Der zwei-Sterne-Stall der Zukunft

Landwirtschaft

Chance für Stallbauförderung nutzen

Grafisch gezeichneter Stall der Zukunft

Das Ergebnis der Europawahl wird den etablierten Parteien Beine machen. So durfte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner am Montag das Projekt „Virtueller Stall der Zukunft“ in Berlin vorstellen und auf die Chance für neue Förderprogramme aus dem Bundeshaushalt verweisen.

Das neue Stallbaukonzept alleine wird nicht reichen. Es gibt aber klare Linien vor, die künftig kaum noch verlassen werden können.

Freud und Leid

Mitte Mai haben sich Thüringer Schweinehalter erstmals zu einem Branchengipfel getroffen. Ferkelpreise von über 60 Euro und Schlachtpreise von mehr als 1,72 Euro je kg Schlachtgewicht gehören derzeit zum Balsam der Tierhalter. Die Preise dürfen aber nicht über die Verzweiflung hinwegtäuschen, als Nutztierhalter im Fadenkreuz der Gesellschaft zu stehen. Verbraucher reden Kritikern nach, die Zielkonflikte verschweigen. Das Schwein im Außenbereich signalisiert dem Konsumenten Lebensfreude, der Landwirt ist über die Seuchengefahr besorgt. Der Branche fehlt die einheitliche Stimme für ihre Tätigkeiten. Das Stallbauprojekt kommt mit seiner Visualisierung gerade recht.

Das Projekt „Virtueller Stallbau der Zukunft“  kommt auch noch aus anderen Gründen zur rechten Zeit. Nach den Ökonomen im Wissenschaftler-Team wird der Markt nur einen Teil der Investitionen refinanzieren. Woher kommt der Rest?

Der Fleischmarkt in Deutschland

Der größte Umsatz innerhalb des Ernährungsgewerbes fällt mit 28,28 Milliarden Euro im Segment Schlachten und Fleischverarbeitung an. Das aktuelle Kompendium „Fleischmärkte 2019 im Überblick“ weist für Wurstwaren allein den Umsatz mit 7,2 Milliarden Euro aus. Der Durchschnittspreis für ein Kilo Wurst ist zwischen 2013 und 2017 von 4,61 auf 4,71 Euro gestiegen. Der Umsatzanteil im Fleischerfachgeschäft ist seit 2011 von 3,92 auf 1,85 Prozent gefallen.

29 kg Fleisch hat ein Bundesbürger 2017 im Durchschnitt verzehrt. Mit 35,8 kg hat Schweinefleisch den größten Anteil. Wurst- und Fleischerzeugnisse kamen auf 29,4 kg pro Kopf und Jahr.

Tierwohl und artgerechte Tierhaltung stehen bei Konsumenten auf der Wunschliste ganz oben, werden allerdings fast ausschließlich mit der Bio-Produktion in Verbindung gebracht. Doch selbst trotz Einhaltung tiergerechter Ställe das Thema Schwanzbeißen alles andere als vom Tisch. Außerdem: Pro Jahr werden derzeit rund 300.000 Bioschweine geschlachtet. Im konventionellen Sektor sind es eine Million – pro Woche. Der Biokunde ist ein Schnitzelliebhaber und wird mit der Herkulesaufgabe tausender neuer Ställe nie konfrontiert werden.

Von allem bekommt der Verbraucher nichts mit. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten keine Lücken an der Fleischtheke gegeben. Gehen die Mastplätze in Deutschland zurück, gleichen Importe die fehlenden Steaks und Schnitzel aus.

Virtueller Stall
Projektleiterin Dr. Marie von Meyer-Höfer (Uni Göttingen) und Julia Klöckner

30 Euro pro Mastschwein

Berechnungen des Projektes haben die Mehrkosten für die neuen Ställe auf 30 Euro je Mastschwein beziffert. Angesichts der Verbrauchervorlieben müssen die Mehrkosten allein von den Edelstücken getragen werden. Ein Umschlag auf verarbeitete Ware ist für Ministerin Julia Klöckner wünschenswert,  aber kaum realisierbar.

Immerhin plant das Ministerium die Auflage neuer Förderprogramme, was Staatssekretär Dr. Hermann Onko Aeikens als „Historische Chance“ kommentiert. Zusammen mit den gezeichneten Bilden und dem Tierwohllabel könnte das im Sog der Europawahl und Suche nach neuen politischen Optionen funktionieren. Inhaltlich ist das aber ein Vabanquespiel.  Im Kern ist der „Virtuelle Stall der Zukunft“ eine neue Ebene der Professionalisierung, aber keine neue Idee. Gabriele Mörixmann hat den „Aktivstall“ bereits gebaut und musste auf dem Tierhaltungsforum des Deutschen Bauernverbandes 2017 über die Vermarktungsprobleme berichten. Sie schmiss das Tierschutzlabel wieder raus und erst als der Handel und eine Erzeugergemeinschaft einsprangen, begann sich der Umbau zu rechnen [1].

In diesem Sommer will die Universität Göttingen noch einen Rechner für betriebsindividuelle Kalkulationen bereit stellen.

Der Stall ist nicht alles

Das im März 2018 gegründete Verbundprogramm hat in interdisziplinärer Forschung unter Berücksichtigung von Verbraucherwünschen einen idealen Stall gebaut. Die grafische Umsetzung eignet sich gleichzeitig für die Kommunikation. Für die Praxis sind die die einzelnen Bereiche wie Wartestand, Deckzentrum und Mastbereich funktionell in schlafen, fressen, koten und liegen aufgeteilt worden. Für Stallbauer Richard Hölscher hat das Projekt Überraschungen hervorgebracht. Am meisten verbinden Konsumenten die Suhle mit einer artgerechten Tierhaltung. Das war den Kunden wichtiger als Platzbedarf und Stroheinstreu. Säugende Sauen werden zum Schutz von Ferkeln fixiert. Sonst zerdrücken sie beim Hinlegen ihren eigenen Nachwuchs. Kunden bevorzugen freie Sauen, auch wenn die Zahl erdrückter Ferkel zunimmt.

Julia Klöckners Hausaufgaben bestehen nicht nur in der Planung von Förderprogrammen. Neben der Verbraucherkommunikation muss sie in den Bereichen Baugesetzbuch und TA Luft mit dem Innenministerium und Umweltministerium zusammen arbeiten und reale Lösungen finden. „Wir versuchen die Dinge zusammenzubringen“, sagte sie bei der Vorstellung des virtuellen Stalles. Die Pläne dürften nicht „zu phantastisch“ werden, damit die Nutztierhaltung auch in Deutschland bleibt.

Wer artgerechte Ställe braucht, der muss für eine flächendeckende Landwirtschaft auch regionale Schlachthöfe und Zerlegewerke einplanen. Das müsse nach Hölscher auch mit einer „Entzerrung der Nutztierhaltung“ einhergehen. Da stellt sich angesichts von Bürgerinitiativen, die auch keine Öko-Ställe in ihrer Nachbarschaft haben wollen, wo die neuen Ställe überhaupt gebaut werden können?

Julia Klöckner

Zwei-Sterne-Stall

Nach Prof. Dr. Achim Spiller von der Georg-August-Universität Göttingen ist der Funktionsstall genau für die zweite Stufe des staatlichen Tierwohllabels gebaut. Erfahrungen aus den Niederlanden zeigten, dass Umbauten für die Einstiegsstufe und Neubauten für die Premiumstufe von alleine entstehen. Doch Neubauten für die Stufe 2 müssten gefördert werden und könnten die Breite in der Tierhaltungsmitte umsetzen.

Das ist im Sinne Klöckners: „Wer heute nicht mitmacht, der wird von der Zeit und der Gesellschaft überholt.“ Bei allen Restriktionen aus Markt und Finanzen: Eine wirkliche Alternative zum konventionellen Funktionsstall gibt es nicht.

Zur artgerechten Tierhaltung zählt auch die Fütterung. Die nicht-tragenden Sauen sollen mit mehr Rohfaser gefüttert werden. Die Züchtung muss sich an alte Ziele erinnern. Aggressive Sauen wurden früher nur einmal aggressiv. Danach waren sie Wurst. Erst die Fixierung hat das Halten aggressiver Sauen möglich gemacht. Der Stahl muss nicht nur durch Sensoren, sondern auch durch mütterliche Sauen ersetzt werden.

Lesestoff:

Publikationen und Tabellen werden künftig auf https://www.uni-goettingen.de/stall-der-zukunft bereit gehalten

[1] Zu viele Label im Spiel: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/helfen-siegel-wirklich-dem-tierwohl.html

Roland Krieg; Fotos: roRo

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