Die historische Dimension des Klimaschutzurteils

Landwirtschaft

Klimaschutz ist ein Grundrecht

Selbst Bündnis 90/Die Grünen haben fast drei Wochen gewartet, bis sie eine erste Diskussionsrunde über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz starteten. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes war ein historisches Urteil.“ (Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter). „Wir haben eine epochale Entscheidung erlebt.“ (Fraktionsvize Oliver Krischer). Am Freitagnachmittag war es dann soweit und Klimakampaignerin Lisa Göldner von Greenpeace ordnete das Urteil ein: „Das Urteil fiel nicht vom Himmel und war kein Glücksfall.“ Die Richter haben ihre Begründung auf die zahlreichen internationalen Klimaklagen gebaut, die Umwelt- und Klimaschutzverbände jahrelang angestrengt hatten. Bislang erfolglos. Das Gericht hat am Ende vier Verfassungsbeschwerden Recht gegeben, was Göldner als „Erfolg der Bewegung“ bezeichnete. „Der Schwung müsse jetzt für einen Politikwechsel genutzt werden. Das Urteil ist eine klare Aufgabe für jede Partei, die einen Regierungsauftrag bekommen will.“ Das Urteil findet weltweite Beachtung und wird in Juristenkreisen intensiv diskutiert.

Schutzrechte

Außer der eiligen Reaktion der aktuellen Koalition ist die Tragweite des Urteils für die meisten noch nicht erkennbar. „Klimarecht ist ein Grundrecht.“ Ein knapper Satz von Nachhaltigkeitsforscher Felix Eckert, der in Sachsen dem BUND vorsitzt. Das Verfassungsgericht geht von einer doppelten Freiheitsgefährdung aus. Einmal durch den Staat, der keinen Klimaschutz gewährleistet und zum anderen für die schon geborene Generation, die tatsächlich einen Schaden erleiden wird. Um den zu vermeiden, müssten immer radikalere Maßnahmen umgesetzt werden. Und das Gericht sagte, Deutschland muss nicht nur seinen eigenen Anteil des Klimaschutzes leisten, sondern auch international für den Klimaschutz tätig werden. Die Grundrechte sind zeit- und ortsübergreifend für alle geltend, wenn auch die Maßnahmen in Deutschland einem Menschen in Bangladesch nicht helfen.

Wie das Urteil funktioniert

Der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, Thorsten Müller, hat die Funktionsweise des Urteils einfach dargestellt. Es basiert auf den Fundamenten von Ehrlichkeit und Fairness. Die Lasten müssen über die Zeit fair verteilt werden und beginnen jetzt. Solange Deutschland Treibhausgase emittiert, solange steigen die Temperaturen. Einen Stillstand gibt es nur beim Erreichen der Klimaneutralität, die jetzt Verfassungsrang hat. Dazu dient der Artikel 20a des Grundgesetzes. Das Gericht vergibt die folgende Aufgabe an die Politik: Wann ist die Klimaneutralität erreicht? Die Politik muss jetzt entscheiden, was der Einzelbeitrag Deutschlands ist und damit seinen Anteil an den Pariser Klimaverträgen umsetzen. Die Umsetzung muss mit konkreten Maßnahmen in Einzelschritten aufgeschrieben werden, was keine naturwissenschaftliche, sondern eben eine politische Aufgabe ist.

Das Verfassungsgericht hatte nach Müller einen glücklichen Zeitpunkt nutzen können. In Deutschland gab es diese Regelungslücke und für die EU werden die konkreten Maßnahmen erst noch definiert. Das Urteil fällt also kein rückwirkend korrigierendes, sondern ein vorausschauendes Urteil. „Jetzt muss die Politik den Ball nur noch ins Tor schießen“, so Müller. Dabei ist es sogar unwichtig, wie das Emissionsbudget definiert ist. Die Reduktionsziele des Weltklimarates IPCC hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) übernommen. Aber für das Urteil sei es unerheblich, ob das Ziel bei einer maximalen Erderwärmung von 1,5 oder zwei Grad liege. Für Müller ist das Urteil ein gutes Beispiel für die Gewaltenteilung.

Vor die Steckdose kommen

Kai Niebert ist Präsident des Deutschen Naturschutzringes und muss jetzt seine Rolle vom „Forderer zum Moderator“ hin ändern. Nachdem die Klimadebatten in den vergangenen Jahren oft „zäh“ verliefen, scheine es jetzt sehr schnell zu gehen. „Wir haben einen neuen Drive in der Debatte.“ Nach Niebert sei die Gesellschaft nach Aufmerksamkeit, politischer Verbindlichkeit mit Paris jetzt in der dritten Phase der Umsetzung angekommen. Klimaschutz und Energiewende hätten bislang „hinter der Steckdose“ stattgefunden. Jetzt müssen sich die Verbraucher mit konkreten Maßnahmen selbst beschäftigen, wie sie künftig reisen und konsumieren. „Es merken alle, wir müssen die Dinge anders machen.“

Spätestens jetzt steht das Hauptthema der kommenden Bundestagswahl fest.

Roland Krieg

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