Der „ewige“ Nachbau-Streit

Landwirtschaft

Saatgut: Auskunftspflicht vom Landesamt?

Vor 21 Jahren hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) im Rahmen ihrer Bundesversammlung due „Interessengemeinschaft Nachbau“ gegründet. Seitdem hat das Thema Nachbaugebühr viele Gerichte beschäftigt. Der AbL steht die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH in Bonn (STV) gegenüber.

Um was geht es?

Der Bauer erntet und sät einen Teil für die nächste Ernte wieder aus. So geht es Jahr um Jahr. Landwirte können sich darüber hinaus Zeit nehmen, neue Sorten zu entwickeln, Weizen zu finden, der Trockenheit besser übersteht oder Roggen, der einen höheren Ertrag bringt.

Ist diese Züchtung bäuerliches Handwerk oder ein Dienstleistungsservice von externen Zuchtunternehmen? Das eine oder andere Merkmal lässt sich auch im bäuerlichen Alltag verbessern. Für eine systematische Züchtung auf Basis der Mendelschen Regeln allerdings ist eine eigene Beschäftigung mit verschiedenen Sorten notwendig. Mitte des 19. Jahrhunderts hat Landwirt Matthias Rabbethge jun. Als erstes mit der systematischen Züchtung der Zuckerrübe begonnen und den Grundstein für das Unternehmen KWS gelegt. Eurucasäuren im Rapsöl sind unverträglich und hatten den Einsatz der heute wichtigen Pflanze im Bereich Lebens- und Futtermittel erheblich eingeschränkt. Für den ersten 0-Raps im Jahr 1974, der ohne Erucasäure heranwächst, wurden Hunderttausende Rapssorten mit Handarbeit geprüft und getestet. 1985 gelang es, den ersten 00-Raos zu etablieren, der auch ein Öl ohne störende Glucosinolate  aufweist.

Modell Nepal oder Tschad?

Die Frage dahinter ist: Hat der Landwirt heute die Zeit und Möglichkeit, eigene Sorten zu entwickeln oder kauft er von Züchtern fertig entwickelte Sorten für die Aussaat ein? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ohne Saatgutsicherheit gibt es keine Ernährungssicherheit. Bestimmen Bauern über ihr Saatgut oder bestimmen Konzerne das Saatgut, das angebaut wird. Die Frage nach der Saatgutsouveränität lässt sich problemlos bis auf den Teller skalieren. Wer bestimmt, was wir essen?

In Nepal gilt ein Landwirt als schlechter Bauer, sofern er kein eigenes Saatgut verwendet. Damit sichern sich die Landwirte auch ihre eigenen Zuchtfortschritte ab. Im Tschad hingegen tauschen Landwirte nach der Ernte wie selbstverständlich Saatgut untereinander aus, um Vorteile zu vergesellschaften [1].

Entlohnung von Arbeit

Wer nur eigenes Saatgut verwendet, hat nur einen langsamen Zuchtfortschritt, braucht aber keine Gebühren zu entrichten. Wer auf Züchtersaatgut zurückgreift, entlohnt die Zuchtarbeit mit dem Kauf des Saatgutes und einer Nachbaugebühr, sofern er aus der Ernte einen Teil für die Aussaat im nächsten Jahr zurückbehält. Bis zur Marktzulassung einer Sorte vergehen auf klassischem Züchtungsweg bis zu 15 Jahre und kostet mehrere Millionen Euro. Die Nachbaugebühr gilt als Mittel, einen Teil der Kosten wieder zurück zu bekommen.

Die STV sorgt für die Nachbauregeln und Lizenzen. Genau darüber geht der Streit seit mehr als 20 Jahren und hat den Europäischen Gerichtshof schon mehrfach beschäftigt.

EuGH-Urteile

Im Urteil von 2003 fielen im Sinne der AbL die pauschale Auskunftsverpflichtung und die Hofkontrolle der STV. Die Nachbaugebühren wurden von 80 auf 50 Prozent reduziert und die Rückverfolgung der Saatgutaufbereiter auf drei Jahre verkürzt.

2015 bestätigte der EuGH für die STV klar, dass Landwirte auch ohne Aufforderung des Sortenschutzinhabers eine Nachbaugebühr zahlen müssen. Ansonsten können rechtliche Verpflichtungen geltend gemacht werden.

Am Donnerstag musste der EuGH erneut tätig werden und fällte ein Urteil im Bereich Auskunftspflicht. Die STV will beim Landesamt Thüringen Flächen und Sorten erfragen, um den ordnungsgemäß gemeldeten Nachbau zu prüfen. In Thüringen hat dieses Amt im Rahmen der Agrarzahlungen Zugriff auf diese Daten. Das Landgericht Erfurt entschied, dass das Amt nicht für die Meldung herangezogen werden darf. Der STV reichte das nicht, der Fall liegt beim Oberlandesgericht, dass eine Vorabentscheidung gegen den Freistaat Thüringen beim EuGH anstrengte. 

Das aktuelle Urteil

Das Urteil ist salomonisch. Der Inhaber einer geschützen Sorte hat keine Möglichkeit, von amtlicher Seite aus, Auskunft über die Verwendung von Arten in der Landwirtschaft zu verlangen. Aber: Wenn er speziell nach seiner Sorte in einem Antrag fragt, darf das Amt die Auskunft geben. Wie das bei tausenden von geschützten Sorten in der Praxis aussehen könnte, war nicht Gegenstand des Urteils.

Des Saatkorns Kern

Die Frage, wer was wann nachbauen darf, ist immer noch offen. Weltweit ist die Frage, ob Saatgut ein reines Produktionsmittel ist, offen. Bei Mais und Zuckerrüben setzen Ökolandwirte auch auf Hybridsorten, deren Zuchtfortschritt in der Nachbaugeneration wieder verloren geht. Zertifiziertes Saatgut ist gesund und vertrauenswürdig auf die versprochenen Qualitätsangaben. Landwirte sind nicht verpflichtet, Z-Saatgut anzubauen. Wenn immer wieder die gleiche Sorte angebaut wird, haben Krankheitserreger Vorteile. Wer ohne Gesundheitsprüfung eigene Sorten entwickelt, hat nur begrenzten Zugriff auf unerwünschte Eigenschaften, die „mit gezüchtet“ werden.

Ein Saatgutfonds könnte den Streit beenden. Bauern, Züchter und der Staat zahlen in den Fond ein. Die Einnahmen werden über eine Mitbestimmung an die Züchter verteilt, die etwas „unterstützendwertes“ vorhaben.

Prüffrage: Hätte ein Saatgutfonds die Vernachlässigung der Leguminosenzüchtung aus den letzten Dekaden aufgehalten?

Lesestoff:

Aktenzeichen aktuelles EuGH-Urteil: ECLI:EU:C:2019:869

[1] Tropentag an der Uni Bonn 2017: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/food-security-only-with-seed-security.html

Roland Krieg

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