Die GAP entwicklungstauglich machen
Landwirtschaft
Reger Handel oder regionale Produktion gegen Armut und Hunger?
Als 1961 die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aufgelegt wurde, stand das Ziel der Ernährungssicherung im Vordergrund. Etwas, was den Europäer heute gar nicht mehr hinterfragt. Die Produktivität der Landwirtschaft war in den Folgejahrzehnten so hoch, dass bald Butterberge und Milchseen entstanden. Der Kampf gegen den Überfluss wurde auch mit Exporterstattungen geführt, die in Entwicklungsländern die eigenen Bemühungen zur Erlangung einer Nahrungssouveränität zurückgehalten wurde. In den 1970er Jahren hungerte weltweit jeder Dritte Mensch.
Heute ist die Situation auf der Welt kaum noch mit damals vergleichbar. Mit Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) 1993 versuchte die MacSharry-Reform die Agrarpolitik vom Produktionsansatz mit Richtpreis und Stützungsgeldern wegzukommen, was seitdem in kleinen Schritten hin zu einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung umgesetzt wird. Zuletzt fielen die Zuckerquoten im Jahr 2017. Doch im Herzen der GAP der Europäischen Union (EU) stecke noch immer ein Produktionsansatz der EWG, sagte Olivier de Schutter, stellvertretender Vorsitzender des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems (IPES-Food) in Brüssel. de Schutter war einer der Gastredner am 26. Februar im EU-Entwicklungsausschuss. Debattiert wurden die Auswirkungen der GAP auf die Entwicklungsländer, weil derzeit die neue Förderperiode ab 2020 geplant wird und die EU als größter Geldgeber für Entwicklungsgelder die Märkte in der Welt nicht stören möchte. Das zu beurteilen ist allerdings nicht so einfach.
Extensive Weidewirtschaft in Burkina Faso
Adama Diallo ist Milcherzeuger und Verarbeiter sowie politisch auch Vorsitzender der Nationalen Union von Kleinbauern und Kleinmolkereien in Burkina Faso (UMPL-B). Mit neun Millionen Milchrindern stellt der Sektor 17 Prozent des nationalen Bruttoeinkommens. Neugeborene Kinder erhalten eine Milchkuh als Sparbuch für das Erwachsenenalter. Die Milchkühe werden auf extensivem Grünland gehalten und vor allem sind es die Frauen, die von Haus zu Haus Milch verkaufen. Seit den 1990er Jahren wurden zahllose Kleinstmolkereien zur Verwertung der Milch in Entfernungen bis zu 30 Kilometer von einem Absatzmarkt geschaffen. Diese nehmen zwischen zehn und 2.000 Liter am Tag zur Verarbeitung entgegen. Mit der steigenden Bevölkerung steigt auch der Bedarf an Milch und Molkereiprodukten, berichtet Diallo. Das sei nicht nur für die Kleinbauern, sondern auch für internationale Konzerne interessant, die Milchpulver nach Burkina Faso exportieren. Bei nur fünf Prozent Zoll seien die heimischen Milcherzeuger nicht ausreichend geschützt. Während die heimische Milch rund 500 CFA-Franc pro Liter kostet, ist die Milch aus Magermilchpulver und zugesetztem Palmöl schon für 250 CFA-Franc erhältlich. Dieser Dumpingpreis verhindere den Aufbau sozialer Strukturen, eine eigene Wertschöpfungskette und mache das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig. Von der eigenen Regierung fordert Diallo flankierende Maßnahmen für die heimische Milchproduktion und von der EU den Stopp von Magermilchexporten.
Good Governance
EU-Agrarkommissar Phil Hogan beschreibt die GAP der letzten 20 Jahre auch als Teil der Entwicklungspolitik. Es gibt seit 2014 keine Ausfuhrerstattungen mehr; Markthilfen gebe es in der EU nur noch im Krisenfall unterhalb der normalen Marktbedingungen. Hogan verweist auf die vielen Kongresse mit der Afrikanischen Union zu Entwicklungsthemen, Finanzierung und Migration. Burkina Faso hätte die Möglichkeiten, höhere Zölle auf Magermilchpulver zu setzen, habe aber das Partnerschaftsabkommen noch nicht ratifiziert. Die am wenigsten entwickelten Länder könnten zollfrei in die EU exportieren. Doch räumte Hogan ein, dass die EU ihre Entwicklungs- und Agrarpolitik noch nachhaltiger gestalten könne.
Problem gekoppelter Zahlungen
Es sei gar nicht so einfach negative Auswirkungen in den Entwicklungsländern so einzugrenzen, dass sie kausal auf die Gemeinsame Agrarpolitik der EU zurückzuführen sind, sagte Maria Blanco. Die Agrarökonomin aus Madrid hat die letzte Förderperiode der GAP auf solche Auswirkungen hin untersucht. Im Rahmen des weltweiten Agrarhandels habe die GAP geringere Auswirkungen auf Preise und Mengen als ihr unterstellt werde. Dennoch gibt es aus ihrer Sicht zurückliegende Elemente, die verändert werden sollten. Leider setzen die Mitgliedsländer wieder stärker auf gekoppelte Zahlungen, was das Produktionsniveau halte und die Preise für Bauern innerhalb und außerhalb der EU unter Druck setze. Lob gab es nur für Deutschland, das keine gekoppelten Zahlungen mehr hat.
Dennoch sei das Ende der Kopplung kein Freibrief für ein Wachstum. Ohne gekoppelte Zahlungen werden in der EU weniger Eiweißfuttermittel produziert und der Bedarf an importiertem Futter aus Ländern, die dann den Produktionsdruck auf die natürlichen Ressourcen erhöhen, springe in die Lücke ein. Es müsse genau überlegt werden, welche Produkte in welchen Regionen für wie lange mit gekoppelten Zahlungen gefördert würden.
Globale Wertschöpfungsketten verbesserten sich mit nicht-marktverzerrende Agrarpolitiken. Mit den Weltverträgen der Agenda 2030 und den Pariser Klimaverträgen gäbe es ein Dach für eine kohärente Entwicklungspolitik, bei der die GAP einer von mehreren Bausteinen ist. Wichtiger als nur auf die GAP zu schauen sei ein Sektor übergreifender Ansatz.
Die verschiedenen Zielgruppen
Olivier de Schutter macht mehrere Gruppen von Armen und Hungernden aus. Mit rund 300 Millionen Menschen lebt der größte Teil in den Slums der Großstädte und erzeugt so gut wie gar keine Nahrungsmittel. Diese Menschen könnten von den lokalen Regierungen nur mit Importen gesättigt werden. Die nächste größere Gruppe sind die Kleinbauern, deren Produktionspotenzial noch gar nicht ausgeschöpft sei. Kleinbauern wie Diallo produzieren für den lokalen Markt, sind nicht primär arm, haben aber kaum Möglichkeiten, den heimischen Markt zu erschließen. Sie konkurrieren in vielen Ländern mit der kleinsten Gruppe von Landwirten, die in globale Wertschöpfungsketten integriert sind und hauptsächlich „Cash Crops“ für den Export anbauen. 45 Prozent des weltweit angebauten Sojas gehe ausschließlich in den Export. Bei Mais und Zucker seien die Zahlen ähnlich hoch.
Der internationale Handel führe zwar dazu, das in den Ländern das produziert werde, was dort am besten wächst, aber dennoch könne von einem Ausgleich zwischen Ländern mit Nahrungsüberfluss und Nahrungsdefiziten keine Rede sein. Die Agrargüter gehen dorthin, wo die Kaufkraft am stärksten ist. Vor dem Hintergrund des Klimawandels sei eine dezentrale und regionale Ernährungssicherung am besten. Die GAP habe in den letzten Jahrzehnten die europäischen Bauern auch ohne Subventionen weltweit wettbewerbsfähig gemacht. de Schutter plädiert für einen konditionalisierten Handel, wie es der faire Handel mit Sozialstandards und Mindestvergütung sei.
Dort und Hier
Das Kapitel ist noch nicht zu Ende. Beziehungen zwischen der EU-Agrarproduktion und der Landwirtschaft in Entwicklungsländern ist offensichtlich. Vielleicht aber auch anders, als gedacht. Der Berliner Agrarökonom Harald von Witzke führte aus, dass die Agrarproduktion und Ernährungsweise der EU in anderen Ländern rund 30 Millionen Hektar Land für Nahrungs- und Futtermittel beansprucht. Eine Extensivierung durch den Ökolandbau hält er für den falschen Weg. Würde Europa zu 100 Prozent ökologisch bewirtschaftet, stiege der virtuelle Flächenimport auf 70 Millionen Hektar. Es gebe keine großen Flächenreserven mehr auf der Erde. von Witzke plädiert für eine nachhaltige Produktivitätssteigerung auf der vorhandenen Fläche unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Innovationen von Pflanzenschutzmitteln, Gentechnik und Digitalisierung, sowie modernen Saatguts und Dünger in Europa, aber auch in den Entwicklungsländern. Voraussetzung sei ein freier Zugang zu Ressourcen. In den Entwicklungsländern zeige sich, dass die Länder und Regionen die größten Fortschritte machen, die eine gute Regierung, ein marktwirtschaftliches System und ausgebildete Fachkräfte haben.
Roland Krieg