Der private Baum im globalen Klima
Landwirtschaft
EU-Forststrategie will multifunktionale Wälder

Auf 161 Millionen Hektar des EU-Gebietes wächst Wald. Das entspricht rund fünf Prozent der weltweiten Waldfläche. Davon steht etwa ein Viertel unter Schutz von Natura 2000 und lediglich vier Prozent werden als Urwälder oder Primärwälder klassifiziert. Davon ist etwa die Hälfte von Menschen wirklich unberührt.
In Wirtschaftsdaten ausgedrückt, besteht der Wald inklusive Baumstümpfen aus 21 Milliarden Kubikmeter Holz. Jährlich kommen netto 1,2 Milliarden Kubikmeter dazu. Von denen werden gegenwärtig 731 Millionen Kubikmeter forstlich genutzt. Für Bauholz, Zellstoff und thermische Verwertung.
Darüber hinaus besitzt der Wald seine Rolle als Senke für atmosphärisches Kohlendioxid, dient der Bevölkerung als Erholungsraum, bietet pflanzlichen und tierischen Arten Schutz und sichert Boden und Gewässer.
Was so viele Funktionen erfüllen soll, bleibt nicht ohne Interessenskonflikte. Der Wanderer fühlt sich durch den Mountanbiker gestört, die Forstwirtschaft muss sich gegen Naturliebhaber fürchten und an den Wald gibt es zudem verschiedene Besitzansprüche. In Deutschland gelten der Staats- und der Kommunalwald als öffentlicher Wald. Den freien Zugang zum Wald müssen auch die vielen Privatwaldbesitzer dulden. Und wenn sich die EU in die Forstpolitik einmischt, sind Kompromisse schwer zu finden.
Seit 2013 sucht die EU eine Fortsetzung der bislang zwei vergangenen Forststrategien. Neben den Beschäftigungseffekten für den ländlichen Raum und der Bioenergie, soll der Wald auch Industriepolitik und Klimaschutz genügen und die Biodiversität absichern [1]. Vor einem Jahr hat EU-Agrarkommissar Phil Hogan vor dem EU-Ausschuss für Landwirtschaft die neue Sicht auf eine nachhaltige Waldbewirtschaftung vorgetragen [2].
Am Montag gab es dazu eine Anhörung vor den drei Parlamentsausschüssen Landwirtschaft, Umwelt und Energie. Die größte Frage bleibt bestehen: Wer ist für die Forstpolitik zuständig? Bleibt die Verantwortung bei den Mitgliedsländern oder strebt die EU ähnlich wie in der Agrarpolitik eine gemeinsame Forstplanung an? Obwohl: In der Agrarpolitik will die EU jetzt den Ländern mehr Verantwortung zurückgeben. Im Entwurf steht der Satz, dass die nationalen Verantwortlichkeiten berücksichtigt werden müssen.
Bedeutung steigt
Im Rahmen der Dekarbonisierung der Wirtschaft wird Holz nicht nur thermisch und baulich mehr genutzt werden müssen. Marc Palahí, Direktor des Europäischen Forstinstituts, verweist auf Chemie, Verpackungsindustrie und Kosmetik, die ebenfalls die meisten Rohstoffe aus Erdöl beziehen und künftig auf nachwachsende Kohlenstoffketten umsteigen müssen. Dabei spielt der Wald als landbasierte Infrastruktur die größte CO2-Senke Europas und sichert unter seinen Wurzeln die Grundwasserneubildung. Wälder und Bäume sind das Rückgrat zukünftig klimaresilienter Städte.
Im vorliegenden Papier vermisst Heikki Granholm aus dem finnischen Forstministerium Kohärenz und Koordinierung zwischen den einzelnen Sektoren. Im Rahmen des Pariser Klimavertrages müsse die Waldpolitik international mehr an Bedeutung gewinnen. Granholm sieht in den Vorschlägen keinen Eingriff in die nationalen Forstpolitiken, sondern eine gemeinsame Festlegung auf verbindliche Ziele. Die künftige Strategie für die EU-Bio-Ökonomie müsse eine deutliche forstwirtschaftliche Vision enthalten.

Trendwende in der Waldbetrachtung
In der ersten Waldstrategie war die forstwirtschaftliche Nutzung für den Präsidenten der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, Philipp Freiherr zu Guttenberg, noch ausreichend vorhanden. Europaweit gibt es 17 Millionen Privatwaldbesitzer, die ihren Wald wirtschaftlich zu nutzen gelernt haben, ohne die anderen Funktionen zu beeinträchtigen. Es gebe mit dem Begriff „Zeitalter des Holzes“ bereits eine Vision, die aber nur umgesetzt werden kann, wenn der Wald auch wirtschaftlich genutzt wird. Die Signale aus der ersten Strategie werden jedoch immer schwächer wahrgenommen und sind aktuell sogar untergeordnet. Freiherr zu Guttenberg, der auch Vizepräsident der Europäischen Waldbesitzerverbände ist, begegnet den Verordnungen zu Landnutzungsänderungen, der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Neufassung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED II) mit Skepsis. Mit einer Begrenzung der Holzmobilisierung beraubten sich die Europäer einer der intelligentesten Ressourcen.
Forstwirtschaft hat zwei Seiten
Zwischen den beiden Extremen Kahlschlag und unberührtem Urwald liegen Welten. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Damit gewinnt der private Baum auch seine Bedeutung im globalen Klimakontext. Wie lange bleibt er stehen? Denn nur wachsende Wälder bilden eine Senke für Kohlenstoff. Und wie lange wird er wo genutzt? Schnell verbrannt oder lang verbaut? Es kommt also auf das „Wie?“ der Forstwirtschaft an.
Und da hat der in diesem Jahr veröffentlichte Bericht der Europäischen Akademie des Wissenschaftlichen Beirates (EASAC) Basisarbeit geleistet. Jaana Bäck von der Universität Helsinki hat ihn den Parlamentariern vorgestellt [3]. So schreibt er den Privatwaldbesitzern eine wachsende Beachtung der anderen Funktionen des Waldes zu. Das müsse über die nationalen Forstpolitiken gewährleistet bleiben. Im Bereich des Artenschutzes müssen die Länder ihre Biodiversitätspolitiken miteinander abstimmen, um Korridore für Fauna und Flora nicht zu unterbrechen. Mehr Biodiversität bedeutet auch höhere Forsterträge. Die Wälder müssen mit vielen verschiedenen Baumarten klimaresilient gemacht werden. Wenn Europa seine Klimaverträge erfüllen will, komme die Union nicht um eine gemeinsame Erhöhung der Senkenfunktion aus. Im Rahmen der Landnutzungsänderungen (LULUCF) sollen die Mitgliedsländer nationale Referenzlevel für ihre Wälder festsetzen. Damit können sie höhere Emissionen über Wälder gutschreiben lassen. Der EASAC-Bericht fordert eine Revision dieser Pläne. Generell sollen Nachhaltigkeitskriterien auf EU-Ebene festgelegt werden, die von den Mitgliedsländern beachtet werden müssen.
Der Streit um Bialowieza
Kein Fall verdeutlicht die Spannungen derzeit besser als der Streit um den Bialowieza-Wald in Ostpolen. Das rund 200 Quadratkilometer große Waldgebiet an den Grenzen zu Litauen und Weißrussland ist als Unesco-Weltnaturerbestätte und als Biosphärenreservat deklariert. Die EU hatte Polen wegen großem Holzeinschlag vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Diesen August kam das Urteil. Sollte Polen weiterhin große Mengen an Holz in Bialowieza einschlagen wird täglich eine hohe Geldstrafe fällig. Polen hatte m letzten Jahr den Einschlag verdreifacht. Der Direktor der Nationalen Forsten, Konrad Tomaszewski, war ebenfalls zur Anhörung geladen und legte noch einmal die Position Polens dar. Bilder der Luftwaffe hätten schon eine intensive Holzwirtschaft in Bialowieza belegt. Und schon da war der Wald alles andere als ein Primärwald. Die Forderung, dass sich die Menschen weitgehend aus der Natur zurückziehen fuktioniere in Zeiten der Urbanisierung nicht mehr. Wälder seien schon historisch bedingt fragmentiert. Als Begründung für den Einschlag gilt der Befall der Bäume mit dem Buchdrucker.
Polen wird im nächstenJahr die internationale Staatenkonferenz zum Klima COP 24 ausrichten. Tomaszewski versprach zweierlei: Einmal will Polen bis dahin die Einschlagsgebiete wieder renaturieren. Zum anderen will Polen eine wissenschaftliche Dokumentation vorlegen, dass Forstwirtschaft im Rahmen der Klimaverhandlungen möglich ist. Polen stehe, so Tomaszewski, zu seinen Pariser Klimaversprechen.
Lesestoff:
https://ec.europa.eu/agriculture/forest/strategy_en
[1] Forststrategie zwischen Nutzung und Waldschutz: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/eu-forststrategie-zwischen-nutzung-und-waldschutz.html
[2] Hogan will nachhaltige Waldwirtschaft: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/vielstimmiger-weg-zur-eu-forststrategie.html
[3] easac: Multi-functionality and sustainability in the European Union´s forests: http://www.easac.eu/home/reports-and-statements/detail-view/article/multi-fun.html
Roland Krieg; Fotos: roRo