Der stetige Wandel im Pflanzenschutz

Landwirtschaft

PSM: Unerwünscht und notwendig

Friedel Cramer BVL

„Kulturpflanzen werden von Insekten und Pilzen befallen und leiden auch unter der Konkurrenz unerwünschter Pflanzen. Das ist seit Beginn des Ackerbaus der Normalzustand.“ Worte von Friedel Cramer, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und Leiter der Behörde, die in Deutschland für die  Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach Zuarbeit vom Julius Kühn-Institut, dem Bundesinstitut für Risikobewertung und dem Umweltbundesamtzuständig ist. Am Mittwoch hat er den von 300 meldepflichtigen Unternehmen zusammengetragenen Bericht über den Verkauf von Pflanzenschutzmitteln veröffentlicht. Schon 400 v.u.Z. hatten die Griechen ihre Getreidesamen mit einem Sud aus Dickblattgewächsen gegen Vogel- und Insektenfrass geschützt. Im Mittelalter wusste sich die Kirche nur noch mit „Insektenprozessen“ gegen Kalamitäten zu schützen. Heute sind die Agrarwissenschaften weiter. Zu weit?

Julia Klöckner

Pflanzenschutz – Aber wie?

Heute wird kein Arsen und Quecksilber mehr gegen Käfer und Unkraut eingesetzt. Die Entwicklung der Chemie hatte aber mit DDT und Agent Orange selbst Teufelswerk auf die Felder gebracht. Das Image des Pflanzenschutzes leidet darunter und die Vorstellung des Absatzes von Pflanzenschutzmitteln im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird jedes Mal zu einer Verteidigungsveranstaltung. Ressortchefin Julia Klöckner ging daher ausführlich auf die Notwendigkeit des Pflanzenschutzes ein und zeigte Bilder von Kartoffelfeldern mit heftigem Spinnmilbenbefall und Schwarzfäule bei der Weinrebe.

Verbraucher wünschen sich eine saisonale und regionale Lebensmittelproduktion mit einem ökologischen Fußabdruck. Bei Obst und Gemüse liegt der Selbstversorgungsgrad aber bei weniger als 40 Prozent. Wer immer das steigern will, wird ohne Pflanzenschutz nicht auskommen. „Zielkonflikte“ nennt es Klöckner, und hat zahlreiche in ihrer Ackerbaustrategie aufgeführt.

Glyphosat steht für Verbraucher und viele Medien als Symbol für Pflanzenschutzmittel (Darüber gibt es morgen ein Extrakapitel). Die mit dem Wirkstoff verbundene Pauschalität von Gefährlichkeit und Ablehnung sehen Landwirte anders als Verbraucher. Wer auf Pflanzenschutz verzichtet gefährdet die Ernährungssicherheit, erklärte Klöckner: „Ohne Pflanzenschutzmittel wird es nicht gehen.“ Aber sie müssen vor der Zulassung überprüft werden.

Absatztrend setzt sich fort

Im Vergleich zum Vorjahr ist der Verkauf an Pflanzenschutzmitteln um weitere 6,7 Prozent gesunken. Das Minus ergibt sich aus der Summe bei Herbiziden allgemein und mit elf Prozent bei Glyphosat. Die Situation bei Insektiziden ist stabil. Ob sich nach dem Verbot der Neonicotinoide ein Mehrabsatz an Pyrethroiden als Substitut abzeichnet, ist nach Friedel Cramer noch nicht absehbar.

Mit 13.660 Tonnen stellen Herbizide den größten Teil der Pflanzenschutzmittel. Es folgen Fungizide mit 10.066 t, Wachstumsregler und Keimhemmungsmittel mit 2.087 t, Insektizide mit 933 t und sonstige Wirkstoffe mit einem Volumen von 236 t.

Die Gesamtmenge von 27.009 t ist die geringste Verkaufsmenge seit 20 Jahren. 40 Prozent davon sind inerte Gase. Besonders reaktionsträge Gase, wie Kohlendioxid, die sich schwer an Reaktionspartner binden. Sie werden in gasdichten Getreidesilos gegen tierische Schädlinge eingesetzt und zeigen in den vergangenen Jahren einen steten Anstieg. Im Jahr 2019 wurden fast 18.000 Tonnen verkauft [1].

Spinnmilben auf Kartoffelfeld
Heftiger Spinnmilbenbefall im Kartoffelfeld

Gründe für den Rückgang

Den Trend sinkender Verkaufszahlen begründet Julia Klöckner einmal aus den klimatischen Besonderheiten der letzten Jahre. Je nach Kultur bedingt das Klima einen Verzicht auf eine Behandlung. Trockenheit mindert Pilzerkrankungen, steigert aber das Auftreten von Blattläusen, die Viren und Bakterien in die Feldkulturen tragen können. Im vergangenen Jahr konnte eine Explosion an Nützlingen, Insektizidanwendungen in Zuckerrüben einsparen. Zweitens steigt bei den Landwirten und Gärtnern durch die stetige Diskussion um Pflanzenschutzmittel das Bewusstsein, Mittel einzusparen. Dazu gehört, wenn auch nicht in der Pressekonferenz genannt, die Erkenntnis, dass Resistenzen bei Unkräutern kostenaufwendige Spritzeinsätze nicht mehr lohnen. Seit zwei Jahren hat ein regelrechter Run auf neue Bodenbearbeitungsgeräte eingesetzt, um die mechanische Unkrautbekämpfung zu intensivieren. Drittens erwähnt Klöckner die Pflanzenzucht, die gerade bei Bakterien und Pilzen, die das Gewebe von Kulturpflanzen angreifen, Sorten mit erhöhter Krankheitstoleranz züchten. Das ist nach Friedel Cramer bei tierischen Schädlingen kaum möglich. Blattläuse saugen und stechen zwar in Blatt und Halm. Um das züchterisch zu vermeiden, müsste auf eine dickere Gewebeschicht gezüchtet werden. Den eigentlichen Schaden verursachen die mitgeführten Krankheitserreger. Und viertens, so Klöckner, reduziert der technische Fortschritt den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Teilflächenspezifische Behandlungen, die per GPS und mit Hilfe von Sensoren nur noch nach Bedarf Mittel ausbringen, sind heute bereits praxisreif [2].

Die ökologische Lesart

Felix Prinz zu Löwenstein kritisiert die Sichtweise: „Ist es extrem trocken und heiß, müssen weniger Pestizide gespritzt werden. Dass die Absatzzahlen von Pestiziden in trockenen Jahren sinken, ist deshalb erwartbar“, kommentiert der Vorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Er verrechnet die Verkaufszahlen mit der schrumpfenden Ackerfläche in Deutschland. Er zieht die Blühflächen, ökologische Vorranggebiete und den Anteil der Ökofläche vom Ackerbau ab und kommt zu dem Ergebnis, dass pro Hektar trotz sinkender Absatzzahlen mindestens die gleiche Menge an Pflanzenschutzmitteln verteilt werde. Wie das Bundeslandwirtschaftsministerium die Nutzung „deutlich“ verringern will, wie in der Ackerbaustrategie hinterlegt und in der Strategie Farm-2-Fork mit 50 Prozent quantifiziert, sei unklar, erklärte Löwenstein. Klöckner kontert: Was sind die 100 Prozent, die halbiert werden müssen? Die Reduzierung gelte auch für den Ökolandbau.

Ökonomische Anreize

Der BÖLW fordert eine Pflanzenschutzmittelabgabe. Die ist nicht unumstritten und Dänemark hatte sie sogar als ineffizient bewertet [3]. Ein ökonomischer Anreiz ist sicherlich hilfreich. Aber es müsste das ganze System bewertet werden. Im integrierten Pflanzenschutz stehen ackerbauliche und mechanische Unkrautbekämpfung an erster Stelle. Eine zusätzliche chemische Behandlung erfolgt nach dem Prinzip der Schadschwelle, wenn der Einsatz eines Pflanzenschutzmittels günstiger ist, als der Ertragsausfall ohne Anwendung. Das Modell gibt es seit mehr als 30 Jahren, hat aber noch immer nicht den großen Durchbruch erzielt, beklagte Jan Helbig vom Julius Kühn-Institut auf den DLG-Feldtagen 2018 [4]. Landwirte müssen ihre Felder intensiver beobachten, die Offizinalberatung in diesen Punkt verstärkt werden und die Landwirte brauchen eine neue Ökonomie, die nicht nur eine einzelne Feldkultur bewertet, sondern eine ganze Fruchtfolge. Blühstreifen, Saumbiotope und Gesundungspflanzen wie großkörnige Leguminosen oder Perserklee gegen Drahtwürmer werden oft nur als „Agrar- und Umweltmaßnahme“ ohne Arbeitserledigungskosten entschädigt. Der Nutzen ergibt sich aus vermiedener Drahtwurmbekämpfung. Würden solche ackerbaulichen Maßnahmen den Landwirten echtes Geld in die Kasse bringen, folgten sie den Empfehlungen.

Gute und böse Pflanzenschutzmittel

„Auch der ökologische Landbau kommt nicht ohne Pflanzenschutzmittel aus.“ Das sagt Friedel Cramer. Jedes Mittel hat einen Wirkstoff, der Insekten tötet, das Wachstum von Pilzen und Unkrautgewebe unterbindet. Der ökologische Landbau hat dennoch ein eigenes Verständnis von einem Pflanzenschutzmittel. Es dürfen nur Naturstoffe eingesetzt werden, was sich von synthetisch-chemischen Wirkstoffen klar abgrenze, erläutert der BÖLW gegenüber Herd-und-Hof.de.  „Damit kann das Vorsorgeprinzip deutlich besser umgesetzt werden, als bei einem Stoff, der war im Labor entwickelt und getestet wird und mit auf Berechnungsmodellen Risikoprognosen zugelassen wird.“

Das ist für den Ökolandbau der Grund für eine geringere Wirkstoffbreite. Für den Zulassungsweg wird schon mal ein „grüner Weg“ vorgeschlagen. Ökologische Pflanzenschutzmittel könnten aufgrund der Natürlichkeit eine verkürzte Zulassung durchlaufen. Das spiegelt sich bei Verbrauchern im Irrtum wider, Ökomittel seien ungefährlicher.

Spinosad zeigt den Irrtum. Das seit 2008 in der Betriebsmittelliste für den Ökolandbau zugelassene Insektizid ist eine Mischung aus den beiden Metaboliten Spinosyn A und B. Diese werden nach Angaben des Julius Kühn-Instituts  aus dem Bodenbakterium Saccharopolyspora spinosa durch Fermentation gewonnen. Im Wesentlichen reguliert es den Kartoffelkäfer, der sonst mühsam per Hand eingesammelt werden muss. Spinosad wirkt als Kontaktgift und wird von Kartoffelkäfern und weiteren Schädlingen aus den Arten der Schmetterlinge, Hautflügler und Fliegen durch Frass aufgenommen und durch irreversible Lähmung des Nervensystems im Schadinsekt. Spinosad hat mit B1 die höchste Bienengefährlichkeit und ist für alle Wasserorganismen bis hinauf zu den Fischen giftig und kann langfristige schädliche Auswirkungen in Gewässern hervorrufen.

Alleine die Herkunft des natürlichen Bodenbakteriums reicht für eine Zulassung für den Ökolandbau. Wegen seiner Bienengefährlichkeit, darf es nicht in blühende Bestände ausgebracht werden und wird durch die Bioverbände zusätzlich reguliert. Landwirte brauchen eine Sondergenehmigung für die Nutzung. Neu ist der mögliche Einsatz gegen die Kirschessigfliege. Entsprechende Vorschriften sind allerdings auch dem konventionellen Landwirt bekannt. Sorgsam nach Anleitung genutzte Pflanzenschutzmittel minimieren ihr Risiko.

Notfallzulassungen und Lückenindikation

Pflanzenschutzmittel werden meist kulturspezifisch und auf einzelne Indikation gegen einen Schädling zuglassen.  Es gibt aber auch die Notfallzulassung und Lückenindikation.

Bei einer Notfallzulassung kann das BVL eine zeitlich begrenzte und in der Menge und räumlichen Verteilung limitierte Mittelzulassung für maximal 120 Tage erteilen. Rechtsgrundlage ist Artikel 53 der Verordnung EG 1107/2009. Sie wird erteilt, wenn eine Kalamität nicht anders abzuwehren ist. Mittlerweile geht die EU auch schon gegen Länder vor, die Notfallzulassungen jährlich aus Routine beantragen.

Die Lückenindikation bezieht sich vorwiegend auf den Obst- und Gemüsebau. Dort sind Anbauflächen im Umfang oft so gering, dass sich die Entwicklung eines Pflanzenschutzmittels nicht lohnt. Dann darf nach Antrag ein Mittel gegen Spinnmilben in Erdbeeren auch „behelfsweise“ in anderen Kulturen eingesetzt werden dürfen.

Ein aktuelles Beispiel für die Notfallzulassung im Ökolandbau ist Neem Azal bei Kartoffeln. In trockenen Jahren treten Kartoffelkäferpopulationen nicht nur vermehrt auf, sondern können auch in zweiter Generation die Felder befallen. Damit eine wiederholte Bekämpfung zulässig ist, wurde in diesem Jahr das Mittel Neem Azal über eine Notfallzulassung in die Praxis gebracht. Nach Meldung der Landwirtschaftskammer Österreich stehen in den beiden vergangenen Jahren 30 bis 40 Prozent aller Notfallzulassungen für den Ökolandbau. In Deutschland sind es aktuell 17 Prozent, berichtet Cramer gegenüber Herd-und-Hof.de

Während die Zahlen des Absatzes von Pflanzenschutzmitteln sinken, steigen die Zahlen für Notfallzulassungen und Lückenindikationen. Nach Cramer wird es künftig nicht ohne beide Instrumente gehen. Sicher stehe das Ansteigen auch mit der sinkenden verringerten Wirkstoffmenge in Zusammenhang, aber sowie bei  der allgemeinen Zulassung, als auch die für Notfall und Lücke, müssen Risiko und Nutzen miteinander abgewogen werden.

Bayerische Mücken und Thüringer Mäuse

Ganz aktuell zeigt die Mückensituation in Bayern die Bandbreite der Interessen. Gerade aus dem Lockdown hervorgekommen, erfreuen sich Gastronomen und Gäste rund um den Chiemsee am sonnigen Wetter und genießen den Aufenthalt in der frischen Luft. Viel Niederschlag nach einer trockenen Periode hat die Zahl der Mücken explodieren lassen. Die Mückenplage vermiest den Gästen den Aufenthalt auf der Terrasse und die Gastronomie fürchtet neue Umsatzeinbußen. Hubschrauber bringen das Anti-Mückenmittel BTI aus. Auch das ist ein natürliches Protein aus dem Bacillus thuringiensis und greift den Verdauungstrakt der Mücken an. Das Protein wirkt aber nicht nur auf die Stechmücken. Naturschützer fordern, das Schutzgebiete von der Behandlung ausgenommen werden sollen.

Thüringer Bauern wollen gegen die Mäuseplage vorgehen und bekommen Gegenwind von den Umweltschützern. Die beklagen, dass fehlenden Biotope Greifvögeln kein Habitat mehr vorfinden, um dann Mäuse natürlich zu regulieren. Was allerdings an Biotopen noch vorhanden ist, nutzen die Mäuse für ihre eigene Vermehrung, wie auch die Mücken die Gewässer in den Schutzgebieten.

Das Anthropozän ist voller Zielkonflikte

Lesestoff:

[1] Den vollständigen Bericht finden Sie unter www.bvl.bund.de 

[2] Jede Pflanze nur, was sie braucht: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/jeder-pflanze-nur-was-sie-braucht.html

[3] Zu wenig integrierter Pflanzenschutz

https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/pflanzenschutzmittel-nachhaltiger-einsetzen.html

[4] Integrierter Pflanzenschutz: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-zeit-schlaegt-fuer-den-integrierten-pflanzenschutz.html

Roland Krieg; Fotos: roRo, BMEL

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