Deutsches Nagoya-Protokoll ohne Nagoya-Geist?
Landwirtschaft
Streit um genetische Ressourcen trotz Nagoya-Protokoll
Sie kriechen durch Wälder, tauchen in Gewässern und erklettern Berge. Botaniker sind weltweit auf der Suche nach neuen Pflanzen und maritimen Gewächsen. Die Vielfalt der Natur ist die Schatztruhe der Menschheit – und die Quelle der Innovation, ergänzte am Donnerstag Rita Schwarzelühr-Sutter, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. Das Thema Nagoya stand auf der Tagesordnung. Die Staatengemeinschaft beschloss auf der Rio-Umweltkonferenz 1992 die Konvention zur Erhalt der Biodiversität. 2010 folgte das Nagoya-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und der gerechten Verteilung. Die entsprechende EU-Verordnung 511/2014 muss in nationales Recht umgesetzt werden, weswegen am Ende alle Fraktionen zustimmten. „Aber dann ist auch Schluss mit lustig“, sagte die grüne Umweltpolitikerin Steffi Lemke.
Haben die Biologen eine Pflanze mit interessanten Eigenschaften und Inhaltsstoffen gefunden, können sie daraus Wirkstoffe extrahieren, winken im Gesundheits- oder Kosmetikbereich hohe wirtschaftliche Gewinne. Doch wem gehören die Ressourcen? Dem Staat, in dem die Pflanze gefunden wird, der aber keine Möglichkeiten für die Entwicklung von Wirkstoffen hat?
Den in zweiter und dritter Lesung abschließend beratenen Gesetzentwurf hält Schwarzelühr-Sutter für einen „wirksamen Riegel gegen Bio-Piraterie“. Wer die Natur erforscht, der muss sie auch für künftige Generationen schützen.
Birgit Menz von der Linksfraktion erinnert daran, dass die Forderung nach einem gerechten Ausgleich erst nach Drängen der Entwicklungsländer in das Protokoll aufgenommen wurde [1]. Dennoch gebe der Gesetzentwurf der Koalition den Unternehmen keine Rechtssicherheit. Private Grundlagenforschung brauche Planstellen, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) nicht zur Verfügung stellen könne. Im Kontext der Entwicklungshilfe sei der Gesetzentwurf „unverantwortlich“. Zudem werde er nur drei Wochen nach den Sustainable Development Goals der UN verabschiedet. Das deutsche Umsetzungsgesetz entspreche nicht den Zielen der Nachhaltigkeitspunkte.
Steffi Lemke geht sogar noch weiter. Die EU-Verordnung und das deutsche Gesetz seien das Gegenteil von Nagoya. Zustimmung zum Gesetz aus Rücksicht auf die Notwendigkeit der EU-Umsetzung gab es, aber eine neue Kampfansage gegen den Inhalt auch.
Problematisch seien die Einschränkungen. Nur genetische Ressourcen, die nach Unterzeichnung des Nagoya-Protokolls erschlossen werden, fallen unter diesen Schutz. Der Großteil der Pharma-, Saatgut- und Lebensmittelfirmen bediene sich jedoch aus den Botanischen Gärten. Auch sind Derivate von neuen Wirkstoffen nicht geschützt.
Zudem seien Kontrollsystem und Sanktionsrahmen unzureichend. Sanktionen gelten nur für Forschung und Entwicklung und Ergebnisse aus privater Forschung seien noch nicht einmal meldepflichtig. F & E sind zudem bei Marktantritt abgeschlossen, so dass deren Sanktionierung eine Vermarktung nicht verhindern könne. Ob sich eine Vermarktung lohne, stehe erst immer kurz vor Eintritt in diese Phase fest. Eigenfinanzierte Forschungsprojekte ohne Ziel der Vermarktung unterliegen keinerlei Meldepflicht – was das Gegenteil des Nagoya-Protokolls sei, führte Lemke aus.
Pflanzenzüchter klagen vor EuGH
Gegenwind aus anderer Richtung erfährt die EU-Verordnung auch durch die Pflanzenzüchter. „Der Zugang zu pflanzengenetischen Ressourcen war für die Pflanzenzüchtung eines der Hauptthemen 2014 und bleibt auch 2015 ein Kernanliegen“, sagte Dr. Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) im Jahresrückblick 2014.Die Züchter unterstützen den fairen Ausgleich „zwischen Gebern und Nutzern genetischer Ressourcen“. Doch die europäische Umsetzung gefährde Züchtung und Sortenschutz. Die Pflanzenzüchter haben mit dem Global Crop Diversity Trust eine freiwillige Unterstützung für den Ausgleich aufgelegt. Die Züchter sagen, sie ziehen keinen direkten Nutzen aus der Pflanze. Der entstehe erst durch eine langwierige Züchtungsarbeit, die nicht im geforderten Umfang dokumentiert werden kann. Das verhindere eine Weiterzüchtung der am Markt befindlichen Sorten.
17 deutsche Pflanzenzüchter haben beim Europäischen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage gegen die EU-Umsetzungsverordnung eingereicht, die am 22. Mai 2015 zunächst abgewiesen wurde. Dr. Schäfer kündigte aber bereits die Prüfung von Rechtsmitteln an und ging im Juni gegen das EuGH-Urteil in Berufung. Während das deutsche Gesetz solide sei, fehle es auf Brüsseler Ebene an Klarheit. Ohne Konkretisierung könnten neue Sorten der Züchter als genetische Ressourcen aufgefasst werden und unter das Nagoya-Protokoll fallen. Das vernichte den „Züchtungsvorbehalt“ als Kernelement des „Open-Source-Systems“ Sortenschutz. Der „Züchtungsvorbehalt“ erlaube jedem Züchter ohne Einschränkungen mit den am Markt befindlichen Sorten weiter zu arbeiten.
Lesestoff:
[1] Heilpflanzen mit hohem Marktwert. Peru stoppt Patente
Roland Krieg