Die Hühner sind in der Stadt

Landwirtschaft

Bio-Hoffest auf dem Potsdamer Platz

Kommt der Stadtbewohner nicht zum Bauer, schickt der seine Hühner in die Stadt. Zum Weltkindertag präsentierte sich der Potsdamer Platz in Berlin am Sonntag als Biobauernhof zum 25. Weltkindertag. Rund 30 regionale Akteure aus Berlin und Brandenburg boten Spiel, Spass und Bio-Snack, damit die Berliner einen tiefen Einblick in die Bio-Landwirtschaft bekommen. Alle Betriebsleiter haben ihre Stände selbst besetzt und beantworteten den ganzen Tag die Fragen der Berliner Konsumenten.

Die Landwirtschaft kennen lernen

Die Berliner haben ja von der Grünen Woche über die Brandenburger Landwirtschaftsausstellung der Brandenburger Landpartie und dem Dorf- und Erntefest ausreichend Gelegenheit „ihre Konsumenten“ kennen zu lernen, sagte Kathrin Schneider, Staatssekretärin aus dem Brandenburger Landwirtschaftsministerium. Die Schule ist der Ort, wo das Hänschen nicht nur auf den Geschmack von Bioprodukten kommen soll, sondern auch tiefe Einblicke gewinnen kann, wie die Tiere aufwachsen oder wie viel Wasser eine Pflanze zum Wachsen braucht, ergänzt BIOSpitzenkoch Tino Schmidt, der zur Eröffnung gleich zu einem Helfer in der Apfelsaftgewinnung „degradiert“ wurde. Zum Weltkindertag passend holte er sich einen Jungen auf die Bühne, der tatkräftig die Fruchtpresse bedienen konnte. Der Tipp vom Koch: Mit Zugabe von Roter Beete wird der Apfelsaft pinkfarben! Das Auge isst halt mit.

Berlin hat sein Schulessen umgestellt. Bislang wurde der günstigste Anbieter für die Versorgung der Ganztagsschulen gewählt. Jetzt gibt es einen Festpreis und die Schulen wählen nach Qualität, erläuterte Staatssekretärin Sabine Toepfer-Kataw von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. „Bio“ und „Regional“ sollen damit in den Vordergrund gestellt werden. Die in diesem Schuljahr eingeführten Auswahlkriterien werden gleichzeitig auf ihre Praktikabilität hin überprüft.


Das eingespielte Staatssekretärinnen-Bio-Doppel aus Berlin (Sabine Toepfer-Kataw, li.) und Brandenburg (Kathrin Schneider)

„Halbvegan“

Den besten Weg, die Welt zu ändern, ist der Konsum, unterstreicht Bio-Hoffest-Patin und Schauspielerin Inez Björg-David. Ihre beiden Kinder werden nicht zu Bio gezwungen, schauen aber das Essverhalten von der Mama ab. So ließ sich die Kleinste schon früh nicht irgendeinen, sondern nur einen Bioapfel in den Kinderwagen reichen. Die Dänin setzt ihre eigenen Essensvorstellungen auch am Set durch. Sobald sie zur Sojamilch greift, wollen alle mal probieren. Doch sie ist nur „Halbvegan“. Wenn sie eigene Hühner hätte, würde sie auch Eier essen.

Die „alternativen“ Konsumenten tun sich schwer mit den Bezeichnungen. Manche bezeichnen sich als Vegetarier, und essen „nur zu besonderen Gelegenheiten Fleisch“. Dann mogeln sie sich mit dem neuen Begriff „Flexitarier“ durch. Weniger ideologisch besetzt bleibt die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), den Fleischkonsum einfach zu halbieren. Dann schließt ein „gesunder Lebensstil mit wenig Fleisch“ auch den Nährstoffkreislauf auf den Bauernhöfen – mit Nutztieren. Schließlich ist Rinderhack ein Koppelprodukt der Biomilch.

Die neuen Begriffe Vegetarier und Veganer sind auch nicht einfach zu erschließen. Nicht jeder Essig kommt für den Veganer in Frage, ergänzte Tino Schmidt. Die meisten sind mit tierischer Gelatine geklärt worden [1].

Inez Björg-David zeigt aber mit einem Laden im Prenzlauer Berg ganzes Engagement. Dort verkauft sie Öko-Mode, die wie ganz normale Kleidung erscheint und das Image der frühen Öko-Textilien überwindet.

Pommes statt Tofu-Steak

Das Bühnenkind benannte trotz anwesender Öko-Prominenz weiße Spaghetti als seine Lieblingsspeise. Auch Pommes mit Hühnchen und Ketchup könnte öfter auf dem schulischen Speiseplan stehen. Tino Schmidt sieht in den Antworten das Ergebnis der Lebensmittelindustrie, die mit ihren Produkten den Geschmack in der Kindheit vorpräge. Zudem strahle das Essen mit Fingern seine eigene Attraktivität aus.

Alternativen gibt es aber. So mögen Kinder auch gerne Ofenkartoffeln mit Dipp. Auch die Gelbe Beete bringt Abwechslung auf den Speiseplan und manche Eltern knabbern Möhrenstreifen und tunken sie vorher in Limonen-Olivenöl. Nur: Die Schule kann nicht alles ausgleichen, was zu Hause im Argen liegt. Solche Alternativen hängen von dem Engagement und dem Ideenreichtum der Eltern ab, erklärte der Koch.

Es sei aber bereits viel erreicht. Die Zeit der „lilafarbenen Kuh“ scheint vorbei zu sein: Das Bühnenkind wusste, dass der Apfel jetzt Saison hat und die meisten Vitamine unter der Schale trägt.

Vom Kartoffeldruck bis zur Bodenpolitik

Der Rundgang über das Bio-Hoffest ließ keine Fragen offen. Christian Heymann von SpeiseGut platzierte ein Mitmachangebot für den Kartoffeldruck. Der Naturland-Betrieb ist jetzt auch „fair“ zertifiziert. Heymann kauft seinen Raps lieber in Brandenburg als in China und zahlt seinen Mitarbeitern zehn Euro Lohn in der Stunde. Es mache sich auch in der Qualität der Produkte bemerkbar, wenn die Mitarbeiter sie sorgsam behandeln. Die neue Zertifizierung erhöht zwar den Dokumentationsaufwand, aber die Kontrolle wird mit der Naturland- und Öko-Kontrolle nach europäischem Standard gleich mit erledigt.


Auch wenn die Sonne nicht breit auf das Hoffest herunter geschienen hat, durften die Kinder ausgiebig baden gehen. Jeweils eine Tonne Weizen, Roggen und Lupine luden in einem Holzkasten zum „Bad“ ein und offenbarten den Kindern neue aromatische und taktile Erlebniswelten.



Bernd Schulz ist mit seiner Backschwein-Tenne eine Berühmtheit geworden und präsentierte den Kindern einen kleinen Teil seiner Ferkel. Für ihn ist die Direktvermarktung das „A und O“. Die Ferkel zeigen den Kindern wie neugierig und verspielt sie eigentlich sind. Schulz hat die gesamte Produktion wieder auf seinen Bauernhof zurückgeholt und schöpft die Werte von der eigenen Aufzucht bis zur Mast selbst aus. Das spricht sich herum. Er berät gerade einen Bauern in Kaliningrad beim Aufbau einer Ökoschweinehaltung in der russischen Exklave.

Einen Teil seiner Herde hat auch Johannes Erz mitgebracht. Die Sussex-Hühner fühlten sich pudelwohl im großen Gehege und genossen ihre Präsentation. Zu Hause leben sie in einem umgebauten Bauwagen und werden ähnlich dem auf der Grünen Woche vorgestellten Hühnermobil, wöchentlich auf den nächsten Abschnitt des Grünlandes vorgeschoben [2]. Auch Erz hat sich die gesamte Wertschöpfung zurück auf seinen Hof geholt. Derzeit kauft er noch Tagesküken, wird aber demnächst auch die Elterntiere auf dem Hof halten. Der Hühnermist dient der Produktion von Wintersalaten, die Ende Oktober in einem Folientunnel frisch geerntet werden. Johannes Erz experimentiert auch mit der Mast männlicher Küken. Nach fünf Monaten werden sie verkauft. Die Klientel gibt es, Fleischqualität und Preisbildung befinden sich in der Prüfphase. 20 Euro für ein Kilogramm Schlachtgewicht müssen es schon sein, so Erz. Damit hole er gerade die Mastkosten für die Hähnchen heraus.

Brandenburg – Berlin

Johannes Erz könnte noch viel mehr produzieren. Die Nachfrage ist da. Er würde auch Schweine halten – wenn er das Land dazu bekommen könnte. Er reiht sich damit in die Verarbeitung und Frischeproduktion ein, die Brandenburg für die Bedienung des Berliner Marktes fehlt. Das bemängelt auch Kathrin Schneider. Warum sollte der Spinat für die Metropole aus Niedersachsen kommen und nicht aus dem Oderbruch oder dem Havelland? Es fehlt an Boden, der ureigenen landwirtschaftlichen Produktionsquelle. Der Boden ist zwar da, aber es kann ihn sich niemand mehr leisten, beklagte Erz. Er steht mit dieser Meinung bei weitem nicht alleine da, wie die jüngsten Proteste aus Brandenburg und Sachsen gegen die Vergabepolitik der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft mbH aufzeigt. Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wollen in einer neuen Initiative versuchen, die noch bei der BVVG befindlichen Flächen in Landeseigentum zu bekommen. Dann werden sie bevorzugt an die Landwirtschaft abgegeben. Das wünschte sich Dr. Till Backhaus auf der zurückliegenden Mecklenburgischen Landwirtschaftsausstellung in Mühlengeez. Dass er dabei aber mit dem Finanzministerium kämpfen muss, und nicht beim entsprechenden Fachministerium offene Türen einrennt, weiß auch Kathrin Schneider. Sie hält solche Versuche für populistisch, weil sie nicht realistisch sind. Deshalb enthält sich Brandenburg dieser Aktion.

Vor zehn bis 15 Jahren war die Situation von heute, nicht absehbar, erläuterte Schneider. Zuletzt kritisierte Sachsens Landwirtschaftsminister Frank Kupfer die BVVG-Vergabepolitik [3]. Die hohen Bodenpreise verhindern Existenzgründungen, so Johannes Erz und damit die Erschießung des Berliner Marktes. Neben der Zahlung von Existenzprämien sollte auch einen Flächenpool für Junglandwirte eingerichtet werden. Ärgerlich sind dabei Aussagen aus dem Landwirtschaftsministerium, das mit 44.000 Hektar in Brandenburg kaum noch etwas „zu reissen sei“. Würde stattdessen gesagt, wie viele Produkte für Berlin auf 44.000 Hektar angebaut werden könnte, würde die Kritik an der BVVG-Politik deutlicher werden. Zuletzt hatte die KTG Agrar ihre anlagenbezogene Bodenpolitik als „stille Reserve“ beschrieben [4].

Lesestoff:

Neben dem Bio-Einkaufsführer für Berlin und Brandenburg hat die Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) auch ein Heft für Bio-Termine in Stadt und Land aufgelegt. Beides ist auch im Internet unter www.bio-berlin-brandenburg.de einzusehen.

In Berlin finden seit heute die „Werte Wochen für Lebensmittel“ statt. Unter dem Motto „So bunt schmeckt die Region“ finden Sie dort Rezepte, Termine und Wissenswertes. Die „Werte Wochen“ laufen noch bis zum 05. Oktober www.wertewochen-lebensmittel.de

[1] Die Geschichte des Vegetarismus

[2] Das Hühnermobil für die Freilandhaltung

[3] Kupfers BVVG-Kritik

[4] Anleihen für den Bodenerwerb

Roland Krieg; Fotos: roRo

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