Die Büchse der Pandora

Landwirtschaft

100 Jahre Nobelpreis für Robert Koch

„Wenn die Zahl der Opfer, welche eine Krankheit fordert, als Maßstab für ihre Bedeutung zu gelten hat, dann müssen alle Krankheiten, namentlich aber die gefürchtetsten Infectionskrankheiten, Pest, Cholera u.s.w. hinter der Tuberculose zurückstehen. Die Statistik lehrt, dass 1/7 aller Menschen stirbt und dass, wenn nur die mittleren productiven Altersklassen in Betracht kommen, die Tuberculose ein Drittel derselben und oft mehr dahinrafft.“

Jubiläumsfeier im Robert Koch Institut
Am 10. April 1882 veröffentlichte der Sohn einer Clausthaler Bergarbeiterfamilie in der „Berliner Klinischen Wochenschrift“, dem „Organ für practische Aerzte“, die Ätiologie, die Lehre über die Krankheitsursachen, der Tuberkelbazillen. Am 12. Oktober 1905 bekam er für deren Entdeckung den Nobelpreis der Medizin, was das Robert Koch Institut am vergangenen Wochenende in Berlin zum Anlass nahm, ein internationales Symposium über Infektionskrankheiten durchzuführen – nur etwa 15 Meter von dem Labor entfernt, in dem der Bakteriologe forschte.
Seine Geschwister migrierten ins Ausland, so dass es fast glücklich erscheint, den international höchst renommierten Wissenschaftler in den Annalen der deutschen Wissenschaft zu führen. Prof. Christoph Gradmann von der Universität Heidelberg konnte nur die bedeutendsten Eckpfeiler seiner wissenschaftlichen Arbeit aufzählen. So beginnt die Entdeckungsliste bereits 1876 mit dem Milzbrand und Koch konnte ein Jahr später mit Hilfe der Mikrophotographie Spirochaetae Obermeiri (Erreger des Rückfallfiebers) als Vertreter der Mikrobenwelt sichtbar festhalten, was den meisten Menschen unentdeckt bleibt und daher eine vage Bedrohung ist. Zu Lebzeiten Kochs befanden sich die Bakteriologen weltweit auf einem Kreuzzug gegen die Weltplagen, der ihn selbst nach Ägypten (Cholera), Südafrika (Rinderpest), Indien (Pest), Italien (Malaria) und Ostafrika (Schlafkrankheit) führte. Zudem gehen öffentliche Hygiene und Desinfektionsmaßnahmen auf den Namensgeber des Instituts zurück, in dem als einziges neben dem Pasteur-Institut in Paris, auch ein Mausoleum mit der jeweiligen Urne aufgebaut wurde.

Vogelgrippe: „Nur“ ein weiterer Kampf
Nach Robert Kochs Beschreibung über den Auswirkungsgrad einer Krankheit erscheint die Vogelgrippe mit rund 60 Toten unbedeutend. Alleine in Deutschland sterben jedes Jahr rund 20.000 Menschen an der „normalen Influenza“. Seit 1981 sind 24 Millionen Menschen an AIDS verstorben und, so zeigte eine Adaption an die Richterskala der Geologen von Prof. Robin Weiss vom University College aus London, nur das Rauchen fordert noch mehr Opfer. Der Mensch hat 10 hoch 13 Zellen, so Prof. Richard Wenzl von der Commonwealth University in den USA. Er wird aber auch von 10 hoch 14 Mikroben besiedelt und bewohnt. „Der Mensch ist also praktisch nur ein Zehntel der Mikrobenwelt“, so Wenzl.
In der Evolution sprangen schon immer Krankheiten vom Tier auf den Menschen über, die der Experte Zoonosen nennt: 6.000 v. Chr. holten sie sich die Masern vom Rind, 2.000 v. Chr. die Pocken vom Kamel, 1347 die Pest von den Ratten, die Affenpocken 2003 - und 2006 möglicherweise die Vogelgrippe?

Der Mensch ist nicht allein
Die Büchse der Pandora ist Mutter Natur, beschrieb Prof. Robert Webster vom St. Jude’s Hospital in Memphis, die augenblickliche Situation – sie ist aber nur ein bisschen geöffnet. Webster referierte bereits auf dem Berliner Influenza Kongress Ende Mai über die Vogelgrippe und bekräftigte, dass eine Epidemie mit Sicherheit entstehen wird. Das kann aber in zwanzig Jahren sein oder während seines Vortrages. Die Influenza-Viren zeichnen sich durch zwei effektive Überlebensstrategien aus, die sie so unberechenbar machen. Zum einen produzieren sie ständig viele neue Proteine, dass irgendwann einmal eines davon zwangsläufig auftauchen werden muss, dass dem Menschen gefährlich ist. Zum anderen weisen sie acht Segmente in ihrer Genstruktur auf, in denen Gene ausgetauscht und neu kombiniert werden können. Das entspricht der Möglichkeit sich gleich acht Mal sexuell neu zu kombinieren, so Webster.
Die Subtypen H1, H2 und H3 haben sich beim Menschen bereits eingerichtet und die Natur probiert es gerade mit den Subtypen H5, H7 und H9, wobei sie nur über Geflügel und Schweine auf den Menschen übertragen werden können. Die Forschung hat bei der Rekonstruktion des Spanischen Grippevirus von 1918 herausgefunden, dass seine genetische Replikation nur in Abwesenheit von Trypsin stattfindet und sich in den Epithelzellen der menschlichen Atemwege entwickelt. Mit solchen Indizien können wirksame Impfstoffe entwickelt werden.
Prof. Webster musste allerdings auch feststellen, dass die Gelegenheit verpasst wurde, das H5N1 – Virus in Asien zu stellen und an der Verbreitung zu hindern. Der zur Zeit dominante Z-Genotyp des Virus hat seine ähnlichsten Verwandten in chinesischem Hausgeflügel. Mit Hilfe von Stammbäumen können die Virusexperten Gefahrenherde tatsächlich gut einkreisen. 1997 trat auf Hongkonger Geflügelmärkten ein dann auch wieder schnell verschwundenes Virensortiment auf, dass sich aus dem Virenpool in Gänsen (H5N1), Wachteln (H9N2) und Enten (H6N1) gebildet hatte. Sechs von 18 Menschen, die damit infiziert waren, starben.
Enten sind, so Webster, das größte Problem, weil der Virus in den Tieren vorhanden ist, ohne dass sie krank werden und es damit unerkannt weiter tragen können. Hühner sterben an dem gleichen Virus innerhalb eines Tages. Einige Fragen können die Wissenschaftlern noch nicht beantworten: In Asien besuchen Millionen Menschen die Geflügelmärkte. Es wurden aber nur 126 infiziert, von denen 62 verstarben. Möglicherweise sind einige Asiaten auch anfälliger für das Andocken des H-Rezeptors am Virus als andere? Taiwan, die Philippinen und Australien liegen inmitten der nordsüdlichen Vogelflugrouten in Asien und haben noch keinen einzigen Fall der Vogelgrippe vermelden müssen: Noch gibt es keine Idee für diese Ausnahmen. Sorge macht das Ankommen des Virus in indonesischen Schweinen, die damit als „Mischgefäß“ für neue Virusarten prädestiniert sind. Hoffnung macht aber auch, dass 10 mg Oseltamivir pro kg Lebendgewicht und Tag die Influenza wirksam zu bekämpfen scheint.
Websters Prognose ist einfach: Da H5N1 in Asien nicht ausgerottet und in Wildgeflügel verbreitet ist, wird sich die Ausweitung des Virus in Europa fortsetzen.
Prof. Webster lobte das Robert Koch Institut für den Aufbau des nationalen Pandemieplanes und gab die Empfehlung heraus, die Grippeschutzimpfung zu nutzen: Damit könne man bei Infektion mit H5N1 eine Kombination mit anderen Influenza-Typen verhindern, auf dessen Resultat das menschliche Immunsystem und die Humanmedizin nicht sofort wirksam reagieren können. Herd-und-Hof.de kann den Tipp noch ergänzen: Grippeschutzimpfungen sind kostenfrei und die Entrichtung der Praxisgebühr entfällt.

Auf die Weihnachtsgans verzichten?
Der Landesbetrieb Hessisches Landeslabor gab Ende der Woche eine Entwarnung heraus, dass durch „den Verzehr von Lebensmitteln ... bisher noch keine Ansteckung nachgewiesen worden (sei und) das Risiko .. daher für gering erachtet (werde). In Deutschland gekauftes Geflügel, Geflügelprodukte und Eier könne bedenkenlos verzehrt werden, da sie von gesunden Tieren aus gesunden Tierbeständen stammen.“ Das Virus ist zudem sehr hitzeempfindlich und wird bei haushaltsüblichen Koch- und Brattemperaturen von über 65 °C sicher abgetötet. Das Bundesinstitut für Risikobewertung ergänzt die Verzehrsempfehlung noch um den Hinweis, dass selbst durch rohe Eier und Rohwursterzeugnisse mit Geflügelfleischanteil von infizierten Tieren keine wissenschaftlichen Hinweise auf eine Infektion des Menschen existieren. „In Ländern, in denen Vogelgrippe aufgetreten ist, sollten Verbraucher trotzdem vorsorglich auf den Verzehr roher, eihaltiger Speisen (Eischnee, Tiramisu etc.) verzichten.“
Das Verbraucherministerium hat, ebenfalls letzte Woche, darauf hingewiesen, dass derzeit private Anbieter mit kostenpflichtigen Informationen zur Vogelgrippe auf Videotextseiten einiger Fernsehsender auftreten. Zu der Geschäftmacherei mit der Unsicherheit der Verbraucher sagte Staatssekretär Alexander Müller: „Es grenzt schon an dreiste Abzocke, wenn 2,99 Euro für Informationen per SMS oder Faxabruf verlangt werden, die für jedermann problemlos frei zugänglich sind.“

Angesichts der offenen Fragen und der stillen Bedrohung einer Pandemie ist es bei den täglichen Meldungen über die Vogelgrippe nicht leicht, die Ruhe zu bewahren ohne gleich den Kopf in den Sand stecken zu müssen. Herd-und-Hof.de kann neben dem www.verbraucherministerium.de auf die beiden Institute verweisen, die sich sachlich und fachlich um die Bereitstellung der aktuellen Informationen bemühen und auf ihren Internetseiten Verbraucherfragen beantwortet haben. Für die veterinärmedizinische Seite steht das Friedrich-Loeffler-Institut und für die humanmedizinische Seite steht das Robert Koch Institut auch jeweils der Bundesregierung beratend zur Seite. Dort gibt es Informationen aus erster Hand. Das schmälert nicht die Bedrohung durch den Virus, aber Faktenwissen schmälert manche Unsicherheit und zeigt jedes Mal, dass die Experten an der Arbeit sind.

Wie reagiert der Handel?
Der Deutsche Bauernverband sieht in den Schutzmaßnahmen gegen die Vogelgrippe und den seit Jahren laufenden Monitoring-Programmen einen Sicherheitsfaktor für die Branche. Die Deutsche Geflügelwirtschaft konnte in den vergangenen Tagen keine Kaufzurückhaltung verzeichnen. Es deute sich lediglich an, dass die Kunden beim Einkaufen stärker als bisher auf die Herkunft achten. Caspar von der Crone, Geschäftsführer des Branchenverbandes, sieht den Absatz der No-Name-Produkte rückläufig, wie die Lebensmittelzeitung (LZ) jetzt berichtet. In europäischen Nachbarländern reagieren die Verbraucher allerdings bereits mit zweistelligem Konsumrückgang. Sollte die Stimmung in Deutschland kippen, so die LZ weiter, träfe es zuallererst die Discounter.
Fleischwarenhersteller, die nicht nur Geflügel anbieten stellen sich auf eine Ausweitung des Schweineportfolios ein. Die Vogelgrippe könnte Auswirkungen haben, die den Handel träfen, wie den Rinderfleischmarkt in der BSE-Krise. Die Preise für Schweinefleisch ziehen bereits leicht an.

VLE

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