Die Artenvielfalt im Anthropozän

Landwirtschaft

Der IPBES-Bericht zum Artensterben

Insekten werden den Menschen überleben. Vielleicht nicht der Monarchfalter, aber Asseln, Laufkäfer und Silberfischchen. Nach Verschwinden des Menschen profitieren eine Zeit lang auch Tauben und Ratten als Kulturfolger des Menschen. Das Insektensterben hat in den letzten Monaten das Bienensterben abgelöst. Die Vereinten Nationen haben sich in den vergangenen Tagen mit dem Oberbegriff, der biologischen Vielfalt, beschäftigt. Der am Montag veröffentlichte Abschlussbericht des Intergovernmental Panel on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) schlug die letzten Alarmglocken. Der Verlust an biologischer Vielfalt bedroht den Menschen genauso wie der Klimawandel.

Das besondere Erdzeitalter

Mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren begann die Erdneuzeit, das Känozoikum. Die jüngste Epoche in der wir offiziell noch leben ist das Holozän. Max Frisch hat diesem Erdzeitalter 1979 ein Denkmal gesetzt. Ein von einem Unwetter in den Schweizer Bergen isoliert lebender Mensch begegnet seinem eigenen Verfall und Sterben. Nobelpreisträger Paul Crutzen hat um das Jahr 2000 herum den neuen Begriff Anthropozän geprägt. Das wäre die aktuelle Sedimentschicht, die Forscher in mehreren Millionen Jahren entdecken könnten. Mit dem Begriff hat Crutzen alle anderen Definitionen der Erdzeitalter auf den Kopf gestellt. Denn so wie der Mensch hat bislang kein Lebewesen so tiefe Veränderungen in seine Lebensumwelt gebracht wie der Mensch.

Sammelten die Menschen vor 10.000 Jahren noch Beeren und jagten Beutetiere, baut der Homo sapiens heute von der Wüste bis zum Pol Konsumläden für jederzeit verfügbare Waren aus der ganzen Welt auf. Alleine in den letzten 60 Jahren hat sich die Weltbevölkerung auf 7,5 Milliarden Menschen verdoppelt. Die für den bequemen Wohlstand benötigten Rohstoffe und Lebensmittel übersteigen mittlerweile die planetaren Grenzen, wenn der höchste Konsum auf alle Menschen übertragen wird.

Gründe für das Artensterben

Das Verschwinden der Arten ist dabei nur eine Begleiterscheinung, die mit dem Anthropozän verbunden ist. Für das Gegensteuern haben sich die Staaten mit dem Pariser Klimaabkommen und der Agenda 2030 Hausaufgaben auferlegt, wieder zurück in die Spur zu kommen.

Das ist eine Gesellschaftsaufgabe, wie auch die Ursachen von allen getragen werden. Das ist eine der Aussagen des IPBES-Berichtes. Er zeigt die nüchterne Analyse von mehr als 15.000 Quellen über den Artenschwund auf, ohne den Finger auf einen einzelnen Sektor zu legen. Die dramatische Analyse will die komplexen Gründe des Artenschwundes und die Verbindungen zwischen wirtschaftlichen und demographischen Ursachen und ihren Auswirkungen auf die Natur aufzeigen.

Seit 1900 sind 20 Prozent der landbasierten Arten verschwunden, mehr als 40 Prozent der amphibischen Arten und ein Drittel der Korallen und großen Säugetiere stehen vor ihrem planetaren Aus. Der Biologe Prof. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle/Saale fasst den Bericht wie folgt zusammen: „Der Umfang von Ökosystemen, Wildarten, lokale Arten sowie auch von den Menschen gezüchtete Pflanzen und Tiere wird kleiner, der Zustand ihrer Population verschlechtert sich und verschwindet. Das lebenswichtige Netz des Lebens auf der Erde wird kleiner und franst zusehends aus. Dieser Verlust ist eine direkte Folge menschlichen Verhaltens und bedroht das Überleben der Menschen in allen Teilen der Welt.“

Der systemische Ansatz

Erstmalig haben die Biologen fünf Bereiche benannt, die das Verschwinden der Arten verursachen: Die veränderte Nutzung von Land und Ozeanen, die direkte Nutzung von Organismen, der Limawandel, die Verschmutzung und das Vordringen invasiver Arten.

Meist wird das Thema Biodiversität auf die Landwirtschaft zugeschnitten und vergleichbare Ursachen weggelassen. Richtig: Die intensive Landwirtschaft erschwert die Lebensbedingungen für Feldvögel. Die britischen Agrarforscher aus Rothamsted. Ihre Langzeituntersuchung, die in den Abschlussbericht der IPBES ebenfalls enthalten ist, zeigt, das Vögel ihren Brutbeginn mit dem seit 50 Jahren früher einsetzenden Frühjahrsbeginn ebenfalls zeitlich nach vorne verlagern. Das muss aber nicht bei Insekten gelten, so dass den frühen Vögeln keine Beute zur Verfügung steht. Lediglich bei Blattläusen ist eine Jahresverfrühung im Zuge des Klimawandels zu erkennen.

Einfache Zuordnungen sind fehl am Platz. Die Studie des IPBES betont daher die Allgemeingültigkeit des Artenschwundes und verweist auf die komplexen Zusammenhänge, die auch durch gemeinsame Strategien gelöst werden müssen. Und daran scheitert es in der Politik. Der mindestens den Artenschwund genauso verursachende Flächenfrass wurde im letzten Jahr politisch eher goutiert. Das genauso erfolgreiche Volksbegehren gegen den Flächenverbrauch sei ein nicht erlaubter Eingriff in die kommunale Entscheidungshoheit. Das Messen mit zweierlei Maß ist daher der gemeinsame Ursachennenner  für das vom IPBES bezifferte Artensterben.

Daher geht die aktuelle Diskussion um eine CO2-Steuer in Berlin zielgerichtet an einer multifaktoriellen Lösung vorbei. Was sich ändern muss, hat der IPBES deutlich gesagt: Das industrielle Konsummuster. Dessen Änderung wird nicht ohne Einschnitte einhergehen. Für das neue Wirtschaften liegen Blaupausen längst vor: Das Bruttoinlandsprodukt als Maß der Lebensqualität hat ausgedient und die Enquete-Kommission des Bundestages Alternativen aufgezeigt [1]. Ein Problem ist die nicht quantifizierte Erhaltungsleistung. Allgemeine Umweltgüter wie saubere Luft und sauberes Wasser finden in der ökonomischen Arithmetik noch immer keinen Einfluss. Modelle liegen aber auch schon lange vor [2].

Lesestoff:

Den Bericht über das Artensterben finden Sie unter https://www.ipbes.net/

[1] Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität: https://herd-und-hof.de/handel-/das-leben-jenseits-des-bip.html

[2] Der Natur einen Wert geben: https://herd-und-hof.de/handel-/schlussbericht-teeb.html

Roland Krieg

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