Der Antibiotika-Komplex
Landwirtschaft
Hohe Tiergesundheit bei wenig Antibiotikaeinsatz
Es
fing klein an: Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium meldete im
Oktober 2010, dass in der Hähnchenmast der Gebrauch von Antibiotika auf 2,3
Anwendungen pro Tier angestiegen ist. Zehn Jahre vorher lag er bei nur 1,7
Anwendungen.
Für
Ministerialdirigent Dr. Arno Piontkowski aus dem nordrhein-westfälischen
Landwirtschaftsministerium begann mit diesem Satz die Vorbereitung einer
eigenen Landesstudie, die sein Ressortchef Johannes Remmel dann im letzten Jahr
vorgestellt hat.
Mit
unterschiedlicher Lautstärke, aber gleichem fachlichen Inhalt, haben die beiden
tierstärksten Bundesländer die Grundlage für das Thema Antibiotika-Einsatz
gelegt, das nicht nur die zurückliegende Internationale Grüne Woche
beherrschte.
Zur
Einbettung des Themas, aber nicht erst durch die Veröffentlichung initiiert,
hat am vergangenen Freitag die Stiftung Tierärztliche Hochschule (TiHo)
Hannover das Thema „Hohe Tiergesundheit bei minimalem Antibiotikaeinsatz“
europaweit diskutiert.
Tierarzneimittel
Mit
Antibiotika ist ein Wachstumsmarkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, der
jährlich 688 Millionen Euro umsetzt und mit 4,2 Prozent wächst. Pharmazeutische
Spezialitäten und Biologika wachsen dabei überdurchschnittlich. Nach Tierarzt
Dr. Gerhardt Kreher aus Brandenburg gehen jedoch die Antiinfektiva um 2,5
Prozent zurück. Rund 700 Tonnen Antiinfektiva werden verschrieben, im
Humanbereich sind es 1.600 Tonnen.
Antibiotika
sind nur ein Teil des Gesamtkomplexes Tiergesundheit. Nach Tim Petersen aus dem
dänischen Landwirtschaftsministerium gehören ausreichende Haltungsbedingungen,
verbesserte Impfstrategien zur Vorsorge, Fütterungsmanagement, gesundes
Tiermaterial und ein ordentliches Hygienemanagement zur Gesunderhaltung der
Tiere dazu.
MRSA und ESBL
Methicillin resistente Staphylococcus aureus (MRSA) werden als „multiresistente Krankenhauskeime“ bezeichnet. Sie rufen bei Menschen Schwächungen des Immunsystems und Blutvergiftungen hervor. Extended spectrum Beta-Laktamasen (ESBL) sind Enzyme von Darmbakterien, die Antibiotika unwirksam machen.
Die Situation
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben im letzten Jahr die Ergebnisse ihrer Studien veröffentlicht1). In den Niederlanden führten Studien zu Reduzierungsplänen, weil die meisten Schweine und Mastkälber fast alle „LA-MRSA in der Nase haben2)“, erläuterte Dik Mevius, Bakteriologe der Universität Wageningen. Sorge haben die Wissenschaftler, weil die EBSL in einem Gentransfer auch in die Salmonellen aufgenommen werden könnten. Dann fände sich ESBL auch in der Nahrungskette. Im Kot weisen alle Masthühnchen ESBL auf. In den konventionellen Betrieben zu 100, in den ökologischen Betrieben zu 84 Prozent. Außerdem bei mehr als jedem zweiten Mastkalb und 11 Prozent der Milchkühe. Nach Dik Mevius ist es offen, ob Geflügel die Quelle von ESBL oder nur ein Teil des Problems ist.
Antibiotika in der Tiergesundheit
Die
Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes ist nach Ansicht von Dr. Gerhard Greif,
Präsident der TiHo, nur ein Teil aller Maßnahmen im Prozess, die Tiergesundheit
zu erreichen. In der Tierhaltung finde mittlerweile ein Wandel statt, nicht
mehr nur den Ertrag, sondern die Tiergesundheit in den Vordergrund zu stellen.
Dr.
Thomas Blaha von der TiHo-Außenstelle Bakum will mit der sachlichen Diskussion
die wertgebenden Eigenschaften von Antibiotika erhalten wissen. Unnütze
Anwendungen erhöhen den Selektionsdruck bei den Erregern für die neue
Wirkstoffe gefunden werden müssten. „Antibiotika sind ein Meilenstein und wir
brauchen sie auch weiterhin“, so Prof. Blaha.
So
können die Veterinäre nicht allen Aspekten der politischen Diskussion folgen.
Die Fachpolitiker kennen die Komplexität der Tiergesundheit, sagte Prof. Greif
zu Herd-und-Hof.de. Manchmal werde allerdings zu schnell eine Verbindung
zwischen der tierärztlichen und der Humanmedizin gezogen. Man dürfe das Thema
nicht zu einem Wahlkampfthema machen, ergänzte Prof. Blaha.
Resistenzen
sind jedoch eine Gefährdung auch für die Verbraucher, führte Dr. Annemarie
Käsbohrer vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) aus. Das BfR und das
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BVL führen daher ein Monitoring der
Resistenzsituationen durch, das kontinuierlich fortgeführt werden müsse. In
einem speziellen Beobachtungsprogramm aus dem Jahr 2010 erforschen Tier- und
Humanmediziner3) gemeinsam die Verbreitung von
antibiotikaresistenten Keimen. Das alles fließe schließlich in eine
Risikobewertung ein, aus der Managementmaßnahmen abgeleitet werden können.
Karten und Benchmarking
Ein
Blick über die Grenzen zeigt, welche Methoden praktiziert werden. In Dänemark
speisen Tierärzte, die Pharmaindustrie und Futtermittelwerke zu
unterschiedlichen Teilen die Verwendung von Medikamenten in die Datenbank
„Vetstat“ ein, erklärte Tim Petersen aus Kopenhagen4). Anhand dieser
seit 2001 geführten Datenbank wird die Menge an verabreichten Antibiotika je
Tiergruppe und Alter identifiziert und mit Hilfe von Schwellenwerten ein
Ampelkartensystem ausgelöst. Überschreitet ein Betrieb festgelegte Werte, dann
hat er nach der „gelben“ Karte neun Monate Zeit, sich wieder auf Normalniveau
zurück zu pendeln. Erreicht der Betrieb das Ziel nicht, dann wird er noch
einmal fünf Monate verschärft überwacht und danach für der Vermarktung so lange
gesperrt, bis sich der Betrieb wieder normalisiert hat. Seit Einführung der
Ampelkarte hat sich der Gebrauch an Antibiotika in Dänemark um 30 Prozent
reduziert. Als langfristigen Effekt weist Petersen aus, dass Betriebe, die
dauerhaft die Standards nicht einhalten können, die Produktion einstellen.
In
den Niederlanden hat der hohe Gebrauch an Antibiotika schon 2008 zu
Überlegungen geführt, die Verabreichung zu senken. Dik Mevius aus Lelystad
berichtete von der Diskussion im Parlament, das konkrete Reduzierungsziele von
20 Prozent bis zum Jahr 2011 und 50 Prozent bis zum Jahr 2050 festgelegt hat.
Die im letzten Jahr gegründete Veterinary Drug Authority wurde beauftragt, die
Ziele zu bemessen und konnte das Erreichen des ersten Schritts vermelden. Die
Behörde hat ebenfalls Schwellenwerte für verschiedene Aktionen festgelegt, wenn
Betriebe mehr Behandlungen je Tier durchführen, als geplant.
Eigeninitiativen in Deutschland
In Deutschland sind es Eigeninitiativen von Tierarztpraxen, die den Einsatz von Antibiotika erfolgreich minimieren. Dr. Gerhard Kreher von einer Tierärztepraxis in Süd-Brandenburg hat Ergebnisse vorgelegt, die in einem Bestand mit 500 Sauen und 4.000 Mastplätze erzielt wurden, nachdem dieser auf höchsten Gesundheitsstand gebracht wurde:
Die
Erfolge spiegeln sich in deutlich verbesserten Betriebsergebnissen nieder: Die
Zahl der abgesetzten Ferkel stieg von 22 auf 28, die Tageszunahmen von 550 auf
880 Gramm. Die Mastschweinverluste sanken von 5 auf 1,3 und die Tierarztkosten
von 232 auf 42 Euro je Sau und Jahr inklusive Aufzucht und Mastbereich.
Wie
wichtig der allgemeine Gesundheitszustand ist, zeigte Dr. Kreher anhand eines
anderen Betriebes. Nach Grundsanierung eines PRRS-Virus, der Lungen für viele
andere Erreger „öffnet“ und den Einsatz von Antibiotika nach sich zieht, konnte
in ähnlicher Weise wie oben auf Antibiotika verzichtet werden.
Geht es den Öko-Tieren besser?
Tierarzt
Stefan Wesselmann aus Wallhausen stellt klar: In jeder Haltungsform erkranken
Tiere und es gibt große Unterschiede zwischen den Beständen in jeder
Haltungsform. Entscheidend sei die Professionalität des Tierhalters in jeder
Produktionsform.
In
der konventionellen Tierhaltung werden höhere Antibiotikamengen oft von älteren
Tierhaltern verabreicht5), so Wesselmann. Da steht die biologische
Leistungsfähigkeit der Tiere erst an zweiter Stelle. Im Vergleich gebe es
konventionelle Betriebe mit 400 Sauen, deren Antibiotika-Einsatz unter denen
von Bio-Betrieben liegt. Umgekehrt gibt es Öko-Betriebe mit schlechten
Gesundheits- und unzureichenden Hygienebedingungen.
Nach
Wesselmann sind die Herausforderungen in der Ökologischen Schweinehaltung nicht
einfacher, denn durch die kontinuierliche Belegung erhöhe sich der
Infektionsdruck und durch den Freilauf hätten unterschiedliche Tiere mehr
direkten Kontakt untereinander. Die verschiedenen Ökoverbände haben meist
eigene Regelungen zum Gebrauch von Antibiotika. Der kleinste gemeinsame Nenner
ist die EU-Ökoverordnung. Danach dürfen Tiere, deren Lebenszeit kürzer als ein
Jahr ist nur einmal in ihrem Leben mit Antibiotika behandelt werden. Für
Wesselmann ist das ein Problem, wenn bereits das Ferkel einmal behandelt werden
musste – dann sind ihm als Mastschwein die Mittel verwehrt. Tierhalter haben
Vorbehalte gegen Antibiotika und behandelten nicht, um die Label-Anerkennung
nicht zu verlieren.
Das
ist allerdings auch in Dänemark ein Problem. Mit der wachsenden Zahl an
unbehandelten Tieren, könne auch die Mortalitätsrate steigen, so Tim Petersen.
Datengrundlage
Basis
aller Bewertungs-Grundlagen sind die Daten. So greifen Dänemark und die
Niederlande auf eine Datenbank zurück, in der die Verwendung von Medikamenten
aufgezeichnet wird. Die Schweizer haben bereits 2005 eine Verbrauchsstudie
aufgelegt und auf 97 Milchviehbetrieben die Erfassung analysiert. Die Daten
wurden entweder vom Landwirt oder vom Veterinär erfasst, entweder auf Papier
oder elektronisch in einer Excel-Tabelle oder einem Software-Programm.
Die
Ergebnisse sind zunächst ernüchternd, denn neun Prozent der Behandlungen wurden
nur von den Landwirten und 23 Prozent nur von den Veterinären aufgeschrieben.
Nur bei 52 Prozent der Daten stimmten Datum der Behandlung, Medikament und
Dosierung in beiden Aufzeichnungen überein. Im Alltag entstehen dann Datensätze
wie „Kaninchen mit hoher Zellzahl“, beschreibt Dr. Marcus Doherr vom Veterinary
Public Health Institut von der Vetsuisse in Bern. Papieraufzeichnungen waren zu
24,5 Prozent fehlerhaft, elektronische Erfassungen nur zu 4,1 Prozent.
Allerdings
ist der Stall auch keine Hausarztpraxis. Diagnose, Behandlung, Gespräch
zwischen Landwirt und Veterinär finden in der Milchküche, dem Futtergang oder
an der Heckklappe des Fahrzeugs statt.
Die
Bundestierärztekammer6) hat im November 2011 ein Konzept zur
Erfassung, Auswertung und Regulierung des einzelbetrieblichen
Arzneimittelverbrauches vorgelegt.
Derzeit
läuft jedoch schon die Pilotstudie VetCAB, die Dr. Roswitha Merle von der
Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover vorstellte. Im Auftrag des
Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) werden in einem „Bottom-up-Ansatz
Verbrauchsmengen auf Tierebene gesammelt. Damit sollen in Deutschland
belastbare Daten erfasst für eine Therapiehäufigkeit erfasst werden. Dabei wird
die Einzelabgabe durch die Anzahl der betreuten Tiere im Jahr dividiert. Bis
Ende 2012 werden die Daten vor Ort online erfasst. Nach Dr. Merle sollen dann
2013 erste Ergebnisse vorliegen. Einen kleinen Schönheitsfehler hat die Studie,
räumt Dr. Merle ein: Die Daten werden von freiwilligen Teilnehmern erhoben, was
das Gesamtbild zunächst einmal unterschätzt.
Für
die Pilotstudie ist Deutschland in vier Cluster eingeteilt: Der Nordwesten mit
kleinen Betrieben und vielen Tieren, der Osten mit tierreichen Großbetrieben,
der Süden mit vielen kleinen Tierhaltungen und ein tierarmer Streifen.
Herdengesundheit und Tierbehandlungsindex
Der
Quotient aus VetCAB ähnelt dem Tierbehandlungsindex (TBI), den Prof. Dr. Thomas
Blaha von der TiHo im Jahr 2006 entwickelte. Beim TBI wird das Produkt aus der
Anzahl der mit Antibiotika behandelten Tiere und der Anzahl der Behandlungstage
durch die Anzahl der Tiere des Bestandes dividiert. Werden also beispielsweise
1.000 Mastschweine an sieben Tagen behandelt und später 40 noch immer kranke
Tiere erneut Tage medikamentiert, ergibt sich ein TBI von 7,08, erläuterte Dr.
Diana Meemken von der TiHo.
Der
TBI wurde in der Zwischenzeit auch schon zusammen mit Mastdauer,
Mortalistätsrate und hygienischem Schlachtbefund mit Punkten zu einem Herdengesundheitsscore
eingebunden.
Betriebsvergleiche
haben gezeigt, dass Vergleiche mit dem TBI und klinischen Befunden Trends in
der betrieblichen Praxis aufzeigen kann. Es er identifiziert Betriebe, die viele
Behandlungen durchführen und trotzdem eine schlechte Herdengesundheit aufweisen
und Betriebe, die wenig behandeln und trotzdem gesunde Tiere haben. Nach dem
Prinzip, dass ein gutes Gesundheitsmanagement zu wenig Tieren und einem
niedrigen TBI führen, bei dem der Selektionsdruck auf die Krankheitserreger
gering ist, können auf diese Weise „gute“ von „schlechten“ Tierhaltungen
unterschieden werden. Die Grenze läuft nicht zwischen „Groß“ und „Klein“, oder
zwischen „Öko“ und „Konventionell“.
Dispensierecht
Als
ganz „heißes Thema“ hatte Dr. Thomas große Beilage, Vorsitzender des
Ausschusses für Arznei- und Futtermittelrecht bei der Bundestierärztekammer auf
der Grünen Woche das Dispensierrecht bezeichnet, das den Veterinären eine
Ausnahmegenehmigung zum Apothekenmonopol zugesteht. Den Veterinären fällt als
Abschaffungsgrund nur der dann wegfallende Anreiz zur Gewinnmaximierung ein.
Das Dispensierrecht halte hingegen erst einen funktionierenden Veterinärdienst
aufrecht. Ohne, blühe der Schwarzmarkt, haben Einzeltiere im ländlichen Raum
keine Heilungschance mehr, würde mit der Einbindung eines Apothekers ein
Fachfremder eingreifen und könnten die Heilungserfolge nicht kontrolliert
werden.
Ähnlich
äußerte sich auch TiHo-Präsident Dr. Greif im Pressegespräch.
Ausblick
Nach Dr. Piontkowski bleibt das Thema in der Diskussion. NRW wird alleine schon im Frühjahr eine Studie zur Situation bei Puten und im Herbst zu Schweinen vorlegen. Weitere Themen werden die Änderung des Arzneimittelgesetzes sein, die Datenbank für die Medikamentenerfassung und möglicherweise eine „Emissionserfassung“ von resistenten Keimen. MRSA und ESBL bleiben im öffentlichen Licht, so Piontkowski.
Lesestoff:
1) Antibiotika in NRW und Niedersachsen und der EU-Plan
2) Veterinary Drug Authority in den Niederlanden: www.autoriteitdiergeneesmiddelen.nl
3) Unterschiede zwischen LA- und MA-MRSA (tierassoziierte und MRSA beim Menschen): BfR und RKI: www.bfr.bund.de/cm/343/tier_assoziierte_mrsa_besiedlung_und_infektion_beim_menschen.pdf
4) Die Gelbe-Karten Initiative Dänemarks finden Sie auf www.dvfa.dk
5) Auch EU-Gesundheitskommissar John Dalli hat bei der Vorstellung
der neuen Tierschutzstrategie in diesem Jahr bemängelt, dass oft noch
Unkenntnis über den Tierschutzaspekt besteht
6) Konzept Medikamentenerfassung: www.bundestieraerztekammer.de
DART:
Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie
Roland Krieg