Der Markt gehört den Mutigen

Landwirtschaft

Landwirte erleben historisches Jahr 2016

Manchmal kommt eine Zeitenwende langsam. Niedrige Preisen waren Landwirte schon immer ausgesetzt. Nach jedem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Doch was sich ökonomisch weltweit zusammengebraut hat entspricht einer meteorologischen Superzelle, die offenbar erst 2017 auf Land trifft und an Stärke verliert. Die Zerstörung ist bereits abzusehen und die Landwirtschaft ist nicht mehr das, was sie lange war oder hätte bleiben sollen.

Drei gute und globale Ernten hintereinander hat es bereits öfters gegeben. Nach den aktuellen Schätzungen des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, der EU und der FAO steht auch 2016/2017 ein weiteres gutes Getreidejahr an. Die Lagerbestände konnten zuletzt gut aufgebaut werden, Argentinien wird vom neuen Präsidenten aus der abgeschotteten Agrarpolitik „entfesselt“ und China löst beispielsweise sein Lager von 85 Millionen Tonnen Mais, was dem eineinhalbfachen der deutschen Jahresgetreideernte entspricht, langsam auf.

Konnten Tierhaltungsbetriebe mit Marktfruchtanbau niedrige Milch- und Fleischpreise fast immer mit höheren Getreideerlösen ausgleichen, so stehen sie einem Agrarpreistief in nahezu breitestem Ausmaß gegenüber. Dr. Klaus-Dieter Schumacher von der BayWa AG konnte auf der Agrarfinanztagung des Deutschen Bauernverbandes und der Deutschen Rentenbank diesen Donnerstag für den Ackerbau alles andere als eine Entwarnung geben. Für den Milchmarkt prognostizierte Dr. Holger Thiele vom Informations- und Forschungszentrum für Ernährungswirtschaft in Kiel (ife) keine Besserung vor 2017.

Höhere Futterkosten haben in der Vergangenheit die Milchproduktion gebremst, aber da sie ebenfalls sinken, geht die Produktion nicht zurück. Dabei „profitieren“ die deutschen Milchbauern derzeit noch von einem Milchwert in Höhe von 22,4 Cent je kg. Den berechnet das ife als durchschnittlichen Verwertungsindex für die Marktsegmente Käse, Molke, Trinkmilch, Spotmarkt, Butter und Pulver. Wenn die Landwirte noch durchschnittlich 26 Cent erhalten, liege es daran, dass die Molkereien dafür noch vier Cent aus der eigenen Schatulle oben drauf legen. Das zehrt an den Molkereien in einer monatlichen Größenordnung von 100 Millionen Euro. Ein Ende ist absehbar. Auf Dauer, so Dr. Thiele, drohe auch den Molkereien ein Liquiditätsengpass. Wäre der Euro stärker als derzeit mit rund 1,15 pro US-Dollar, würde sich der Milchwert in Höhe des Spotpreises von 16 bis 18 Cent je Kilo Milch einpendeln. Die „guten“ Prognosen für den Milchmarkt 2017 basieren auf einem schwachen Euro. „Sonst müssen wir neu denken!“.

„Die Holländer sind schon da“

„Wohin wir auch kommen, die Holländer sind schon da.“ Ein verzweifelter Satz von DMK-Aufsichtsratsmitglied Heinz Korte. Das Deutsche Milchkontor hat zwar in den letzten Jahren 700 Lieferanten verloren, verarbeitet aber immer noch die gleiche Menge Milch. Weltweit geben weder Ackerbauern noch Tierhalter freiwillig die Produktion auf und versuchen gegen die niedrigen Preise anzuproduzieren. Rentabel ist das nicht, wenn mikroökonomisch für Bauernpräsident Joachim Rukwied auch verständlich, aber makroökonomisch eben fatal. Auf dem Binnenmarkt ist für die DMK kaum noch ein Gewinn zu erzielen. Der Markt ist gesättigt. Seit einem Jahr stellt sich der Molkereiriese nach den Vorbildern Friesland/Campina aus den Niederlanden und Arla aus Schweden auf. Friesland/Campina ist seit einigen Jahrzehnten mit 8.000 Arbeitskräften international unterwegs und hat im letzten Jahr einen Gewinn der ausländischen Töchter von 300.000 Millionen Euro vermelden können. Da will die DMK auch hin.

„Es hilft nichts, alles aus der nationalen Brille zu sehen“, sagte Schumacher. Die europäische Agrarproduktion ist an den Weltmarkt gekoppelt. Ein Liter Fleisch und ein Liter Milch werden in modernen Kühlcontainern für 10 bis 12 Cent je Kilo um die Welt transportiert, führte Dr. Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen an. Die Holländer liefern über den Hafen Hamburg Trinkmilch als Rück- und „Ballast“fracht nach China. Das gilt auch für den Schweinemarkt. Wer heute in die Ferkelproduktion oder in die Schweinemast einsteigen wollte, der wird einen Geschäftsplan mit 40 Euro pro Ferkel oder 1,40 Euro pro Kilo Schlachtschwein aufstellen müssen.

Ausweg Öko?

Die Bioproduktion lebt derzeit von ganz anderen Preisen. Milch liegt um das doppelte, das Kilo Schlachtschwein um das Dreifache über dem konventionellen Markt. Doch wer umsteigt, der muss sich auch auf andere Faktorkosten einstellen. Zudem sieht Heinz Korte derzeit den Markt für neue Biomilch bei nicht mehr als 300.000 Millionen Liter. Beim Schweinefleisch sieht es noch düsterer aus. In ganz Deutschland gibt es nur 250.000 Bioschweine pro Jahr. Die Jahresmenge (Marktanteil 0,6 Prozent) entspricht nach Dr. Hortmann-Scholten gerade einmal einem Viertel der Menge, die im konventionellen Bereich wöchentlich geschlachtet wird.

Jetzt wird es ernst

21 Prozent der deutschen Landwirtschaftsbetriebe haben Liquiditätssorgen, bei den Tierhaltungen sind es 27 Prozent. Das erste europäische Liquiditätspaket ist abgerufen. Die europäischen Agrarminister werden ein zweites Liquiditätspaket erst im Juni-Rat besprechen. Früher ist nicht absehbar, welche zusätzlichen Gelder zur Verfügung stehen. Wer also bei weiter sinkenden Preisen schon die Taschen umstülpen muss, für den werden die nächsten Monate richtig knapp. Einen Rückgang der Milchanlieferung in Europa sieht Dr. Thiele erst im Mai und Juni 2016. Dann unterschreiten Betriebe ihre Liquiditätsschwelle.

Wer gibt auf? Viele kleinere Betriebe gehen in den Nebenerwerb und subventionieren ihre Landwirtschaft ohne Entlohnung der Arbeitskosten weiter. Für die in der Vergangenheit wachstumswilligen Betriebe mit Zins- und Tilgungspflichten gibt es diesen Weg nicht. Aktuell bieten die Hausbanken eine Tilgungspause an. Die wird über die Rentenbank weiter beantragt, wobei das Risiko bei der Hausbank bleibt. Also wird die Hausbank diesen Sommer entscheiden, wem sie wie lange eine Pause gönnen kann – mit Rücksicht auf ihre eigenen Verpflichtungen. Die Molkereien werden entscheiden, ob sie den Aufschlag von vier Cent je Liter Milch noch weiter tragen werden können.

Im Sommer 2016 wird es darum gehen, die Krise nicht auf die vor- und nachgelagerten Bereich ausdehnen zu lassen, sondern auf den Erzeugerbereich zu beschränken.

Jetzt noch investieren?

Für Rukwied keine Frage: „Ja, sie können, sie müssen in das Risiko gehen.“ Die Banken können sich über die hohe Eigenkapitalquote der Landwirte, die bundesweit im Durchschnitt bei 68 Prozent liegt, absichern. Zumal sind die Betriebe auf Generationen, also einer langen Produktion, ausgerichtet. Doch ob die Banken am Ende nicht lieber einen schnellen Return vorziehen, bleibt offen. In Ostdeutschland sind schon Milchsegmente an neue Investoren gegangen. Das erfahren derzeit auch die Neuseeländer. Selbst auf den Vollweidesystemen kommen manche Betriebe mit dem Preis nicht mehr klar. Dort steigen bereits chinesische Investoren ein.

Die Struktur der Landwirtschaft in Deutschland wird sich ändern. Sie wird sich polarisieren, wie es Bioland-Vorstand Jan Plagge auf dem Landwirtschaftskongress von CDU/CSU diese Woche im Bundestag formuliert hat. Allerdings als Warnung: Es wird eine weltmarktorientierte Agrarwirtschaft und eine gesellschaftsorientierte Landbewirtschaftung geben. „Es gibt einen Markt, der global nicht austauschbar ist. Und der braucht einen politischen Rahmen“, forderte Plagge. Für die Politik heißt das: Endlich eindeutig Stellung beziehen und Rahmen aufbauen, die für beide Seiten eine Existenz sichert. Denn derzeit ist das Politikrisiko größer als das Marktrisiko. Kein Landwirt und kein Berater weiß, wie ein neuer Stall aussehen kann, der auch künftig Tierwohl und Einkommen sichert. Die derzeitigen Auflagen führen nach Hortmann-Scholten wieder zu ansteigenden Arbeitsaufwänden und nicht entlohnten Mehrkosten. Das ökonomische Optimum sei in den meisten Ställen nicht mehr zu finden. Wenn die Gesellschaft mehr Tierwohl will, dann müssen die Landwirte neue Ställe bauen. Den Mutigen wird der eine oder andere Markt gehören – aber Mut alleine reicht nicht mehr.

Roland Krieg

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