Der GAP-Hammer aus MV
Landwirtschaft
Schwerin stellt beim GAP-Entwurf Berlin und Brüssel in den Schatten
Wer mitgestalten will, der muss mitreden können. Um Mitreden zu können, braucht man etwas Konkretes. Absehbar war der Entwurf des EU-Agrarkommissars für diesen Herbst terminiert. Was hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt in den letzten Wochen gemacht? Er hat sich auf seinen Glyphosat-Coup gegen das Umweltministerium und mit bayerischer Unterstützung mit dem Verstoß gegen die Geschäftsordnung gegen die große Unionsschwester gestellt. Zudem hätte die EU Glyphosat sowieso zugelassen.
Was hat der Deutsche Bauernverband in den letzten Wochen getan? Er hat sich gesammelt und begegnet dem Hogan-Entwurf höflich und positionierte sich in bestimmt vorhersehbaren Schwerpunkten. Tenor: Bewahrung.
Landesagrarminister Dr. Till Backhaus hingegen hat sich mit Landwirten und Wissenschaftlern seit zwei Jahren auf den GAP-Entwurf vorbereitet. Hat Stimmungen bei den Bauern, in der Umwelt- und Agrarministerkonferenz gesammelt und die gesellschaftlichen nicht zu leugnenden Wünsche und Vorstellungen in ein GAP-Papier gebracht, das in seiner Neuformulierung und mit konkreten Zahlenbeispielen Hogans Entwurfpapier als Reclam-Lesebüchlein erscheinen lässt. Und hat der Berliner Agrarpolitik das Heft zum Handeln aus der Hand gerissen.
Wenn Veränderungen wörtlich genommen werden
Von Säulenausgestaltung bis hin zur Tierhaltung liegen seit Dienstagabend auch online wirkliche Veränderungen als lernendes System vor, das den Titel „Veränderungen anschieben“ enst nimmt. Vielen wird der Vorschlag aus der Seele sprechen, den Tierhaltern den Schweiß auf die Stirn treiben. Erstmals werden konkrete Lösungen mit konkreten Zahlen, inklusive Brexit-Minus, auf das gleiche Zahlungsniveau wie heute verrechnet und die Ökologisierung als Mehrwert für den Landwirt monetär gelebt. „Veränderung ohne ökonomischen Bruch“, wie Backhaus das nannte.
Am Montag hat Backhaus den Entwurf mit beachtlichen Referenzen aus dem Parlament, der Kommission und dem DBV-Vizepräsidenten und Landvolk-Präsidenten Werner Hilse vorgestellt. Am Dienstag folgte die ausführliche Besprechung mit Agrarjournalisten in Berlin. Der am längsten im Amt tätige Landwirtschaftsminister (SPD) in Deutschland ist sich der Wuchtigkeit des Vorschlags bewusst. So ein Agrarprofil haben die Sozialdemokraten schon lange nicht mehr gehabt. Backhaus steht für Koalitionsgespräche als Verhändler im Agrarbereich mit konkreten Daten zur Verfügung. Er hat Konkretes vorzuweisen und kokettiert, lediglich zwei Steinwürfe vom Bundeslandwirtschaftsministerium entfernt, gegenüber Schmidts Jamaika-Papier: „Außer Allgemeinplätzen ist da nichts!“
Backhaus will nichts weniger, als die Agrarpolitik in ein neues Zeitalter führen. Der von allen geäußerte Spruch, öffentliches Geld für öffentliche Leistungen ausgeben zu wollen, wird durch eine „Ökologisierung der ersten Säule“ realisiert. Backhaus will wie Hogan das Greening abschaffen und durch ein neues System ersetzen. Die Kopplung an Systemdeinstleistungen wird so ausgerichtet, dass die von den Landwirten umgesetzten Maßnahmen zum Einkommen beitragen und deren Entgelt mehr als eine Zahlungsbedingung für den Aufwand ist.
Was ist denn jetzt konkret?
Backhaus kommt zu dem gleichen Grundsatz wie der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft und sieht eine Basisprämie mit „Topups“ vor. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), die am Dienstag mit dem BÖLW ebenfalls in Berlin tagte, spricht von ökologischen Indikatoren, an denen die Zahlungen gekoppelt werden sollen.
Das vereint Backhaus in einer „neuen ersten Säule“. Alle Betriebe in der ganzen EU bekommen eine Basisprämie in Höhe von 100 Euro je Hektar. Der Wert ergibt sich aus den höheren Kosten für höhere Produktionsstandards gegenüber der Restwelt. Damit wird das System der bisherigen Zahlungsansprüche abgeschafft. Es entfällt die Diskussion um Degression und Kappung. Das Geld bekommt der Landwirt aber nur, wenn er eine Zusatzleistung aus einem ökologischen Katalog wählt, der mindestens die Hälfte seiner Grundprämie umfasst. Zur Vereinfachung soll auf einen Hektar immer nur eine Zusatzleistung gelten, womit Prüfungen auch Doppelprämien und Kontrollen wegfallen. Dieser Katalog wird in den Mitgliedsländern festgelegt und mit Brüssel nur noch abgestimmt. Damit können die einzelnen Länder und in Deutschland die einzelnen Bundesländer regional definierte Komponenten erstellen. Die Eu konnte sich 2013 lediglich auf drei Komponenten einigen. Die Regionalisierung bietet mehr. Die Entlohung für die Umwelt- und Klimamaßnahmen liegen zwischen 15 und 30 Prozent über dem heutigen Niveau und sind daher einkommensrelevant. Damit will Backhaus den von der Gesellschaft eingeforderten Mehrwert aus der Agrarpolitik absichern und über die Akzeptanz der Gesellschaft das Agrarbudget absichern.
Zusätzlich gibt es Budgetvorgaben für Junglandwirte und Kleinbauern sowie die Unterstützung für Landwirte in abgelegenen Regionen. Eine drastische Vereinfachung der Gebiteskulisse wird den Vollzugsaufwand verringern, der notwendige Generationenwechsel wird unterstützt und die flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft bleibt erhalten. So das Ziel.
Tierhaltung
Derzeit ist die Nutztierhaltung in Deutschland die umstrittenste Form der Landwirtschaft. Vor allem in viehdichten Regionen bleibt das Nährstoffmanagement eine Zukunftsaufgabe. Da hat sich Backhaus weit herausgelehnt. Es soll eine flächengebundene Tierprämie für Rinder, Schafe und Ziegen geben. Deckelung bei 2,0 Großvieheinheiten je Hektar. Spätestens jetzt werden die Tierhalter im Oldenburger Land unruhig.
Die Nährstoffprobleme sind in den letzten Jahren nicht wirklich kleiner geworden. Die ausdauernden Debatten um Düngesetz und Düngeverordnung sowie die kurz vor Jahresschluss doch noch beschlossenes Stoffstrombilanz, zeigen nichts anderes als das Herumdoktern ohne grundsätzliche Lösung. Die „neuen Düngeempfehlungen“ fassen in jeder landwirtschaftlichen Fachzeitschrift mehrere Seiten. Hinzu kommt ein großer dokumentarischer Aufwand.
Nirgends im GAP-Vorschlag aus Schweirn wird der Paradigmenwechsel deutlicher als in der Tierhaltung. Die Wiederkäuer als Rauhfutterfresser bringen pro Kopf einen Betrag von 70 Euro in die Betriebskasse. In den anderen Mitgliedsländern werden nach Backhaus sowieso 84 Prozent der Prämien an Tierzahlen gekoppelt. Mit dem Modell will Backhaus die Tiere auf die Fläche verteilen. Ob das allerdings alleine mit der GAP funktioniert bleibt fraglich. Backhaus hat sich etwas herausgemogelt, weil er Schweine und Geflügel außer Acht lässt. Ob sich in Ostdeutschland mit derzeit durchschnittlich 0,5 GV je ha neue Tierställe mit Flächenbindung bauen lassen ist fraglich: Boden ist knapp und teuer. Bürgerinitiativen wehren sich selbst schon gegen Ökoställe. Der Bestand an Wiederkäuern wird sich nach Backhaus stabilisieren, wenn nicht sogar erhöhen, weil das Grünland eine höhere Bewertung erfährt.
Doch eines sollte bedacht werden: Prof. Christine Tamásy von der Universität Greifswald hat vor wenigen Tagen auf dem Veredelungsforum des Deutschen Raiffeisenverbandes die Notwendig einer übegeordneten Handlungsstrategie für Regionen mit intensiver Tierhaltung formuliert [1]. Allein: Es fehlt nach ihrer Ansicht eine gemeinsame Vision für die Ziele. Backhaus kann mit seinem Vorschlag auch diese Lücke in der Transformationsdiskussion schließen. Mit der Lösung des Nährstoffmanagements seien die Probleme aus Emissionsrichtlinie und Wasserrahmenrichtlinie gleich mitgelöst.
Im Bereich der Terhaltung gibt es noch eine andere Lücke. Die flächenlosen, gewerblichen Tierhaltungsbetriebe, die bislang der GAP außen vor standen, werden auch mit der Schweriner GAP nicht erfasst. Dort sind die Nährstofffrachten durch Zu- und Abverkauf besonders schwer zu lösen. Eines ist aber bezüglich des Nährstoffmanagements sicher: „Entweder wir kriegen das auf Vordermann gebracht, oder es gibt künftig drastischere Maßnahmen“, warnte Backhaus.
Die zweite Säule
Die zweite Säule gibt es auch. Über sie werden Investitionen für den ländlichen Raum und beispielsweise der Vertragsnaturschutzg gefördert. Das aktuelle monetäre Größenverhältnis zwischen erster und zweiter Säule liegt bei 9:1.Im Vorschlag aus Schwerin wandelt es sich zu 4:6.
Der Vorschlag enthält konkrete Zahlungsbeispiele nach dem Mecklenburger Modell. Der Brexit mit einem Minus von sieben Prozent im Agraretat steht genauso drin, wie die Jahresrechnung für ganz Deutschland. Am Ende verliert die Bundesrepublik nur etwas mehr als über den Brexit selbst. Fünf Milliarden fließen jährlich nach Deutschland.
Des Weiteren sind Beispielrechungen für jeweils einen ökologischen und einen konventionellen Durchschnittsbetrieb in Mecklenburg-Vorpommern in dem GAP-Entwurf enthalten.
Verbündete
Wer in der Demokratie etwas erreichen will, braucht Verbündete. Solange, bis eine Mehrheit vorhanden ist. In Berlin zeigte sich der Minister über die Reaktionen in Brüssel bereits erfreut. Klar: Wer etwas Konkretes vorzuweisen hat, hat auch das Heft in der Hand. Demnächst treffen sich die Ministerpräsidenten aus Ostdeutschland mit der Kommission in Brüssel. Da wird der Entwurf als Vorschlag für den Agrarsektor erneut vorgelegt. Zur Erinnerung: Die ostdeutschen Agrarminister gehören zweimal der SPD und jeweils einmal der Linken, den Grünen und der CDU an. Der MV-Entwurf als ostdeutsches GAP-Modell wird vor allem wegen der gestrichenen Diskussion um Kappung und Degression auch in Westdeutschalnd Freunde gewinnen. Bei den möglichen Koalitionsverhandlungen wird der Entwurf von den Sozialdemokraten gegen die Allgemeinplätze der Sondierungsgespräche gesetzt. Ein weiters Plus. Der Vorschlag mit einer „ökologisierten ersten Säule“ kommt aus dem konventionellen Agrarbereich; macht ihn attraktiver als wenn er von der Agraropposition kommt. Der Vorschlag könnte dem Bundeslandwirtschaftsministerium gefallen, weil er Lösungsansätze bietet und wird dem Bundesumweltministerium entgegenkommen. Das ist eine tragfähigere Brücke als der „Glyphosat-Frieden“ zwischen Schmidt und Hendricks zuletzt vereinbarten. In der Großen Koalition in Niedersachsen hat die SPD auch ohne Agrarministerium ein eigenesTransformationsszenarium für die Viehregionen in der Hand. Und wenn dann noch das kleinbäuerliche Bayern auf den Vorschlag eingeht, dann, so Backhaus, ist der Vorschlag aus Schwerin bundesweit mehrheitsfähig. Und mit den Franzosen auch in Brüssel. DLG und BÖLW seine hier noch einmal doppelt erwähnt, denn Bauernpräsident Joachim Rukwied, der ebenfalls am Dienstag den aktuellen Situationsbericht vorstellte und eine Basisprämie mit Topups ausdrücklich ablehnte, steht plötzlich isoliert da.
Und Europa? Vorschläge, die erste Säule abzuschaffen, entsprechen nicht den europäischen Mehrheiten. Die Vorschläge für Junglandwirte und Kleinbauern sowie die einheitliche Grundprämie kommt den osteuropäischen Ländern entgegen.
Was Backhaus, der am Abend erneut betonte, in Schwerin bleiben zu wollen, mit dem Vorschlag wirklich erreichen wird, ist offen. Wer sich so in den Gegenwind stellt, der muss sich regelmäßig kämmen. Kritiker sollten sich aber doch das Gesamtkonzept noch einmal anschauen, bevor sie über ein einzelnes Detail richten. Backhaus hat zur Diskussion über die GAP 2020 eingeladen. Und die findet eher über den Entwurf aus Schwerin als über den Entwurf in Brüssel statt.
Lesestoff:
Die Broschüre finden Sie unter https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/lm/Aktuell/?id=133495&processor=processor.sa.pressemitteilung
[1] Oldenburger Münsterland: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-transformation-der-veredlungsregion.html
Roland Krieg