Der Kuh fehlt der Ermüdungsschutz
Landwirtschaft
Milchleistung und Gesundheit
>Täglich acht Kilo Milch reichen für die Ernährung eines Kalbes - nicht jedoch für die Milchwirtschaft. Da sind Leistungen von 50 kg pro Tag keine Seltenheit mehr und bedeuten für das Tier eine Höchstleistung: Bei dieser Menge scheiden die Kühe täglich 1,6 kg Eiweiß. 2 kg Fett und 2,4 kg Zucker aus. Pro Kilogramm Körpergewicht setzt der Stoffwechsel des Tieres rund 120 kcal um: Das entspricht dem Doppelten Umsatz eines menschlichen Hochleistungssportler.Die Kuh im Stall steht im Mittelpunkt der Tiergesundheit und des Tierverhaltens, des Umweltschutzes, der Verbrauchererwartungen und den ökonomischen Anforderungen des Wettbewerbs. Der Wettbewerb prägt die Betrachtung am deutlichsten, wie Tierernährer Prof. Dr. Albert Sundrum der Universität Kassel auf dem 26. Kongress der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG) Anfang April in Berlin betonte.
Tiergesundheit unterhalb des Skandallevels
Steigenden Produktionskosten bei sinkenden Erzeugererlösen begegnen die meisten Betriebe mit einer Erhöhung der Viehbestände. Alternativ wird intensiv die Zucht genutzt, um eine Leistungssteigerung bei den Tieren zu erwirken. Nicht schlagartig, aber in abgestufter Form treten dabei jedoch bestimmte Krankheiten auf, die den Prozess einer überforderten Anpassungsfähigkeit charakterisieren. Das Ergebnis verschiedenster Einzelstudien zeigt, dass mit steigender Leistung die Wahrscheinlichkeit des Auftretens verschiedener Krankheiten zunimmt. Ergebnisse aus Bayern belegen, dass Eutererkrankungen und Klauenprobleme zwischen 1970 und 2002 die häufigsten Ursachen zu unerwünschten Abgängen aus der Herde bildeten.
Prof. Sundrum machte aber auch deutlich, dass Hochleistungskühe nicht automatisch krank werden müssen, sofern Haltung und Fütterung den physiologischen Bedingungen angepasst sind. Daher ist die Antwort auf die Probleme nicht eindeutig der züchterischen oder betrieblichen Ebene zuzuordnen. Gesundheitsmerkmale haben unglücklicherweise eine geringere Vererbbarkeit als Krankheitsmerkmale und sind negativ mit Leistungsparametern korreliert: also mit weniger Milchertrag. Umweltfaktoren sind sehr schwer abzubilden, denn jeder Betrieb hat mit einer bestimmten Haltung, eigenem Stallklima, eigenem Futter und individuellem Management eine eigene Umweltwirkung auf die Tiere.
Neurohormonelle Milchleistung
Die Milchleistung der Kuh ist nicht vegetativ bestimmt, sondern durch Hormone, weswegen es keinen Ermüdungsschutz gibt, wie beispielsweise bei einem Läufer, der irgendwann einmal stehen bleibt, wenn er nicht mehr kann. Die hormonelle Steuerung bedingt, dass die Tiere nicht deshalb weniger Milch geben, wenn die Umwelt oder das Futter schlechter werden. Da fehlt der Kuh ein Regulationsmechanismus.
Eine Kuh, die täglich 25 kg Milch gibt, verzehrt etwa 19 kg Futter (Trockensubstanz) pro Tag, dass eine Energiedichte von 6,3 MJ/kg aufweisen muss. Eine Kuh mit 55 kg Milch pro Tag verbraucht schon 26 kg Futter (Trockensubstanz) mit einer Energiedichte von 8,2 MJ/kg. Solche Energiedichten sind nicht mehr nur über das Grundfutter Heu, Silage oder Stroh zu erzielen.
Zumal unterliegen die Grundfutter saisonalen Qualitätsschwankungen, die auch durch die Werbung und Lagerung in den Betrieben mit beeinflusst werden kann und auch das Tier hat nicht jeden Tag den gleichen Appetit. Die Kuh wandelt bei der Futteraufnahme und der von ihr erwarteten Leistung auf dem schmalen Grat zwischen Acidose und Ketose. Die Acidose ist eine Pansenübersäuerung durch Aufnahme zu vieler leicht verdaulicher Kohlenhydrate. Die Ketose entsteht durch einen erhöhten Glucosebedarf bei der Milchabgabe, wenn es zu Störungen im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel kommt (kein Abbau aktivierter Essigsäure durch ungenügende Mengen Oxalacetat). Prof. Sundrum fasst zusammen: "Mit zunehmender Leistung nimmt die Fehlerfreundlichkeit des Systems ab."
Tiergesundheit kostet Geld
Eutererkrankungen, Klauenprobleme und Unfruchtbarkeit sind zu einem ernsthaften Problem geworden, stellt Prof. Sundrum fest. Das sei "nicht tolerabel", wohl aber auch schwer zu lösen. Natürlich entspricht es nicht dem Tierschutzgedanken, aber das Thema ist auch schwer zum Verbraucher zu transportieren. Der Referent warnte vor den Verbrauchererwartungen, die nur allzu leicht in Kaufzurückhaltungen münden könnten.
Insgesamt müsse man von der Gleichung abweichen, dass eine Leistungssteigerung mit Kostensenkungen verbunden ist. Innerhalb eines Leistungsniveaus von 8.000 kg Milch können Betriebe Produktionskosten zwischen 27 und 43 Cent pro Kilogramm aufweisen, was mitunter eine höhere Variabilität ist, als die Kostenunterschiede zwischen 6.000 und 8.000 kg Leistungsproduktion. In dem Zusammenhang spricht der Tierernährer auch von der "Fortschrittsfalle Landwirtschaft" und fordert den "genetischen Fortschritt zu entschleunigen". Allerdings sieht er die Tiergesundheit als eine von vielen Produktionszielen nur dann erfolgreich etabliert, "wenn sie als eigenständiges Marktkriterium festgelegt wird". Das geht nur über den Preis. Milch hat hier einen enormen Nachholbedarf, denn fettreduzierte Milch vom Discounter ist ein anderes Marksegment als klösterliche Premiummilch, die auch sogar noch teurer sein kann als Ökomilch. Höhere Produktdifferenzierungen durch den Verbraucher sind notwendig.
Roland Krieg