Der schwere Weg zum fairen Handel
Landwirtschaft
Agri diskutiert über Geflügelfleisch und Rindfleischimporte

„Nichts gegen Wettbewerb, nichts gegen Handel, aber zu fairen Bedingungen.“ Was der CDU-Politiker Peter Jahr am Montagnachmittag so bündig zusammenfasste, ist alles andere als einfach. Der Agrarausschuss des Europarlaments (Agri) diskutierte über Entschließungen zum Import von ukrainischem Geflügelfleisch und US-amerikanischem Rindfleisch. Beides sorgt für Wirbel und Schlagzeilen, ist aber nach John Clarke, Direktor für den Außenhandel bei der EU-Agrarkommission, abschließend als Erfolg zu bewerten. Um was geht es?
Den Flügel dran gelassen
Die EU ist kein Selbstversorger bei Geflügelfleisch. Dieser Sektor zeigt seit mehr als zehn Jahren ein stetes Wachstum. Im Assozierungsabkommen mit der Ukraine darf das Land Hähnchenbrustfleisch zollfrei in die EU exportieren. Das Kontingent ist aber bis Ende 2019 auf 20.000 Tonnen begrenzt. Rechtzeitig haben die Ukrainer 2016 ein „neues Produkt“ entwickelt. Sie haben beim Brustfleisch einen der Flügel dran gelassen und durften dieses „Produkt“ nach Billigung der EU mit dem Zollcode KN-Code 0207 1370 zollfrei ohne Kontingent exportieren. Dieser Trick reichte aus, um das Volumen dieses „custom chicken cut“ im letzten Jahr auf 55.500 Tonnen zu katapultieren. Das aber untergräbt den Schutz der europäischen Geflügelfleischerzeuger, die mit der Kontingentierung bei Brustfleisch ohne Flügel geschützt werden sollten. So hat es Zbigniew Kuzmiuk von den polnischen Konservativen in seinem Entschließungsantrag für den Handelsausschuss aufgeschrieben. Vor allem die polnischen Geflügelmäster sind von der „Überflutung“ des europäischen Marktes mit ukrainischer Ware betroffen. Kuzmiuk will die Einfuhrkontingente für das geflügelte Brustfleisch auf alle Monate des Jahres verteilen, den Import wegen Marktstörung vorübergehend auszusetzen und die Ukrainer verpflichten, europäische Tierschutzbestimmungen einzuhalten.
Der für die Grünen im Agri sitzenden Sarah Wiener ist vor allem der ukrainische Konzern MHP ein Dorn im Auge, der mit 300 Millionen Masthühnchen im Jahr „in die Schienbeine der ukrainischen Kleinbauern grätscht“. Sie wertet den Trick mit dem übrig gebliebenen Flügel als Betrug, der in der Änderung des Assozierungsabkommen nicht formalisiert werden sollte. Ähnlich sieht es die niederländische Christdemokratin Annie Schreijer-Pierik. Der Trick solle jetzt nicht noch belohnt werden.
Trotzdem solle das Abkommen mit der Ukraine geschlossen werden. Anne Sander (Christdemokratin aus Frankreich) fordert neue EU-Schutzklauseln und ihre österreichische Parteikollegin Simone Schmiedtbauer plädiert für ein gemeinsames Herkunftszeichen „als Chance für die Bauern und Chance für die Konsumenten.“
Clarke hat die skeptische Zustimmung zum Kommissionsvorschlag vernommen und auf die EU-Vorschläge verwiesen, die das Kontingent für Brustfleisch und andere Teile insgesamt um 50.000 Tonnen „ausgewogen“ erhöhen. Das sei immerhin weniger, als die Ukraine im letzten Jahr an Geflügelfleischprodukten in die EU importiert habe. Ein spezieller Safe Guard Mechanismus sei nicht notwendig, weil im Rahmen eines Zollkontinents, Gegenmaßnahmen schneller umgesetzt werden könnten. Es sei zwar richtig, das sich die Ukraine in diesem speziellen Fall nicht an die EU-Standards halte, aber die Ukraine hat sich verpflichtet in den nächsten Jahren alle EU-Standards für ihre Exporte zu übernehmen. Soweit sei noch kein Drittland im Handel mit der EU gegangen.
Maria Noichl von der SPD ist dennoch nicht zufrieden. Denn umgekehrt exportiert die EU sogar noch mehr Geflügelfleisch in die Ukraine: „Dieses Hin und Her kann nicht die Zukunft sein.“
Rindfleisch-Währung für die USA
Den von Noichl angesprochenen Unsinn kann der Ire Luke Ming Flanagan von der Vereinigten Linken bei Rindfleisch komplett nachvollziehen. Die Iren und andere EU-Länder seien in der Lage, Rindfleisch ohne den Einsatz von Hormonen zu erzeugen. Dafür bräuchte die EU keine US-Ware. Der Streit um das mit Hormonen aufgezogene Rind währt seit rund 20 Jahren. Die EU fand die Formel, dieses Fleisch ablehnen zu dürfen, dafür aber den USA ein Kontingent für „hormonfreies Rindfleisch“ zu geben. Es wurden 45.000 Tonnen festgelegt, die sich die USA mit Argentinien, Uruguay und Australien teilen. Im Rahmen der Spannungen zwischen der EU und der USA hat die EU die Amerikaner mit einer Erhöhung ihres Anteils auf fixe 35.000 Tonnen befriedet. Die anderen Länder haben „zähneknirschend“ zugestimmt, weil sie sonst das ganze System gefährdeten und, nach Clarke, am Ende ohne Quote dastünden. Dass die EU die Quote nicht angehoben hat, wird von allen Abgeordneten gut geheißen. Molly Scott Cato von den britischen Grünen hat jedoch generelle Bauchschmerzen, weil der Quotenhandel im Gegenzug zu Autoteilen in die USA zustande gekommen sei. Benoit Biteau von den französischen Grünen fürchtet Abwertung von Lebensmitteln als Währung gegenüber anderen Handelsgütern.
Außerdem wird mit den anderen Ländern auch noch verhandelt. Mit Australien ist ein eigenes Abkommen geplant, Uruguay und Argentinien sind Teilnehmer bei Mercosur. Die Abgeordneten befürchten, dass dort ein Ausgleich für die beschnittenen Rindfleischquoten eingefordert wird. Clarke bezeichnet den europäischen Rindfleischsektor jedoch als „relaxt“, weil dieses Rindfleisch sehr hochwertig und teurer als europäische Ware sei. Wichtiger sei, dass das Thema „Hormon-Rindfleisch“ in absehbarer Zeit bei der WTO aus dem Tagesregister gestrichen wird.
Nächster Schritt
Die Abgeordneten haben noch Zeit, Änderungsanträge zu stellen. Im Wesentlichen weichen die Entschließungen nicht von den Vorstellungen des federführenden Handelsausschuss ab. Dieser wird Anfang Dezember abschließend über die „skeptischen Zustimmungen“ entscheiden. Über das Geflügelfleisch am 03. Dezember und über das Rindfleisch am 07. Dezember.
Roland Krieg; Foto: roRo