Der grünen Gentechnik fehlt das Nutzenargument
Landwirtschaft
Genom Editing hat neue Chancen, wenn …
Am Donnerstagabend hat die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht“ der Berlin-Branenburgischen Akademie der Wissenschaften nach 16 Jahren einen Rückblick auf die Gentechnikdebatte begonnen. Auf der ersten von insgesamt drei Akademievorlesungen blickten Wissenschaftler auf die Zeitschiene der Gentechnik zurück.
Fortschritt mit Risikodiskussion
Heiner Fangerau vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Düsseldorf, blickte ganz weit zurück. In der breitesten Definition haben die Tier- und Pflanzenzüchter schon immer Gentechnik betrieben. In der engen Definition wurde erst mit der Entdeckung der Chromosomen im Jahr 1910 bei der Fruchtfliege das mögliche kleinste Detail sichtbar, mit der die Menschheit „modellieren“ konnte. „Man musste nicht mehr nur allein den Züchtern vertrauen“, so Fangerau. Aus der Grundlagenwissenschaft wurde eine technische Idee, die sich bis heute zu den neuesten Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas weiterspinnt. Die Schrumpfung des Züchtungsfortschritts von Zeit und Raum wurde allerdings schon früh als Risiko empfunden. Die 1980er Jahre waren von der Diskussion geprägt, große Strukturen aus den kleinen Modellen zu entwickeln. Mit dem Genom Editing der „Baukastengentechnik“ findet heute allerdings die Umkehrung in einem Demokratisierungsprozess statt. Getrieben werde der Trend durch die Wirtschaftlichkeit. Anstatt einen Sequenzierer für die „alte Gentechnik“ für ein Labor zu verkaufen, ist es heute möglich, 100 Kooperativen jeweils einen Baukasten an die Hand zu geben.
Politisierung
Wie bei jeder neuen Technologie stellt sich das Kontrolldilemma, zu Beginn zu wenig für eine ausreichende Risikoanalyse zu wissen und später, zwar genug zu wissen, aber Fehler nicht mehr korrigieren zu können. Daher stand die Risikodiskussion in den 1980er Jahren im Vordergrund. Ingrid Schneider von der MIN-Fakultät der Universität Hamburg, verwies auf die Enquete-Kommission des Bundestages, die sich 1987 mit „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ auseinandersetzte. Im Bereich der Humanmedizin, der roten Gentechnik, fürchteten die Grünen um die Frau als Naturressource und Experimentierfeld. Die Stammzellendiskussion erreichte die Bevölkerung mit voller Wucht. Für den Bereich der Landwirtschaft sprang dabei das Gentechnikgesetz heraus.
Heute sei die Diskussion sehr viel entspannter. Im chemsichen Bereich, der weißen Gentechnik, kümmern sich weder Verbraucher noch Medien um Gentechnik in den Waschmitteln. Die Pränataldiagnostik ist weit verbreitet und die öffentliche Aufmerksamkeit nimmt ab.
Heute wird das Thema vielfach mit der Digitalisierung verbunden. „Big Data“ und Gentechnik bestimmen Gesundheit und Geschäftsmodelle. Im medizinischen Bereich sehen das viele als Selbsterkenntnis und Selbstoptimierung mit positivem Blick. Doch dürfe das nicht über existierende Gefahren hinwegtäuschen. Neue Viren gegen Schädlinge können auch militärisch engesetzt werden, die Diskussion um Markt und Macht wie die Fusion zwischen Bayer und Monsanto bergen Unredlichkeitspotenzial. Im Bereich von Medikamenten könnten Patenten die wirkvolle Hilfen ärmeren Menschen vorenthalten. Das sprenge auch in Weisteuropa das solidarische Gesundheitssystem.
Keine gesellschaftlichen Beispiele
Warum es die Gentechnik in der Landwirtschaft so viel schwerer hat, als in der Humanmedizin, begründete der Soziologe Ortwin Renn vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsgestaltung (IASS). Auch wenn die Diskussionen um die grüne Gentechnik abnehmen, veränderten sich die „Strukturen der Einstellungen“ nicht. Darunter könnten auch die neuen Züchtungsmethoden leiden. Das Abmildern der Debatten sei nur eine „Ermüdungserscheinung“.
In der Humanmedizin profitieren die Menschen direkt von der Medizin und nehmen für die Gesundung auch ein mögliches Risiko in Kauf. Der Nutzen der landwirtschaftlichen Gentechnik bleibe hingegen noch immer aus. Herbizid- und insektizidresistente Pflanzen gehören nicht zum Wunschbild der Landwirtschaft. Verbraucher sind noch immer im traditionellen Bild des 20. Jahrhunderts verortet, zu dem eine moderne Technik nicht passe. Die Gentechnik eigne sich als Symbolbild für alles „Schlechte“ auf dem Acker und im Stall: Modernisierung und Industrialisierung, die beide am Ende den Ernährungsstil und die Lebensweise verändern. Auch wenn die Gentechnik der Industrie oder den Landwirten nütze: Der Kunde hat keinen Nutzen und dennoch verändert sich die eigene Lebenswelt wird.
In dieser Falle wähnt Renn auch die neuen Züchtungsmethoden, wenn sie keinen gesellschaftlich akzeptierten Nutzen hervorbringen. Das könnte die Hochzeit von grüner und roter Gentechnik sein. Wenn mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherter Reis den Hunger überwindet. Dann könnte sich auch bei der grünen Gentechnik die grundlegende Einstellung verändern.
Lesestoff:
Die nächsten beiden Akademievorlesungen finden am 09. und 16. November jeweils um 18:00 Uhr statt. Im Akademiegebäude direkt am Berliner Gendarmenmarkt www.bbaw.de
Roland Krieg