Der Speiseplan der Wölfe
Landwirtschaft
Wissenschaft untersucht Fressverhalten der Wölfe
Der Wolf ist zurück und die deutsche Presse hat neue Schlagzeilen:
Angst in Bayrischzell: Wolf reißt Schafe. Bayerischer Merkur-online am 15. März 2010.
Tödlicher Überfall: Wolf reißt ganze Schafherde. Berliner Morgenpost am 29. Februar 2011.
Wolf reißt wieder Schaf. Nordkurier am 15. Dezember 2011.
Die deutschen Wälder scheinen nicht mehr sicher und
Canis lupus lauert schon auf das nächste Rotkäppchen. Naturschutz ist kein
Streichelzoo und wer Bär, Wolf und Luchs auf den ausgewiesenen
Naturschutzflächen zurück haben möchte, der muss sich auch mit der
„Nutzungskonkurrenz“ zu heimischen Nutztieren auseinander setzen. Aber wie
gefährlich sind die Wölfe wirklich? Bedroht die Wolfspopulation den
Industriestandort Deutschland? Darauf hat schon die Berliner Wolfstagung1)
Antworten gegeben.
Frankfurter Wissenschaftler tragen weiter zur
Versachlichung bei und haben in den letzten Jahren den Speiseplan der Wölfe
genau analysiert. Fazit: Nur zu einem Prozent stehen Nutztiere auf dem Menüplan.
Fabeln und Ängste
Senckenberger Wissenschaftler haben die
Fressgewohnheiten von Wölfen in den ersten acht Jahren nach ihrem Erscheinen in
Deutschland untersucht. Die Ergebnisse sind beruhigend: Der Anteil von
Nutztieren auf dem Speiseplan liegt bei unter einem Prozent. Die zugehörige
Studie ist vor Kurzem im Fachjournal „Mammalian Biology“ erschienen.
Lange Zeit waren Wölfe in Deutschland ausgerottet, nun
werden sie langsam wieder heimisch. Doch nicht alle freuen sich über die
Rückkehr des Wildtieres. Besonders um das Fressverhalten von Canis lupus ranken
sich viele Fabeln und Legenden. Wölfe, die Schafe reißen, Haustiere fressen
oder sogar Menschen angreifen– die Rückkehr der Raubtiere in deutsche Gebiete
weckt alte Ängste und birgt Konflikte mit der Bevölkerung, Jägern und
Landwirten.
„Die Ernährungsgewohnheiten von Wölfen sind der größte
Streitpunkt bei deren Wiederbesiedlung in Deutschland, das hat uns dazu
veranlasst, das Fressverhalten der – vor gut zehn Jahren in die Lausitz
eingewanderten – Wölfe genauer zu untersuchen“, erzählt Hermann Ansorge,
Abteilungsleiter Zoologie am Senckenberg Forschungsinstitut in Görlitz. „Wir
haben geschaut, was auf dem Speiseplan der Wölfe stand und wie sich dieser seit
dem Erscheinen der Wölfe in Ostdeutschland verändert hat.“
Kotproben analysiert
Hierfür haben die Wissenschaftler über 3000 Kotproben
von Wölfen gesammelt und auf unverdaute Hinterlassenschaften, wie Haare,
Knochen, Hufe oder Zähne der Beutetiere untersucht.
Über diese Hinweise, ergänzt durch Funde von Resten
erlegter Beute, konnten die Görlitzer Zoologen die Ernährung der Raubtiere
detailliert erfassen. Wilde Huftiere stellen laut der Auswertung mehr als 96 %
der Beutetiere. Dabei dominieren Rehe (55,3 %), gefolgt von Rotwild (20,8 %)
und Wildschweinen (17,7 %). Einen eher geringen Anteil am Speiseplan hat der
Hase mit knapp drei Prozent.
„Weniger als ein Prozent der analysierten Beutetiere
kam aus dem Bereich der Nutztiere“, ergänzt Ansorge und fährt fort: „Solange
Schafe und Co. gut geschützt werden und es genug Auswahl unter den Wildtieren
gibt, gehen Wölfe nicht die Gefahr ein, mit Elektrozäunen oder
Herdenschutzhunden konfrontiert zu werden.“
Fressverhalten angepasst
Nicht nur was auf der Speisekarte der Wölfe steht,
sondern auch wie sich das Fressverhalten über die Jahre hinweg geändert hat,
haben die Görlitzer Wissenschaftler untersucht. Wölfe sind bezüglich ihrer
Ernährung extrem anpassungsfähig. Aus Kanada ist beispielsweise bekannt, dass
sich die dortigen Wolfsrudel im Herbst bevorzugt von Lachs ernähren. „Uns hat
interessiert, wie, warum und wie schnell sich die Nahrungszusammensetzung der
Wölfe in Sachsen änderte“, erläutert Ansorge. Die Wölfe in der Lausitz kamen
aus Polen nach Deutschland. Dort ernähren sich die Rudel im Gegensatz zu den
deutschen Wölfen überwiegend von Rotwild. In den ersten Jahren der Studie lag
der Anteil des erlegten Rotwildes deutlich höher und der Prozentsatz der Rehe
war dafür niedriger, als in den folgenden fünf Jahren. „Wir haben uns gefragt,
ob die Wölfe ihr Verhalten oder ob sich die Ausgangsbedingungen geändert
haben“, fährt der Görlitzer Zoologe fort.
Im Vergleich zu den polnischen Wäldern sind die der
Lausitz eher kleinräumig und von Wegen und Feldern durchzogen. Sie bieten Rehen
und Wildschweinen ein ideales, weitflächiges Lebensumfeld, während sich das
Rotwild eher in die wenigen großräumigen Waldgebiete zurückzieht. Rehe sind
folglich aus der Sicht der Wölfe einfache und überall anzutreffende Beutetiere.
Der Wandel in den Fressgewohnheiten ergab sich demnach
durch eine Veränderung der Umweltbedingungen. Dabei passten sich die Wölfe
schnell an – sie brauchten weniger als zwei Generationen, um sich an die neuen
Verhältnisse in der Kulturlandschaft im Osten Deutschlands zu gewöhnen.
Seit der Einführung des gesetzlichen Wolfschutzes 1990
hat es über zehn Jahre gedauert, bis die Wölfe in Deutschland ihr Lager
aufschlugen und Welpen in der Muskauer Heide geboren wurden. Aktuell leben in
der Lausitz neun Wolfsfamilien mit etwa 34 Jungtieren. „Das Konfliktpotential
zwischen Mensch und Wolf ist sehr gering“, resümiert Ansorge die Ergebnisse der
Studie. „Einer Wiederbesiedlung durch die Wölfe sollte nichts im Wege stehen.“
Lesestoff:
1) Die Wölfe kehren zurück
nach Deutschland. Wolfstagung in Berlin
Einige Länder haben ausführliche Wolfsmanagementpläne aufgestellt:
Brandenburg: www.mugv.brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.357666.de
Mecklenburg-Vorpommern: www.lcie.org/docs/Action%20Plans/Managementplan_Wolf_MV.pdf
Sachsen: https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/11597
Sachsen-Anhalt hat schon 2008 Handlungsempfehlungen herausgegeben: www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/Bibliothek_LAU/Naturschutz/Grossraubtiere-Wolf/Dateien/Leitlinie_Wolf_Vers1.pdf Im September 2011 diskutierte der Umweltausschuss des Landes über die Übernahme des sächsischen Wolfsmanagements.
Bayern begnügt sich derzeit noch mit einer Antwortsammlung zum Thema Wölfe: www.lfu.bayern.de/natur/wildtiermanagement/wolf/doc/faq_wolf.pdf
Judith Jördens (Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen)/Roland Krieg; Fotos: Stefan Seidel