boot, sagte Josef Moosbrugger, Vizepräsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Der Lebensmittelhandel übe seine Marktmacht aus. Ein Branchenverband sei zwar wichtig, aber die Gründung eines neuen Verbandes zur Organisation vorhandener Verbände auch nicht zielführend. Seit Anfang des Jahres gibt es ein Bonus-Malus-System bei den Milchpreisen. Das sei zwar nicht wünschenswert, aber die Landwirte, die ihre Milchmengen ständig ausdehnen, machten das auf Kosten derer, die das nicht tun. Unbestritten führe eine stabile Milchmenge zu stabilen Preisen. Moosbrugger glaubt nicht an eine europäische oder nationale Milchmengenregelung, sondern an eine auf Unternehmensebene. „Auch die Milchbauern müssen lernen, mit dem Markt umzugehen!“ Die Intervention helfe nicht. Das dafür aufgewandte Geld sollte besser in neue Produkte, Forschung und Entwicklung investiert werden. Und: Wenn die privaten Molkereien so viel besser wären, wie es Brokelmann dargestellt hat, würden viel mehr Milcherzeuger den Abnehmer wechseln.

Marcel Renz

Mengen regulieren ohne Mengenregulierung

Die Quadratur des Mengenmanagements heißt, die Menge ohne den Staat regulieren. Der einzige „Nur“-Landwirt auf dem Podium, Marcel Renz von der Erzeugergemeinschaft Milch Bodensee-Allgäu (EMBA) in Wangen weiß, dass die Menge zu regulieren ist. Vor elf Jahren ist er mit anderen Milchbauern aus der Genossenschaft ausgetreten und vermarktet seine Milch jetzt an eine private Molkerei mit hochwertiger Verarbeitung zu Markenprodukten. Molkerei und Lieferanten verträten die gleiche Philosophie. Bei weiteren Organisationen bleibe offen, wie die Landwirte dort mitreden könnten. Im Vordergrund steht für die Produzenten eindeutig der an die Menge gekoppelte Preis. Die im letzten Jahr ausgezahlten 40 Cent hätten den Markt in keiner Weise widergespiegelt. Lehren aus dem Jahr 2017 war der zu geringe Abschlag der Übermilch. Erst bei einer Differenz von 25 zu 40 Cent gehen die schlechten Kühe aus dem Stall und werden Kälber wieder mit Vollmilch getränkt. Preis, Menge und Zeit sind die Schlüsselworte eines vernünftigen Liefervertrages. Doch sei das A/B-Preismodell kein Einstieg in eine staatliche Mengenregelung.

Christian Schramm

Auf das Management kommt es an

Christian Schramm von der Molkerei Zott will die Genossenschaften nicht alle über einen Kamm scheren. Es gebe auch gute Genossenschaften, die mit den Privatmolkereien in einem harten und fairen Wettbewerb stehen. Der grundlegende Unterschied bestehe in der Eigentümerstruktur und im größeren Verständnis der privaten, dass die Milchbauern neben der Milch auch ihre Investitionen entlohnt bekommen. Für Schramm werden bei den Genossenschaften immer wiederkehrende Themen diskutiert, die „das Ganze lähmt“. Bei den Privaten löse der Einkauf die Fragen. Die Politik spiele den Ball immer wieder über den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung an die Genossenschaftsmolkereien zurück, solange diese untätig bleiben. Eine Mengenregulierung habe für den globalen Weltmarkt keinen Einfluss, das selbst die europäischen Nachbarländer in die Lücke springen würden. Vor dem Hintergrund der aktuellen GAP-Diskussion müssten intelligentere Lösungen gefunden werden, weil weder kostspielige Intervention noch Mengenregelung der Bevölkerung dauerhaft zu vermitteln wären. Die privaten Molkereien preschten zwar mit neuen Produkten wie Heu- oder weidemilch vor, verfolgen Milch ohne Glyphosat und GVO, doch blieben diese Produkte auch künftig in einer Nische. Viele Verbraucherfamilien hätten ganz andere Sorgen als hochpreisige Milchprodukte kaufen zu können. Außerdem – weil in der Milch weder Glyphosat noch gentechnisch veränderte Organismen gefunden werden – warnte Schramm die Marktpartner, das wertvolle Lebensmittel gegenseitig schlecht zu machen.

Lesestoff:

[1] Kartellamt stellt Musterverfahren ein: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/kartellamt-stellt-verfahren-gegen-dmk-ein.html

[2] Branchenverband, Interessengemeinschaft oder neue Ideen? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/braucht-die-milchwirtschaft-einen-branchenverband.html

Roland Krieg, Fotos. roRo

Zurück