Der Kompromiss beim Pflanzenschutz ist doch schon da
Landwirtschaft
Pflanzenschutz: Die Kontrahenten sind noch nicht reif für den Vorschlag
Bis 2030 sollen die Landwirte den Einsatz von Pflanzenschutzmittel um die Hälfte reduzieren. In Schutzgebieten sollen die Mittel nicht mehr eingesetzt werden. Es geht um den „Zustand der Natur“, in der die Menschen einen Teil abbilden. Im Sommer 2022 hat die Kommission im Rahmen des Green Deals nicht nur die „Wiederherstellung der Natur“ versprochen, sondern auch die Reduzierung der Pflanzenschutzmittel, die in vielfacher Weise negative Einflüsse auf die Natur, aber auch einen schützenden Aspekt der Lebensmittelsicherheit haben [1].
EU-Kommissarin Stella Kyriakides ist für die Gesundheit der Menschen verantwortlich und stellte sich am Montag den Fragen der EU-Abgeordneten im Agrarausschuss des Europaparlaments. Seit diesem Sommer hat es in der Diskussion nur wenige Fortschritte gegeben und die Befragung wurde sehr kontrovers geführt. Selbst die Kommissarin musste sich zusammenreißen, die übliche EU-Fassung zu wahren. Mehrfach betonte sie den Vorschlagscharakter, der im Zusammenspiel mit Parlament und Agrarrat ausformuliert wird. In der Öffentlichkeit aber warnen Umweltakteure vor der Vergiftung der Natur und Bauernvertreter vor dem Verlust der Lebensmittelproduktion. Das naheliegende entschwindet dem Blickpunkt.
Das „Non-Paper“
Die Kommission trägt bei der Verwirrung Mitschuld. Kyriakides unterstrich zu Beginn, dass sie die Sorgen der Landwirte ernst nehme und das Thema Lebensmittelsicherheit mit dem russischen Überfall auf die Ukraine an Schärfe gewonnen hat. Bedenken gegen den Vorschlag sollten aber nicht das eigentliche Ziel verkleinern, der Natur ihren Stellenwert zurückzugeben und negative Auswirkungen zu verringern. Die Krisen der Artenvielfalt und Klimaveränderungen schreiten fort. Auf Arten, die verloren gehen, kann die Landwirtschaft auch nicht mehr als Nützlinge einsetzen. Für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren wolle die Kommission die Landwirte für den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) entschädigen. Die sensiblen Regionen für das Totalverbot sind bislang nur grob ausgezeichnet.
Seit diesem Vorschlag hat sich die Kommission auf die zahlreichen Proteste bewegt, aber nur mit einem sogenannten „Non-Paper“ an den Rat. Darin werden die sensiblen Gebiete gegenüber den EU-Mitgliedsländern verfeinert. Bei diesem Schritt fühlt sich das Parlament aber schon übergangen und Martin Häusling (Die Grünen/EFA-Fraktion) weiß nicht mehr, über welchen Vorschlag das Parlament verhandeln soll: Über den Sommer-Vorschlag 2022 oder über das „Non-Paper“. Nach Kyriakides greife dieses Papier nicht der Parlamentsentscheidung vor. Zudem sagte sie, dass der Rat den Kommissionsvorschlag auch nicht in der Weise abgelehnt hat, wie es hörbar im Parlament der Fall ist.
Der schwierige Abschied
Für den Koordinator der EVP-Fraktion Herbert Dorfmann (Südtirol) gehe die Kommission von einer falschen Annahme aus. Auf die Hälfte der Pflanzenschutzmittel könnten die Landwirte verzichten. „Und das stimmt ganz einfach nicht.“ Dorfmann zieht einen Vergleich zum Energiesektor, bei dem Kohle und Atom als Quelle abgeschafft werden, aber die EU dafür Energie aus dem Ausland hinzukaufen muss. Das werde auch bei der Lebensmittelproduktion geschehen: „Meine Fraktion ist nicht bereit, das Risiko mitzugehen.“ Mit ein bisschen Verbesserung würde der Vorschlag nicht besser, die Kommission müsste einen komplett neuen Vorschlag machen.
Die spanische Sozialdemokratin Clara Aguilera erkennt zwar die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit des Vorschlags an, Landwirte hätten aber keine Alterativen, wenn Mittel wegfallen. Für die heterogenen Standortbedingungen in der EU könne kein einheitlicher Vorschlag für den Pflanzenschutz gemacht werden. Nach Aguilera reichen die GAP-Mittel für Entschädigungen nicht aus.
Peter Jahr (CDU) lobte an dem Kommissionsvorschlag lediglich die Überschrift.
Die Toolbox
Die deutsche Sozialdemokratin Maria Noichl unterstreicht, dass nur die nachhaltige Landwirtschaft die Menschen satt mache. Im Zulassungsprozess für Pflanzenschutzmittel werden nicht genug Kriterien für die Umweltauswirkungen geprüft. Ulrike Müller (Freie Wähler – Renew) schenkt dem Non-Paper Beachtung, kritisiert aber die zu kleinen Fortschritte. Landwirte bräuchten „eine wirkungsvolle Toolbox“ für den Pflanzenschutz. In einigen Kulturen gibt es keine wirkungsvollen Mittel mehr. Innovationen wie Präzisionslandwirtschaft und neue Züchtungstechnologien (Veronika Vrecionová, Reformisten (ECR), Tschechien) werden von den Abgeordneten genauso angeführt, wie auch die von Häusling angeführte Überprüfung, ob wirklich jeder Einsatz einer Pflanzenschutzanwendung notwendig ist.
Der integrierte Pflanzenschutz
Die Innovationen, die Liste von zunächst einmal 20 zugelassenen Mittel mit geringem Risiko, der sparsame Einsatz in Schutzgebieten entsprechen einer Methode, die weder rein ökologisch noch rein konventionell ist und erst sichtbar wird, sobald die Trennung zwischen beiden Landbewirtschaftungsformen überwunden wird. Dem integrierten Pflanzenschutz (IPS). Ausgerechnet in der vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aktuell vorgestellten Broschüre „Alternativen zu den chemisch-synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft“ bekommt der integrierte Pflanzenschutz eine prominente Rolle [2]. Wenngleich auch mit den branchenüblichen Begriffen „Umweltgift-Broschüre“ beworben.
Der Begriff taucht allein in der Zusammenfassung siebenmal auf und wird als systemischer Ansatz“ auf eine vergleichbare Stufe wie der Ökolandbau gestellt. Das Grundprinzip besteht aus einer Abstufung von Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen. Die ganze Palette ackerbaulicher Maßnahmen von Baumreihen bis zu Fruchtfolgen steht wie die landwirtschaftliche Praxis der mechanischen Unkrautbekämpfung eindeutig im Vordergrund. Standortangepasste Sorten und Züchtungsfortschritt gehören auch dazu. Ganz zuletzt greifen Landwirte nach dem Schadschwellenprinzip auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zurück. In den Spezialzeitschriften für den Ackerbau ist der integrierte Pflanzenschutz nahezu in jeder Ausgabe Thema.
Die Studie weiß auch, warum der integrierte Pflanzenschutz seit rund 40 Jahren zu wenig umgesetzt wird: Es fehlt an festgelegten Reduktionszielen für den Mitteleinsatz. Es fehlt an Anreizen, alternative Methoden einzusetzen. Und: Es gibt noch immer keine wirtschaftliche Ökonomie, die mannigfaltige Fruchtfolgen bis hinunter auf die einzelne Kultur finanziert [3]. Wer also die Potenziale der nicht chemischen Pflanzenschutzmaßnahmen heben will, der kommt um den integrierten Pflanzenschutz nicht herum. Man muss die Broschüre nur richtig und ohne Scheuklappen lesen. Allerdings ist sie auch nicht fehlerfrei. Der Landwirte Kampf gegen Unkräuter ist viel einfacher als gegen Bakterien und Viren, die von Insekten in die Kultur übertragen werden. Da muss der Blick über die Grenzen des Feldes hinausgehen. Die Studie nimmt auch Stellung zu den möglichen Ertrags- und Einkommensverlusten durch den Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz Stellung. Zumindest ringen sich die Autoren zu dem Satz hin, dass diese „sorge nicht immer berechtigt“ ist und Studien darüber sehr unterschiedlich ausfallen. Am Ende wird das Ernährungsverhalten bestimmen, was die Landwirte anbauen. Es gibt aber auch Fehler. Der Ökolandbau setze keine chemisch-synthetischen Pestizide ein, heißt auf Seite 28. Die CSU-Abgeordnete Marlene Mortler wies im Agrarausschuss darauf hin, dass „SpinTor“ als höchst bienengefährliches Pflanzenschutzmittel für den Ökolandbau immer wieder als Notfallzulassung eingesetzt wird – weil „Alternativen“ kaum vorhanden sind.
Lesestoff:
[1] Wir und die Natur brauchen uns gegenseitig: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-wiederherstellung-der-natur.html
[2] Neues Denken im Ackerbau und der Ökonomie: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-zeit-schlaegt-fuer-den-integrierten-pflanzenschutz.html
[3] Potenziale alternativer Pflanzenschutzmaßnahmen: www.bund.net/landwirtschaft
Roland Krieg
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