Die Fleischindustrie ist debattenrelevant
Landwirtschaft
Corona-Kabinett verschiebt heißes Eisen Schlachtindustrie
In der Aktuellen Stunde im Bundestag wurde in der vergangenen Woche die Arbeitssituation in der Fleischindustrie debattiert. Zum einen ging es um „alte Probleme“, bei denen nur ein Niedriglohnsektor „Billigfleisch“ auf dem Rücken der Arbeitskräfte garantiere, zum anderen ganz konkret um die Krankheitsfälle während der Pandemie [1].
Thema verschoben
Zwischen Verbot und Laissez-faire mit einzelnen Korrekturen war die Bandbreite künftiger politischer Schritte breit gestreut. Klarheit sollte am Montag das Corona-Kabinett bringen. Arbeitsminister Hubertus Heil wollte neue klare Regelung der Arbeitsbedingungen vorlegen. Nicht nur für den speziellen Fall der Pandemie, sondern offensichtlich auch weitergehend über grundlegenden Änderungen in der Fleischindustrie.
Wegen der offenbaren Differenzen wurde das Thema wieder abgesetzt. Verschoben auf die reguläre Kabinettssitzung am Mittwoch. Vor allem die CSU will keine härteren Regeln. Wo soll die Einigung in zwei Tagen herkommen? Hintergrund sind die Werksverträge der Schlachtunternehmen, die Arbeit an Subunternehmen weiterreichen. Die einen Schlachten das Tier, die anderen zerlegen es. Arbeiter stehen nebeneinander und verdienen unterschiedlich viel Geld. Der Subunternehmer fühlt sich nicht an den Werksvertrag gebunden und die Schlachtbranche stiehlt sich mit dem offiziellen Werkstrag aus dem Offensichtlichen. Die Pandemie hat das Thema neu in die Öffentlichkeit gezerrt.

Aktivitäten BMEL
Wegen der Abstandsregeln nehmen nicht mehr alle Ministerien an den Regierungs-Pressekonferenzen teil. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft war zuletzt am 06. Mai im Saal. Fünf Sitzungen hat es gefehlt. Am Montag hatte die Bundespressekonferenz ausdrücklich einen Vertreter eingeladen, doch kam niemand vorbei. Dafür hatte Ministerin Julia Klöckner mit der rumänischen Arbeitsministerin Violeta Alexandru konferiert. Die EU und die beiden Entsendeländer Bulgarien und Rumänien sind auf die Zustände in der deutschen Schlachtbranche aufmerksam geworden. Alexandru wolle wissen, wie es ihren Arbeitskräften in Deutschland gehe, sagte Klöckner im Anschluss.
Rund 30.000 rumänische Arbeiter kommen jedes Jahr nach Deutschland. Die Arbeiter schätzen die Bedingungen, zu denen sie hier arbeiten können, sagte Alexandru. „Viele Freundschaften sind entstanden“, sagte Klöckner, aber die Coronakrise brauche klare Reglementierungen. Jede Saison-Arbeitskraft ist in Deutschland unfallversichert und wer zu Hause keine Krankenversicherung hat, bekomme in Deutschland eine Gruppenversicherung. Es müsse immer ein Arbeitsvertrag mit dem gesetzlichen Mindestlohn vorliegen. Für Verstöße gegen Hygieneregelungen gibt es Bußgelder und Strafen. Klöckner betont die Arbeitnehmerfreizügigkeit als wichtigstes Gut in der EU.
Dem wollte Alexandru nicht widersprechen und wünschte sich, dass rumänische Arbeiter in der EU überall gleich behandelt werden. Es gebe „alte Probleme“ und neue in Zeiten der Pandemie. Beide Länder wollen eine Arbeitsgruppe bilden. Welche sozialen Rechte stehen den Arbeitern zu, wie ist ein vorfristiger Rücktransport gesichert, weil die Rückfahrt erst nach Vertragsabschluss bezahlt wird, und was passiert mit den Arbeitern bei Insolvenz des Unternehmens?
Am Nachmittag besuchte die rumänische Arbeitsministerin einen Brandenburger Betrieb mit rumänischen Erntehelfern.
Die Realität sieht anders aus
Der Bundestag war am vergangenen Mittwoch weiter. Es geht um überfüllte Massenunterkünfte im privaten Wohnbereich, die sich jedweder Kontrolle entziehen. Vom Mindestlohn werden Mieten abgezogen. Eine Forderung war die Ausdehnung des Arbeitsschutzgesetzes eines Unternehmens auf alle Firmen, die für das Unternehmen tätig sind.
Clemens Tönnies hat über das Wochenende ein Verbot von Werkverträgen ohne deutschen Arbeitsvertrag und ohne deutsche Sozialversicherung in die Runde geworfen. Hubertus Heil hat seine klaren Forderungen an die Messlatte der unterbliebenen Verbesserungen der Vergangenheit verknüpft. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums gestand am Montag, es gebe mangelnde Kontrollen gegen Arbeitsbedingungen, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Dennoch sei das Fleischgewerbe ein Schwerpunktbereich. Der Zoll werde bei weiteren Beschlüssen seine Prüfungen intensivieren.
Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen hatte am Wochenende einen Mindestpreis für Fleisch vorgeschlagen. Christoph Minhoff von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) bezeichnete das als „Öko-Populismus“.
Westfleisch im Hin und Her
Westfleisch in Coesfeld startet heute im Beisein aller relevanten Überwachungsbehörden einen Testlauf ohne Tiere. Dadurch soll das Hygienekonzept begutachtet werden. Ist es erfolgreich, sollen am Mittwoch die ersten 1.500 Schweine wieder geschlachtet werden. Auch dann werden die Behörden vor Ort sein.
Das Unternehmen hat sich von seinem Werkvertragsunternehmen getrennt und die 350 Betroffenen Mitarbeiter in sein Werk aufgenommen. Westfleisch-Vorstand Johannes Steinhoff will sich auch um die laufenden Mietverhältnisse und um den Transport von und zur Arbeit kümmern. Seit 2014 hat Westfleisch die Zahl der eigenen Mitarbeiter von 1.900 auf 4.150 mehr als verdoppelt und im Gegenzug Zahl der externen Beschäftigten abgebaut. „Wichtig ist, dass man Werkverträge richtig lebt“, so Steinhoff.
Im rund 100 Kilometer entfernten Dissen in Niedersachsen sieht es anders aus. Dort haben sich im mit Danish Crown gemeinsam betriebenen Werk „Westcrown“ 92 Mitarbeiter mit SARS-CoV-2 infiziert. Das Werk darf vor der behördlichen Zwangsschließung die bereits in Lkw angelieferten Schweinehälften noch verarbeiten. Sonst müssten sie entsorgt werden. Die Arbeiter sollen dem gleichen Subunternehmen wie in Coesfeld angehören.
Lesestoff:
[1] Schluss mit Werksverträgen? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/alte-rechnungen-im-bundestag.html
Roland Krieg; Foto: Screenshot des Abschluss-Statements
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