Der Koalitionsvertrag
Landwirtschaft
Der Koalitionsvertrag
Früher als gedacht, aber weiterhin nur ein Zwischenschritt ist der am Mittwoch vorgelegte Koalitionsvertrag der großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Der Vertrag muss noch von der SPD-Basis genehmigt werden. Die CDU wird am 09. Dezember auf einem kleinen Parteitag über den Koalitionsvertrag entscheiden. Die CSU wird das bereits diesen Freitag erledigen. Erst nach dem SPD-Votum werden Ressortzuschnitt und Ministerposten geklärt und besetzt. Auf die Frage, ob das nicht eine lange Zeit sei antwortete Gabriel: „Man wartet das ganze Leben.“
Merkel, Gabriel und Seehofer
„Deutschlands Zukunft gestalten“ heißt das 185 Seiten umfassende Werk. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel betonte, dass die zentralen Versprechen des Wahlkampfes der CDU gehalten wurden. Bei der Energiewende wurde demonstriert, dass „der Industriestandort am Herzen liegt“. Der Mindestlohn gilt ab dem 01. Januar 2015 mit zwei Jahren Abweichung, wenn andere Tarifverträge gelten oder noch abgeschlossen werden.“
Der SPD-Vorsitzende Sigmund Gabriel zog am Beginn seiner Rede bereits sein Fazit: „Dem, was die Bundeskanzlerin gesagt hat, ist nichts hinzuzufügen. Ich stimme allem zu“. Gabriel verteidigt die Positionen zur Energiewende. Die ganze Welt schaue auf Deutschland und wenn dieses Experiment schief gehe, sei der bescheidene Ausgang der Klimaverhandlungen in Warschau das „kleinste Problem, dass wir auf der Welt haben.“
Ministerpräsident Horst Seehofer („Lieber Herr Gabriel“) ist mit dem Koalitionsvertrag „hochzufrieden“. Auch die CSU habe „alle wesentlichen Wahlaussagen“ untergebracht. Ein Vorläufer der Koalitionsvereinbarung war der Bayernplan, unterstrich Seehofer.
Der Koalitionsvertrag ist keine Gesetzgebung. Dann erst wird auf deutscher und europäischer Eben geklärt, wie der Wunsch nach beispielsweise einer Pkw-Maut, umgesetzt wird.
Reaktionen - Allgemein
Die Westdeutsche Zeitung ist die einzige, die der SPD einen klaren Punktsieg bescheinigt. Mit der möglichen Ablehnung durch das Mitgliedervotum habe sie zentrale Positionen eingebracht, was der großen Koalition „ruppige Zeiten“ bescheren werde. Merkel und Seehofer wüssten das, obwohl sie Harmonie zeigen, und „speziell die Kanzlerin kann sehr nachtragend sein“.
Landwirtschaft
Bauernpräsident Joachim Rukwied sieht in dem Koalitionsvertrag einen „tragfähigen Kompromiss für die Landwirtschaft. Die Verständigung beim Agrardiesel, der Bestandsschutz im EEG und die Fortführung der geltenden Regelungen bei der Erbschaftsteuer sind wichtige Botschaften für die landwirtschaftlichen Betriebe, die verlässliche politische Rahmenbedingungen erwarten.“ Beim Mindestlohn und der Regelung für Saisonarbeitskräfte müsse nachgebessert werden.
Nach Ansicht von Manfred Nüssel, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), vernachlässige der Vertrag jedoch die europäischen und globalen Rahmenbedingungen. „Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbesserung der Wettbewerbsposition müssen im Vordergrund stehen, damit die Chancen des wachsenden internationalen Agrarhandels weiterhin erfolgreich genutzt werden können“, so Nüssel. Dafür brauchen die Bauern eine praxisgerechte Risikovorsorge gegen schwankende Preise. Für den DRV sind daher die geforderten Eindämmung der Rohstoffspekulation und Positionslimits unverständlich.
„Die Bauern und Waldbesitzer im Freistaat können aufatmen“, kommentierte Helmut Brunner, Landwirtschaftsminister in Bayern. Weder gebe es eine Flächenstilllegung im Wald noch Verschlechterungen beim Erbschaftssteuerrecht. Vor allem sei es gelungen „das bayerische Leitbild einer von Familien getragenen Landwirtschaft mit flächengebundener Tierhaltung“ zu verankern. Die SPD hat sich nicht zur Streichung des Agrardiesels durchsetzen können.
Enttäuscht zeigt sich hingegen Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Aus dem Vertrag ist die ursprüngliche Absichtserklärung gegen Gentechnik auf den Äckern verschwunden. Wegen anstehender Genehmigungen und unlösbaren Koexistenzfragen sei der Friede in den Dörfern nicht gesichert. Die neue Koalition habe auch die wissenschaftlichen Berater nicht gehört, die auf die Probleme der industriellen Landwirtschaft hinweisen. Löwenstein erneuerte seine Forderung nach einer Ernährungswende.
Der Anbauverband Bioland zeigt sich enttäuscht, weil von den ökologischen Ansätzen im SPD-Programm nichts übrig geblieben sei, kritisierte Präsident Jan Plagge. Auch die CSU musste Federn lassen. „Das sieht nach einem „weiter so“ á la Merkel aus.“ Gemeint ist das Verbot für gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Koalition stelle sich damit gegen eine Mehrheit der Gesellschaft. Schwarz sieht Plagge auch für die Aufstockung der GAK. Noch auf der letzten Agrarministerkonferenz war eine Erhöhung von 200 Millionen im Gespräch. Der Koalitionsvertrag erwähnt keine Erhöhung mehr.
Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter freut sich über die Berücksichtigung der Milcherzeuger im Koalitionsvertrag. Entscheidend sei aber nun die Ausgestaltung des Kurses zur Marktausrichtung. Zentral sei die verbindliche Festlegung von Preis und Menge für die Lieferung an die Molkerei. Die im Vertrag festgeschriebene Notwendigkeit eines effektiven Schutznetzes müsse im zweiten Schritt auf EU-Ebene in eine Monitoring-Stelle münden, die Marktkrisen frühzeitig erkennen kann.
Der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Niedersachsen/Bremen fehlen klare Schritte zur Stärkung der bäuerlichen Marktstellung gegenüber Konzernen der Agrar- und Ernährungsindustrie. Der Koalitionsvertrag sei ein „Dokument eines ungehemmten Agrarindustrialisierungs-Kurses zu Lasten von Bauernhöfen, Verbrauchern, Umwelt, ländlichen Räumen und Nutztieren“ vermerkte Vorsitzender Ottmar Ilchmann. Vor allem können sich die Bauern gegen die explodierenden Pacht- und Bodenpreise nicht wehren. Eine deutliche Flächenbindung der Tierhaltung erkennt Ilchmann nicht. Die AbL setzt weiter auf gesellschaftliche Kräfte zur Kurskorrektur.
Unzufrieden ist auch der Deutsche Tierschutzbund, weil die Tierschutz-Verbandsklage wieder gestrichen wurde. Die Arbeitsgruppe Landwirtschaft hatte das noch vorgeschlagen. „Seriösen Tierschutzorganisationen verweigert die Koalition das Recht für die Tiere vor Gericht die Stimme zu erheben. Das Ungleichgewicht zugunsten der Tiernutzer wird damit durch Schwarz-Rot verlängert. Auch wenn wir bei einzelnen Punkten durchaus gute, erste Ansätze sehen, Tierschutzprobleme anzugehen, ist ein Koalitionsvertrag ohne eine Verbandsklage aus Sicht des Tierschutzes enttäuschend“, sagte Präsident Thomas Schröder.
Ernährung
Für den Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) ist das Positive das Ende langen und zähen Verhandlungen. Ansonsten bleibt der Vertrag bei „Bemühungen“, unter dem Dach des Verbraucherschutzes auch die Interessen der Lebensmittelunternehmen zu wahren. So soll der Verbraucher weiterhin selbstbestimmt und mündig seine Auswahl für Lebensmittel treffen und ein Eingriff durch lenkende Politik in das Produktangebot und die Produktvermarktung unterbleibe. „Zu Recht wird der Lebensmittelbereich im Koalitionsvertrag nicht zu den Märkten gezählt, in denen ein Defizit an Schutz und Vorsorge durch den Staat existiert. So ist dieser schon heute einer der am dichtesten regulierten Märkte in der Europäischen Union, in dem nicht mehr rechtliche Vorschriften notwendig sind, sondern in erster Linie eine Stärkung der Verbraucherbildung", erklärt Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff. Deutlich kritisch sieht der BLL allerdings die „völlig undifferenzierte Forderung nach einer verpflichtenden Kennzeichnung von Herkunft und Produktionsort bei sämtlichen Lebensmitteln.“ Das würde vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen erhebliche Kosten bringen.
Energiewende
Erhard Brandes, Vorstand des WWF, bezeichnete den Koalitionsvertrag als „Vorweihnachtlichen Wunschzettel ohne Bescherung“. Insbesondere vermisst der WWF verbindliche Klimaschutzziele. Die vorhandenen Eckwerte seien eine Bremse für den Umstieg auf neue Energien. „Mit einer solchen lauwarmen Energiepolitik könne Deutschland allenfalls Mitläufer in der europäischen und internationalen Klimapolitik sein“, heißt es beim WWF.
„Was die Umweltthemen betrifft, bleibt dieses Regierungsprogramm weit hinter den Möglichkeiten zurück“, kommentiert Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND. Es fehle ein Klimaschutzgesetz, das Verbot der grünen Gentechnik und eine Forcierung des Ausbaus erneuerbarer Energien. „Mit diesem Koalitionsvertrag drohen vier Jahre große Koalition für große Stromkonzerne“, sagte Weiger. Statt Energieeinsparmaßnahmen werden Subventionen für Kohlekraftwerke angeboten.
Ob die Energiewende gelingen kann, zeige sich in dieser kommenden Legislaturperiode, sagte Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Reck zeigte sich angesichts des Koalitionsvertrages optimistisch, dass die Energiewende gelingen kann. Er forderte eine „professionelle und einheitliche Steuerung“ und sprach sich für die Verantwortung bei einem Ressort aus. Die Parteien wollten zwar den Emissionshandel stärken und Zertifikate vom Markt nehmen, verpassten aber grundlegende strukturelle Reformen. Jetzt soll das EEG bis Ostern 2014 refomiert werden, Reck wolle aber erst die Ergebnisse eines Modellprojektes abwarten, um die wettbewerbliche Integration der neuen Energien umzusetzen.
Das Ausbautempo wird langsamer. Dr. Fritz Brickwedde, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), rechnet vor, was die 40 bis 45 Prozent erneuerbare Energien bis 2025 bedeuten: „Selbst wenn man den Wert von 45 Prozent annimmt, bedeutet das einen Zubau der Erneuerbaren von durchschnittlich 1,67 Prozent pro Jahr. Nach dem unteren Szenario von 40 Prozent sind es sogar nur 1,25 Prozent. Zum Vergleich: In den vergangenen fünf Jahren lag der Zubau im Durchschnitt bei 2 Prozent. Und noch im Jahr 2010, also vor der Reaktorkatastrophe von Fukushima, hatte die Bundesregierung einen durchschnittlichen Ausbau von 1,94 Prozent bis 2020 als Zielwert nach Brüssel gemeldet“.
Die neue Koalition wird die Energiewende „abwürgen“ interpretiert der grüne Energiepolitiker Hans-Josef Fell den Abschluss. Anstatt die deutsche Solarwirtschaft gegenüber China zu stärken gehen die Parteien davon aus, dass die bisherige Regelung sich bewährt habe. Auch eine Wiederbelebung des Biogassektors sei nicht in Aussicht. „Statt die Fehlentwicklung der Maismonokulturen mit einer Ökologisierung der Anbaufrüchte anzugehen, wird die Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe für neue Biogasanlagen gleich ganz verhindert“, so Fell. Schlecht bleiben auch die Bedingungen für die Wasserkraft und Windräder bekommen Vergütungssenkungen und Genehmigungshindernisse in den Weg gelegt. Die Einführung einer verpflichtenden Direktvermarktung werde vor allem für kleine Unternehmen eine unüberwindbare Hürde.
Ein kleiner Einschub im Koalitionsvertrag macht Eurosolar zu schaffen. Mit einem Refrenzwert von 75 bis 80 Prozent soll die Windkraft an Land nur noch an absoluten Top-Standorten möglich sein, womit der Ausbau der Windkraft als preiswerteste Energiequelle auf Land über Nacht beendet sei. Das stehe im Widerspruch zur Vereinbarung, die Kosten möglichst gering zu halten. Schon der Referenzwert 60 Prozent im EEG 2009 habe für das Aus der Windkraft in Süddeutschland zum Erliegen gebracht. In Hessen beispielsweise würde es nur noch im Vogelsberg neue Anlagen geben, prognostiziert Vorstand Stephan Grüger.
Entwicklungshilfe
Die Welthungerhilfe sieht im Koalitionsvertrag positive Signale. Das Ziel 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungshilfe auszugeben werde mittelfristig durch eine Steigerung der Entwicklungshilfe um zwei Milliarden Euro erreicht. "Das ist ein notwendiger Schritt und ein greifbares Zeichen an die internationale Gemeinschaft. Deutschland wird damit seiner Rolle als zuverlässiger Partner in der Welt gerecht. Darüber hinaus ist das klare Versprechen zur aktiven Mitwirkung an der Gestaltung der neuen globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele herauszustellen", betont Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe. Unbeantwortet bleibt aber die Frage nach einer abgestimmten Gesamtpolitik gegenüber Entwicklungsländern über alle Ressorts hinweg.
Verbraucher
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht in dem Koalitionsvertrag mehrheitlich eine Verbesserung für die Verbraucher. Der kollektive Verbraucherschutz soll beim Kartellamt, der Netzagentur und bei Bafin sowie dem Bundesverband für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) oberstes Motiv werden. „Aufsichtsbehörden sollten die Märkte stärker aus dem Blickwinkel der Verbraucher betrachten. Das hilft, schwarze Schafe schneller zu entdecken und zu bekämpfen“, sagt Gerd Billen, Vorstand des vzbv. Außerdem soll ein Sachverständigenrat für Verbraucherfragen eingerichtet werden, der Empfehlungen an die Politik ausspricht. Speziell im Bereich der Lebensmittel soll die Lebensmittelbuchkommission stärker am dem Leitbild „Wahrheit und Klarheit“ ausgerichtet werden. Den Verbraucherschützern fehlt allerdings das Konzept des Hygienebarometers.
Kommunen
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund freut sich über die Entlastung der Kommunen. Insbesondere über die Entlastung in Höhe von fünf Milliarden Euro bei der Eingliederungshilfe. Ebenfalls nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen Aufgaben für Kinderkrippen, Kitas und Schulen in Höhe von sechs Milliarden Euro und 600 Millionen Euro Städtebauförderung.
Lesestoff:
Hier können Sie den Koalitionsvertrag herunterladen (PDF) - - > Koalitionsvertrag 2013
Staatssekretär Peter Bleser (CDU) hat den Koalitionsvertrag aus Sicht des aktuellen Bundeslandwirtschaftsministeriums beschrieben: -- > Planungssicherheit und Perspektiven für eine starke Landwirtschaft in Deutschland“ (PDF)
Roland Krieg