Die Bildung eines Wunschpreises
Landwirtschaft
Klöckner spricht sich doch für eine Tierwohlabgabe aus
„Es ist eine auffallende und beunruhigende Tatsache, dass bis jetzt noch keine umfassende und allgemein anerkannte Theorie der Preisbildung im Einzelhandel existiert. Der Einzelhandel stellt eine derart wichtige Wirtschaftsgruppe dar, und die Preisbildung im Einzelhandel ist wirtschaftspolitisch, wie jeder Blick in die Tageszeitung lehrt, von einer solchen Bedeutung, dass das Fehlen einer allgemein anerkannten Theorie als ein wirklicher Mangel empfunden werden muss.“
Das schreibt Ökonom Alfred Eugen Ott, in einer Abhandlung zu den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik mit dem Thema: Ein statistisches Modell der Preisbildung im Einzelhandel“ aus dem Jahr 1960 [1].
Was macht den Preis?
Sehr viel weiter ist die Ökonomie heute auch noch nicht. Bildet sich der Schnitzelpreis am Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage in einem vollkommenen, transparenten Markt? Oder gibt es da eine spezielle Mechanik und eine Psychologie, wie es Manfred Schöpe im ifo Schnelldienst 15/2007 mutmasste? 2007 gingen Ökonomen noch von einem „Ende der Landwirtschaftlichen Tretmühle“ für Erzeugerpreise aus. 2012 verkündete der Berliner Agrarökonom Harald von Witzke dieses Ende in den „Vierteljahresheften zur Wirtschaftsforschung" vom DIW Berlin [2]. Und irrte. Schlechte Ernte und schlechte Preise sind seit drei Jahren das wirtschaftliche Los der Landwirte.
Viele Dekaden lang sicherte die EU Agrarpreise durch A,B und C-Preise für Zucker, Milchquoten und Interventionspreise gegen den günstigeren Weltmarkt ab. Erst ab 1992 wurden die Landwirte langsam „in den Weltmarkt entlassen“. Der damalige EU-Agrarkommissar Ray MacSharry leitete das Ende der Stützpreise ein. Seitdem wird Rohmilch neu bewertet, wie Schöpe aufzeigte: Milch und Milchprodukte werden nach „Milchtrockensubstanz“ entlohnt. Die ist durch den höheren Milchanteil bei Butter und Käse deutlich höher als bei Frischmilch. Die Landwirte werden jedoch bis heute nur für die Frischmilch entlohnt, die sie ab Hof liefern. Nur Landwirte mit eigener Käserei schöpfen den der Frischmilch folgenden Mehrwert selbst ab.
Das ist bei Fleisch kaum anders. Wer nur die Schweinehälften liefert erzielt einen anderen Erlös, als der Landwirt, der selbst schlachtet und direkt vermarktet. Verbraucher zu bedrängen, sie sollten freiwillig höhere Preise für Fleisch aus einer Prozesskette mit höheren Tierwohl, Umwelt- und Sozialstandards bezahlen, macht alleine deshalb keinen Sinn, der die gesamte Prozesskette vor dem Verbraucher nach Preiskriterien produziert.
Zahlreiche Einflussfaktoren
Ähnlich verhält es sich, wenn die Landwirte den Lebensmittelhandel adressieren. Spielräume für Preiserhöhungen sind nach Analyse der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bei mehr als 230 Warengruppen durchaus drin. Lediglich bei 40 Warengruppen sind die Preisräume deutlich eingeschränkt [3]. Generell gilt: Je regelmäßiger Produkte von Kunden gekauft werden, desto preissensibler reagieren sie und desto geringer sind die Chancen, die Preise zu erhöhen. Kunden bemerken einen Preisanstieg bei Waren, die täglich kaufen, schneller und reagieren mit Nachfrageverlagerung. Aus diesem Grund zählen Milch und Fleisch zu den Lockangeboten im Supermarkt. Der Paradigmenwechsel, Lebensmittel statt über den Preis über zusätzliche Qualitäten anzubieten, erfordert Kommunikation seitens der Händler und Verständnis seitens der Kunden. Im Biomarkt oder bei Spezialprodukten wie Heumilch gelingt das.
Borchert-Kommission
Es gibt keinen Grund, warum das bei Fleisch nicht auch gelingen sollte. Allein: Investitionen in Ställe werden auf Jahrzehnte hinaus verausgabt. Jeder neue Stallbau erhöht zwar das Tierwohl. Aber das Geld muss am Ende auch wieder hereinkommen. Was der Markt nicht entlohnt, muss dann von außerhalb des Marktes kommen.
Die so genannte Borchert-Kommission hat eine Tierwohlabgabe zur Finanzierung der Zäsur bei der Tierhaltung eingefordert. Ob Steuer, Abgabe, Tierwohlplus oder anderen Begrifflichkeiten –an diese Form der Preisbildung hat Alfred Ott 1960 sicher noch nicht gedacht.
Die Forschung macht Fortschritte. Das Institut für Agrarökonomie der Christian-Albrechts-Universität Kiel forscht an den Zusammenhängen. Heute kennen die Ökonomen deutlich mehr Parameter für die Preisbildung im Lebensmitteleinzelhandel: Dazu gehört die Markenauswahl, die Wahl des Geschäftes, der Wettbewerb zwischen den Händlern und der Wettbewerb der Produkte innerhalb eines Geschäftes [4].
Staatliche Eingriffe sind bei Agrarmärkten eher die Regel als die Ausnahme. Politisches Interesse, Zugang zu Nahrungsmitteln für alle Verbraucher und Stabilisierung der Landwirteeinkommen ergeben ein Gemenge aus Subventionen und Preispolitik [5].
Der Ausbruch von SARS-CoV-2 bei Tönnies hat nicht nur gezeigt, dass anfänglich gute Hygienekonzepte das Virus nicht eindämmen können. Die Diskussion um die die arbeits- und Prozessbedingungen in der Fleischwirtschaft haben das Thema Prozess, Preise und Tierwohl erneut auf die Agenda gebracht.
Die Antwort auf die Frage, woher notwendige Finanzmittel kommen, sofern sie nicht über den Markt generiert werden, bleibt also offen.
Neue Sicht im BMEL
Die Forderungen nach einer Fleischsteuer oder etwas ähnlichem waren bislang der Opposition vorbehalten. Die Borchert-Kommission hatte im April 2020 auch ein Kapitel „Finanzierung“ angelegt. Ein Rückgriff auf allgemeine Steuermittel wäre verteilungspolitisch sinnvoll, würde aber nicht allein von denen getragen werden müssen, die diese Produkte konsumieren und hätte keine Lenkungswirkung. Eine Umwandlung der EU-Direktzahlungen für die Tierproduktion stehe im Wettbewerb zu anderen Klima- und Umweltmaßnahmen und eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Fleisch kann nicht zweckgebunden eingenommen werden. Hingegen sei eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte oder eine Sonderabgabe Tierwohl mit strenger Zweckgebundenheit möglich und erzielt eine Lenkungswirkung.
Das Thema schlummerte seit Übergabe des Kommissions-Berichtes im Bundeslandwirtschaftsministerium. Bis sich an diesem Wochenende Julia Klöckner in verschiedenen Medien vom Vorschlag überzeugt zeigte. Nach einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) hatte sie über eine Einigung für eine Tierwohlabgabe in der Großen Koalition gesprochen und das gegenüber einer Nachrichtenagentur noch einmal verdeutlicht. SPD-Agrarpolitiker Rainer Spiering hat in der NOZ gleich nachgelegt und will noch in diesem Monat einen Antrag im Bundestag beschließen lassen.
Lesestoff:
[1] Ott, Alfred: Ein statistisches Modell der Preisbildung im Einzelhandel, in : Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 172, Heft 1, 1960 https://doi.org/10.1515/jbnst-1960-0102
[2] von Witzke, Harald: Das Ended er Landwirtschaftlichen Tretmühle, in Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, DIW, 81. Jahrgang, 04/2012, S. 63 – 70
[3] Preisgestaltung im Lebensmitteleinzelhandel: Horizont – Zeitschrift für Marketing, 12.07.2010
[4] Preisbildung im deutschen Lebensmitteleinzelhandel: Christian-Albrechts-Universität Kiel, Forschungsprojekte 2015
[5] von Braun, Joachim: Nahrungsmittelpreise und ihre Bedeutung für Ernährungssicherheit, Bundeszentrale für politische Bildung, 13.11.2014 https://www.bpb.de/internationales/weltweit/welternaehrung/194998/nahrungsmittelpreise
Roland Krieg
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