Der Doktor und das liebe Vieh

Landwirtschaft

Veterinärmedizin ist heute mehr als Heilkunde

Wenn Siegfried Farnon mit seinem Auto über die engen Straßen zu den Bauern fährt, um Kühe und Schweine und manche Katze zu kurieren, prägt er noch heute das Bild des Tierarztes. „Der Doktor (und das liebe Vieh)“ säße jedoch heute am Verhandlungstisch, verwaltete am Klemmbrett Exportauflagen und müsste sich im Pandemiefall mit der Logistik der Seuchenbekämpfung auseinander setzen.

Veterinärmedizin im großen Rahmen
Die Veterinärmedizin hat sich seit den 1930er Jahren deutlich gewandelt und ruht heute auf den drei Säulen des Wohlergehens der Tiere, der tierischen und öffentlichen Gesundheit, erklärt Prof. Dr. Werner Zwingmann, Chefveterinär Deutschlands im Bundeslandwirtschaftsministerium. Zur Berliner Jahrestagung des BVVF1) gab er am Donnerstag einen Rückblick auf die Veränderungen des Veterinärwesens.
Bereits die Ägypter haben nachweislich ihren Nutztieren bei Krankheiten geholfen und es lässt sich vermuten, dass die Menschen schon davor für ihre Nutztiere sorgten. In Deutschland ist der Tierschutz im Artikel 20a im Grundgesetz aufgenommen. Dabei müssen die Tierärzte heute die gesamte Bandbreite zwischen Nutztieren und Haustieren als Partner des Menschen abdecken, was durchaus zu Spannungen im Tierschutzbereich auf Grund unterschiedlicher Sichtweise führt.
Zwischen damals und heute haben sich die Begriffe deutlich geändert. Früher blieben schwere Erkrankungen wie die Rinderpest oder die Maul- und Klauenseuche Einzeltierschicksale, deren Bekämpfung durchaus rasch zu Erfolgen geführt hat. Dann habe sich der Begriff auf die wirtschaftlichen Auswirkungen verlagert. So ist beispielsweise die Aujeszky´sche Krankheit bei Schweinen über die Tierkrankheit hinaus auch zu einem wirtschaftlichen Handelshemmnis geworden. In den letzten Jahren stehen Zoonosen, Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden, im Vordergrund und beziehen mit Salmonellen und Campylobacter auch die Lebensmittelindustrie in das Tierseuchengeschehen ein. Die drei Säulen der modernen Tiermedizin werden auf diese weise über die internationale Agrarpolitik funktional miteinander verbunden.
Aktuell sehe man das bei der nordamerikanischen Influenza, die eingangs noch als Schweinegrippe bezeichnet wurde. Derzeit wurde lediglich ein Schweinebestand durch Menschen infiziert. Die Namensgebung reichte beispielsweise Russland aus, seine Schweineimporte aus den USA und Kanada zu stoppen. Derzeit habe Russland signalisiert, auch die deutschen Exporte aufzuhalten, wenn das Humanpathogen in einer Region vermehrt bei Menschen festgestellt würde, so Dr. Zwingmann.
Der in der Fleischbranche als „Veterinärpabst“ bezeichnete Tierarzt beschreibt, welche Rolle die Tiermedizin bei der Aufnahme von Handelsbeziehungen spielt. Nachdem auf Regierungsebene ein Abkommen vereinbart sei, werden dann die Zusatzprotokolle über den Seuchenstatus des Landes erstellt. Das Veterinäraufkommen im Land werde aufgezeichnet, das Vorhandensein eines Krisenmanagement überprüft, die Exportbetriebe zertifiziert und ein Zusatzprotokoll erstellt. Der Prozess könne bis zu drei Jahren dauern, sagt Dr. Zwingmann. In diesem Jahr stehe das Abkommen mit China vor dem Abschluss.
Eine Wahrheit hat sich allerdings über die Jahrtausende hinweg gehalten: Nur von einem gesunden Tier stammt auch ein gesundes Lebensmittel. Das ist auch im Interesse der Branche, denn sie wolle, das der Kunde und nicht die Ware zurückkommt.

Agrarausschuss trifft Praxis
Der Agrar- und Ernährungsausschuss tagt mitunter auch öffentlich. Das aber alle agrarpolitischen Sprecher aller Parteien sich zu einer nachempfundenen Sitzung zur Verbandstagung einfanden und zu speziellen Fragen der Branche Stellung nahmen, darf sicherlich als besonders außergewöhnlich bezeichnet werden.

Agrarausschuss des Bundestages

So mussten sich die Politiker nicht nur den Praxisfragen der Viehkaufleute, Fleischverarbeiter und Exporteure zu Tiertransporten, CMA oder Tierseuchen stellen, sondern umgekehrt bekamen die Praktiker auch mit, wie schwierig die Mehrheitsbildung mittlerweile geworden ist.
So kam in den Niederlanden plötzlich eine Partei in die Regierungsverantwortung, die sich mit dem Thema Ferkelkastration beschäftigt hat. Und jetzt, so Hans-Michael Goldmann (FDP), wird europaweit darüber diskutiert und geforscht. Die Medien erzeugen öffentlichen Druck und der Handel beginnt diesen an die Erzeuger weiter zu geben, nur noch Fleisch von sanft kastrierten Tieren zu verkaufen. Oder die Zuchtprogramme umzustellen.
Der Agrarausschuss hat die Gelegenheit des Schaulaufens wahrgenommen und widersprüchlichen Ansichten gebündelt, die als Anforderung an die Politik gestellt werden. Denn auch das Landwirtschaftsministerium hat sich geändert und ist nicht nur für Forst und Acker verantwortlich, sondern nimmt mit dem Verbraucherschutz die gesamte Lebensmittelkette in Verantwortung – und muss die Tatsache berücksichtigen, dass in Deutschland 80 Millionen Verbraucherminister leben.

Hermann-Daniel-Innovationspreis
Die BVVF-Tagung wurde auch nach Berlin verlegt, weil vor 109 Jahren in einem kleinen Hotel am Schlesischen Bahnhof der „Verband der Viehhändler“ als Vertreter von sieben Vereinen gegründet wurde. Hermann Daniel, Viehkaufmann aus Dierdorf, blieb 31 Jahre lang der erste Vorsitzende des Verbandes, weswegen die vfz2) in diesem Jahr erstmals zu seinem Gedenken einen Innovationspreis an Persönlichkeiten vergeben hat, die sich zukunftsweisend für die Vieh- und Fleischbranche eingesetzt haben. Insgesamt wurden sechs Preise vergeben, unter anderem an den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerd Müller für sein Engagement im Exportbereich, und an Werner Hilse und Markus Kraus, die bis zuletzt die CMA als Marketingorganisation aufrecht zu halten versucht haben.

Lesestoff:
1) BVVF: Bundesverband Vieh und Fleisch als Dachorganisation der Spitzenverbände der freien Vieh- und Fleischwirtschaft. www.bvvf.de
2) Die Vieh und Fleisch Handelszeitung vfz wird in ihrer nächsten Ausgabe ausführlich über die Tagung und Preisverleihung berichten
Die Brandenburger Tierärzte haben im März darüber diskutiert, ob der Klimawandel oder die Globalisierung die größere Herausforderung für die Tiermedizin sei.

Roland Krieg; Fotos: roRo

Zurück