Der Wolf, die Bauern und Copa-Cogeca

Landwirtschaft

Copa-Cogeca verlässt EU-Umweltplattform

Noch vom Steintanz in Boitin gefangen [4], kehrte der Wanderer vor einigen Jahren zurück in Richtung seines Autos. An einem kleinen See mitten im Wald setzte er sich am Ende des Holzsteges ans Wasser und genoss die Stille. Die blinzelnde Spätsommersonne und huschende Blätterschatten spielten auf der Wasseroberfläche. Plötzlich spürte sich der Gast im Hochwald von Mecklenburg-Vorpommern beobachtet und drehte sich um. In drei bis vier Meter Entfernung schauten zwei Schlangen mit hochgestrecktem Kopf den Gast vom Steg an und versperrten den Rückweg. Was tun? Langsam, ganz langsam wieder umdrehen, langsam aufstehen, langsame Wendung und: 188 cm Körpergröße haben die beiden Schlangen wahrscheinlich auch erschrocken. Lautlos waren sie verschwunden. Mit raumgreifenden Schritten erreichte der Wanderer das Land und sah noch, wie sich eines der Tiere zwischen zwei Holzplanken verbarg. Was, wenn die beiden Schlangen ein Wolf gewesen wären?

Verstand und Natur

Die Begegnung taugt allemal für eine kleine Erzählung im Freundeskreis. Hat aber auch einen ernsten Hintergrund. Ob die Schlangen giftig waren? Wahrscheinlich nicht, aber der Stadtmensch kennt sich mit diesen Tieren nicht aus. In en Häuserschluchten ist der Mensch vergleichsweise gefährlicheren Gefahren ausgesetzt. Begegnungen mitten im Wald mit unbekannten Lebewesen sind immer ein Disput zwischen limbischem System und präfrontalem Cortex. Bei der Begegnung mit einem Wolf hätte das limbische System einen Rotkäppchen-Alarm ausgesendet, weil Canis Lupus ihre Großmutter…

Der präfrontale Cortex allerdings würde beruhigend auf Blutdruck und Herzschlag wirken, denn der Mensch, so das rationale Wissen, steht nicht auf der Speisekarte des Wolfes. Wie aber argumentieren beide Gehirnregionen im Wolf miteinander? Mensch gleich Jäger gleich Flucht? Oder Mensch gleich Bedrohung gleich Angriff? Im Moment der Begegnung auf einem schmalen Holzsteg kann ein Missverständnis in der nonverbalen Kommunikation zwischen Wolf und Mensch einen ungewissen Ausgang haben.

Der Wolf und andere Carnivoren

Die Rückkehr des Wolfes ist wie die Rückkehr des Bären, des Luchses oder der Wildkatze ein Zeichen, dass die Natur wieder ihre einheimischen Arten empfängt und zumindest teilweise wieder gesund ist. Vor allem Schäfer sehen das anders. Sie sind wirklich Geschädigte und die Rückkehr des Wolfes ängstigt Menschen. Beides ist nicht von der Hand zu weisen. Der Nutzungskonflikt ist einfach da. Doch Wolf und Co. haben auch schon in der Politik Gefallen gefunden.

Der Freistaat Bayern hat in der vergangenen Woche mit dem BUND und den Staatsforsten ein gemeinsames Monitoring-Projekt über die Verbreitung der Wildkatze gestartet. Sie ist nicht die verwilderte Form der Hauskatze, sondern eine eigene Art. „Die naturnahe Bewirtschaftung der Wälder in Bayern kommt den Ansprüchen der Wildkatze sehr entgegen“, sagte Forstminister Helmut Brunner. In Nordbayern ist das Tier bereits nachgewiesen, es fehlen noch Angaben zu Niederbayern und Schwaben. Es gibt sogar einen Aktionsplan Wildkatze, der das Tier im Freistaat wieder heimisch machen möchte [1].

Angst vor dem Wolf

Die Gemeinde Goldenstedt in der Nähe von Vechta betreibt einen Waldkindergarten. In der Region Goldenstedt gibt es aber auch einen Wolf, so dass Bürgermeister Willibald Meyer eine Schließung des Kindergartens in Erwägung zieht. In einem Schreiben an den Bürgermeister beruhigt das Umweltministerium: Es „liegen keine Informationen für eine besondere Gefährdung von Kindern in Waldkindergärten durch Wölfe vor.“ Auch die niedersächsische Wolfsberaterin Dr. Britta Habbe erkennt keine besondere Problematik. „Da bislang kein auffälliges Verhalten des Wolfes in ihrer Region dokumentiert wurde, besteht aus Sicht des MU aktuell kein Anlass, den Betrieb des Kindergartens einzuschränken“, schreibt Staatssekretärin Almut Kottwitz aus dem Ministerium für Umwelt (MU).

Zur Beruhigung der Bevölkerung wird ein Zaun empfohlen, der auf die Schnelle auch von der Landesjägerschaft ausgeliehen werden könnte.

Der Mensch ist kein Schaf

Wissenschaftler vom Senckenberg Forschungsinstitut haben Kotproben analysiert und damit den Speisezettel des Wolfes angefertigt. 96 Prozent der Tiere sind wilde Huftiere. Es dominieren Rehe (55,3 Prozent), gefolgt von Rotwild (20,8 Prozent) und Wildschweine (17,7 Prozent) [2]. Weniger als ein Prozent des Speiseplanes sind Nutztiere.

Deren Hüter sind aber die lautesten. Vermutlich, weil Rehe und Rotwild keine Fürsprecher haben. Der Landesbauernverband in Brandenburg zählt genau mit, welche Nutztiere von Wölfen gerissen werden. Und das sind nicht mehr nur Schafe. 2010 wurden drei Kälber aus einer Mutterkuhherde gerissen. Im Oktober 2014 allerdings zeigte sich der Präsident des Landesumweltamtes verwundert über eine neue Qualität von Wolfsangriffen, weil wiederum Kälber gerissen wurden. Erstmals. Die Bauern fühlen sich „für dumm verkauft“, erklärte der Bauernverband. Die Forderung ist einfach: Gemäß der Wolfsbestandsgröße müsse ein eigener Etat für eine komplette Entschädigung eingerichtet werden. Herdenschutzhunde funktionierten nur bei Schafherden gut. Um Weidekoppeln für Großtiere müssten teure Einzäunungen gezogen werden. Falls dem Wolfsmanagement nicht genug Geld zur Verfügung stehe, müsse über eine Regulierung des Bestandes nachgedacht werden.

In der gleichen Zeit wurden jährlich zwischen 555 und 20.545 Euro an Entschädigungen ausbezahlt. Insgesamt waren das 73.969,28 Euro. In 48 Prozent der Fälle war es der Wolf oder konnte er nicht ausgeschlossen werden.

EU-Plattform

Den Wolf gibt es in Skandinavien, Südostfrankreich, Bären südlich der Alpen. Die Frage, ob große Carnivoren, also Fleischfresser, sich weitestgehend konfliktfrei den gleichen Platz mit dem Menschen teilen können stellen sich viele Länder in der EU.

Deshalb hat die EU-Umweltkommission im Juli 2014 eine Plattform für den Dialog eingerichtet [3]. Acht Verbände, darunter auch der europäische Bauern- und Genossenschaftsverband Copa-Cogeca sollen sich nach zwei Jahren Aufbau der entsprechenden Dialog-Plattform über Lösungen austauschen. Da sind die skandinavischen Rentierhalter genauso engagiert wie die Organisation europäischer Landbesitzer, Jäger und verschiedene Umweltverbände.

Bauern ziehen sich zurück

Am Montagmorgen hat Copa-Cogeca allerdings seinen Rückzug aus dem Dialogforum bekannt gegeben, weil die Interessen der Bauern zu wenig berücksichtigt würden. Generalsekretär Pekka Pesonen sagte: „Die EU-Kommission hört nicht auf die Bedenken der Landwirte, weshalb wir uns von dieser Plattform zurückziehen. Wir sind der Plattform zur Koexistenz zwischen Menschen und großen Raubtieren in der Hoffnung beigetreten, Lösungen zu finden. Doch die Gespräche fokussieren sich auf eine gute fachliche Praxis der Pflege von Wildtieren anstatt Lösungen für die Probleme zu identifizieren.“ Angriffe auf Nutztiere nähmen zu, sagte Pesonen weiter. Derzeit gibt es rund 17.000 Bären, 12.000 Wölfe, 9.000 eurasische Luchse und 1.000 Vielfraße in der EU. Sie befinden sich dort, wo die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft leben müssen.

Der übermäßige Schutz dieser Tiere gefährde artenreiche Graslandschaften, die für andere Tiere überlebenswichtig seien. Das würde auch der EU-Habitat-Richtlinien widersprechen.

Und nun?

EU-Umwelt-Kommissar Karmenu Vella bedauert den Rückzug von Copa-Cogeca. Gegenüber Herd-und-Hof.de teilt er mit, dass die Plattform noch in einer sehr frühen Phase ist und ihr volles Potenzial noch nicht erreicht habe. Daher bleiben die Arbeit und vor allem die Übertragung der Ergebnisse auf regionale Bedürfnisse den verbliebenen Organisationen vorbehalten.

In Deutschland nimmt der Streit an Härte zu. Da will auf einmal auch das limbische System dem Wolf eine Chance auf Rückkehr geben. Der Sachverstand aber muss sich auch mit zahlreichen Vorfällen auseinander setzen. Bislang nur auf Ebene der einzelnen Bundesländer. Einen „Runden Tisch Wolf“ gibt es noch nicht. Der europäischen Lösungsplattform haben sich die Bauern nach noch nicht einmal einem Jahr ihrer Stimme beraubt.

Übrigens: Der Wanderer würde sich wieder an See setzen und dem Spiel von Licht und Schatten zuschauen.

Lesestoff:

[1] www.wildkatze.bayern.de

[2] Fressverhalten der Wölfe

[3] EU platform on Coexistence between People and Large Carnivores: http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/species/carnivores/coexistence_platform.htm

Seilschaften im Ökosystem. Es gibt keine einfachen Lösungen

[4] Vier Steinkreise im Alter von rund 3.000 Jahren: Bauern wurden in Steine verwandelt, weil sie mit Lebensmittel kegelten. http://grosssteingraeber.de/seiten/deutschland/mecklenburg-vorpommern/steintanz-boitin.php

Roland Krieg

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