Die EU im Labyrinth des Tierwohlgedankens

Landwirtschaft

Europa uneins über die Tierwohlstrategie

Jérémy Decerle von den französischen Liberalen ist Berichterstatter im EU-Agrarausschuss für die „Verbesserung und Umsetzung des Tierwohls für eine europäische Führungsrolle bei ökonomischer Nachhaltigkeit für Landwirte“. Am Donnerstag führte der Ausschuss eine öffentliche Anhörung durch, die weniger Antworten als weiterhin ungeklärte Fragen offenlegte. Nach Decerle können die unterschiedliche Vorgehensweise und Fortschritte beim Tierwohl zwischen den EU-Mitgliedsländern nicht länger toleriert werden. Für neue Regeln müsse das Parlament Stringenz für den gemeinsamen Markt und das Monitoring zeigen. Inklusive der Frage nach Importen aus Drittländern mit geringen Standards.

Moralische Pflicht

Einigkeit gibt es über die moralische und ethische Pflicht, Tierwohl deutlicher zu bewerten. Das muss nach Andrea Gavinelli von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit unabhängig von der Kostenfrage ernst genommen werden. Olga Kikou von der britischen Tierschutzorganisation „Compassion in World Farming“ fordert die Parlamentarier zur Unterstützung der Ziele in der  Strategie „From-Fork-to-Form“ auf. Die Strategie sei zukunftsweisend und eine Chance für die Europäische Union weltweit eine Führungsrolle zu übernehmen. Luc Mounier ist Professor für Tierwohl am dem französischen Landwirtschaftsministerium angeschlossenen Institut für Tiermedizin und Tierwohl „VetAgro Sup“ in Lyon. Er bekräftigt im Gegensatz zu einzelnen EU-Parlamentariern, dass sich in der europäischen Tierhaltung bereits viel gebessert hat. Europa müsse den Weg weitergehen, ohne die Kosten den Bürgern aufzubürden. Mounier identifiziert das Problem der Drittlandsimporte. Zunächst sollten die Mitgliedsländer jedoch einen gemeinsamen Nenner finden und danach mit der Welthandelsorganisation WTO über die Präferenzen gegenüber Drittstaaten verhandeln.

Unzulänglichkeiten bei Gesetzen und in der Vermarktung

Der Weg dahin ist steinig. Christiane Lambert vom europäischen Bauernverband Copa stellte fest, dass die Tierhaltungs-Gesetzgebung immer komplexer geworden ist und selbst Experten diese nicht mehr einheitlich auslegen können. Der Weg müsse langfristig angegangen werden, weil der Markt die Zusatzkosten nicht übernehme. Die Betriebe brauchen eine wirtschaftlich nachhaltige Perspektive, ihnen müssten Übergangsfristen für die Anpassung zugestanden werden und die Standards müssten für alle Landwirte im Binnenmarkt und in Drittstaaten gelten.

Agrarökonom Willy Baltussen von der niederländischen Universität Wageningen gab einen Einblick in den holländischen Markt. Neben dem gesetzlichen Mindeststandard gibt es im Bereich des Frischfleisches Handelsmarken mit höheren und ganz hohen Standards. Der Markt für die ganz hohen Standards betrage aber lediglich drei Prozent und nehme kaum noch neue Produkte auf. In der Verarbeitungsindustrie dominiert der gesetzliche Mindeststandard. Baltussen warnte, dass die Aussicht auf höhere Margen bei höheren Standards nicht automatisch zu höheren Einkommen der Landwirte führen. Das mag pro Tier zwar der Fall sein, aber weil die Tierzahl reduziert ist, falle das Einkommen ab. Hohe Standards könnten für einzelne Landwirte eine Alternative sein, aber wegen der Marktbegrenzung eben nicht für alle.

Kennzeichnung und Finanzierung

Über die Kennzeichnung gibt es innerhalb der EU nach Gavinelli keine einheitliche Linie. Die Vielfalt an Label könnte Verbrauchern die Möglichkeit nehmen, sich richtig zu orientieren. Eine europäische Lösung wäre für den stellvertretenden Generaldirektor der Agrarkommission, Micheal Scanell wichtig. Die Europäer sollten sich auf ihren eigenen Markt fokussieren und das Vertrauen der Verbraucher gewinnen. Dann bekämen Drittlandsimporte mit niedrigeren Standards auch keinen Markt.

Wie das höhere Tierwohl finanziert werden kann, bleibt offen. Nach Baltussen haben zwar Ökoprodukte gute Chancen, aber einen begrenzten Markt. Steuerungselemente, wie sie aktuell in Deutschland diskutiert werden, wie veränderte Mehrwertsteuer, ein Fonds oder eine Tierwohlabgabe will die EU nicht vorgeben. Scanell betont, dass die Festlegung von Gebühren und Steuern in der Hoheit der einzelnen Mitgliedsländer liegt.

Roland Krieg

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