Die große Welt der kleinen Gärten

Landwirtschaft

Die Vielfalt der urbanen Gartenprojekte

Dass Landwirtschaft nicht immer nur auf dem Land stattfinden muss hat Tradition. Dr. Elisabeth Meyer Renschhausen, Soziologin an der FU Berlin, führte auf der Berliner Fachtagung „stadt-pflanzen“ im Jahr 2010 als Beleg die Stadt Rom an. Im 18. Jahrhundert schrumpfte die Stadt und Ziegen zogen vor das Capitol. Noch heute zeugen Obst- und Olivenbäume von gärtnerischen Umtrieben in der „ewigen Stadt“.
Anfang des 19. Jahrhunderts flohen die Bauern in Deutschland vor der Bauernbefreiung, die ihnen den Zugang zum Allmendewesen versperrte, in die Städte und betrieben in den „Slums“ die erste „Urban Agriculture“. Was heute in Afrika einen festen Platz in der Entwicklungspolitik gefunden hat, war bis zum Ersten Weltkrieg Alltag am Kottbuser Tor in Kreuzberg.

Kleingärten in der Nutzungskonkurrenz

Urbane Landwirtschaft gehört heute zur modernen Freiraumplanung in der Stadt. Die Berliner durften am Dienstag in der Urania die Ausstellung und Vorträge der Veranstaltung „Meine Stadt, mein Balkon, meine Gartenschau“ genießen.
Die Hauptstadt hat noch viele Kleingärten, wenn es auch in den 1950er Jahren noch doppelt so viele wie heute waren. Marianne Lach-Diehl vom Landesverband Berlin der Gartenfreunde hatte ein Plakat ausgelegt, das den drohenden Zugriff der „alten“ Stadtplaner auf die neuen Grünflächen demonstriert. Kleingärten sind unverzichtbar für das Mikroklima, für die Biodiversität und sorgen in der Summe für Lebensqualität in der Stadt. Die Kleingärten erleben eine Renaissance.
Mecklenburg-Vorpommern will Kleingärten künftig die Möglichkeit geben, „pflegeleichte Seniorengärten“ auszuweisen. Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus will damit dem demografischen Wandel Rechnung tragen, da die ältere Generation „heute das Rückgrat des Kleingartenwesens“ bildet. Doch diese müssten immer öfters ihren Kleingarten aufgeben, weil sie die geforderten 30 Prozent der nicht versiegelten Fläche „unter den Spaten“ halten können. Die Kleingärten schreiben vor, dass auch die Hälfte davon für den Gemüseanbau genutzt werden muss. Kleingartenanlagen können künftig zehn Prozent ihrer Parzellen als „pflegeleichten Seniorengarten“ ausweisen, wenn der Verein das anerkennt. Die Verordnung für Mecklenburg-Vorpommern soll bereits in der nächsten Woche in Kraft treten.
Die Berliner sind allerdings noch skeptisch. Sie halten mit vielfältigen Fachberatungen die Selbstversorgung aufrecht, geben Tipps und Tricks für den Anbau von Gemüse und die Bekämpfung von Schädlingen. Marianne Lach-Diehl glaubt, dass die Senioren weiterhin ihr Gemüse anbauen wollen. Bei einer entsprechenden Gestaltung kann der Rollstuhlfahrer ein Hochbeet anlegen und bearbeiten.

Die junge Gärtnergeneration

Vor vier Jahren hat Max von Grafenstein in Gatow die ersten Kreise angelegt. Mittlerweile gibt es diese „Kreise“ in Bauerngärten in Mette bei Schönefeld direkt hinter der Stadtgrenze und den Bauerngarten in Pankow. Diese Kreise ziehen junge Menschen und Familien magisch in ihren Bann. Sie sind wie ein Kuchen in 16 Stücke zu jeweils 45 Quadratmeter parzelliert. In der Mitte gibt es einen Kräutergarten, den alle Pächter nutzen können. Am anderen Ende des Tortenstücks ist Freiraum für das Wunschbeet.
Der Bioland zertifizierte Bauerngarten sorgt für Saat, Jungpflanzen und die Bewässerung, so dass die Pächter ab Ende April den Garten mit 25 verschiedenen Gemüsesorten und Blumen übernehmen können. Im Service des Bauerngartens ist auch Werkzeug, Biosaatgut und Dünger enthalten, erklärte Annette Lohmann gegenüber Herd-und-Hof.de.
Der Trend zum eigenen Garten nimmt zu, erklärte die Gärtnerin. Doch wer keine Datsche in Brandenburg oder nur einen kleinen Balkon hat, der kann sich seinen Bauerngarten individuell gestalten und auch bestimmen, wie viel Zeit er darin verbringen will. Die einen übernehmen möglichst viele Leistungen selbst, müssen aber nachweisen, dass verwendetes Saatgut den Bioland-Richtlinien entspricht; die anderen kommen nur kurz zum Pflanzen, Harken und Ernten vorbei.
Denn die neue Generation hat den Garten als Lebensraum entdeckt. Beflügelt durch die vielen Lebensmittelskandale, wollen die Menschen ihr Gemüse wieder wachsen sehen, in der Erde wühlen und auch auf noch so kleinem Raum die Sehnsucht „Land“ fühlen, riechen und schmecken. Pächter können sich das ganze Jahr über aus „Ihrem Garten“ versorgen und brauchen kein Gemüse mehr zukaufen.
Im Bauerngarten finden Workshops statt. Und die Pächter kommen zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten zusammen. Tipps gibt es für die Verarbeitung des eigenen Gemüses. So friert Annette Lohmann den eigenen Porree ein und hat dann auch im Winter frische Vitamine im Haus. Die Menschen erleben die ganze Produktionskette neu.

Im Netz der urbanen Landwirtschaft

Die Vielfalt an städtischer Landwirtschaft ist gewaltig. Die einen nutzen den Garten für die Erholung, die anderen als interkulturellen Treffpunkt, wiederum andere versorgen sich überwiegend selbst. Die einen wirtschaften in einer Kleingartenkolonie, die anderen unterbauen das Projekt mit neuen Lebensstilen und nutzen den still gelegten Flughafen in Berlin Tempelhof als „Allmende-Garten“. Mehr als 900 Gartenbesitzer sind auf dem ehemaligen Rollfeld bereits aktiv. Die Gärtner erobern die Stadt.
Dr. Claudia Henneberg vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) hat eine Internetdatenbank erstellt. Deutschlandweit gibt es bereits 285 erfasste Projekte der verschiedensten Art. Vier davon sind sogar Forschungsprojekte. Die einzelnen Projekte können sich sehr umfangreich im Netz darstellen, ihre Schwerpunkte aufführen und als Experten für andere dienen. So finden Experimentierfreudige Hilfe beim Bau eines Hochbeetes und wer danach noch Material übrig hat, kann das über eine Börse anderen zur Verfügung stellen.
Das ZALF bietet mit dem Internetauftritt und der Software den Kleingärtner ein Forum zur Vernetzung. Dabei ist gesichert, dass nach Ende des Projektes, das erst im Oktober 2012 online gegangen ist, das Gartennetz weiterhin zur Verfügung steht.
Die Daten dienen dem Projekt „Innovationsanalyse Urbane Landwirtschaft“ des Bundesforschungsministeriums als Grundlage. An der FU hat sich unter Leitung der eingangs erwähnten Dr. Meyer-Renschhausen die Arbeitsgemeinschaft „Kleinstlandwirtschaft“ gegründet.

Garten gesucht

Pünktlich zur Ausstellung ging das Portal www.will-pflanzen.de online. Bundesweit können hier Flächen kostenfrei angeboten und gesucht werden. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Garten, eine Parkfläche oder einen Hinterhof handelt. Interessierte können Flächen für jahrelanges Ernten oder auch zum Ausprobieren finden. Wie Pflanzenwurzeln Halt im kleinsten Beet finden, lässt sich auch ein Beet in der kleinsten Ecke finden.

Lesestoff:

Die Berliner Gartenfreunde finden Sie unter www.gartenfreunde-berlin.de

In Mette sind noch einige Parzellen für die kommende Gartensaison frei: www.bauerngarten.net

Das Netz der Gartenprojekte finden Sie unter www.stadtacker.net

Vertical Gardening, Dachgärten und Indoor-Gärten werden ebenfalls vom ZALF untersucht. Das Projekt „ZFarm“ beleuchtet die Rolle gebäudebezogene städtischen Landwirtschaft: http://www.zalf.de/htmlsites/zfarm/Seiten/projekt1_4.html

Am großen Rad drehen die Stadtgärtner von Efficient City Farming (ECF). Sie wollen Fisch und Tomaten in Gewächshäusern auf Parkplätzen produzieren

Roland Krieg (Text und Fotos)

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