Die Kirche im Dorf lassen

Landwirtschaft

Kirche und Tourismus in MV

"Ein Dorf ohne Bauern ist ein Randsiedlungsgebiet!" So formulierte es ein thüringischer Bauer auf dem Kongress über die Entwicklung des ländlichen Raums. Was ist ein Dorf ohne Kirche? Diese Antwort ist zwar noch offen, doch mit Bauern und Kirche sind bereits zwei Charaktereigenschaften gewachsener ländlicher Strukturen benannt. Die Dörfer sind in Gefahr, weil sie verwaisen: Keine Arbeit, schlechtes Image, keine Ärzte, Kindergärten oder Busse.
Claus Wergin aus dem Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommerns nannte gestern im Überbetrieblichen Ausbildungszentrum (ÜAZ) in Waren an der Müritz konkrete Zahlen der "bedrückenden Arbeitslosigkeit": 29 Prozent der Jugendlichen unter 25 sind arbeitslos und haben vielfach ein Hochschulstudium oder einen Gesellenbrief in der Tasche. Die, die eigentlich bleiben sollten, weil sie Arbeit haben, ziehen wegen der besseren Karrierechancen nach Hamburg oder Berlin.
Landtourismus als Entwicklungsmöglichkeit für den ländlichen Raum wird in MV seit Jahren groß geschrieben. Mühlen, Gutshöfe, Schlösser und Parkanlagen sind Juwelen im Landesinneren - abseits der "temporären Ballungszentren" Rügen und Usedom. Noch zu entdecken sind die Kirchen. Darum ging es gestern im ÜAZ: Der Verein Landurlaub MV organisierte in Kooperation mit den evangelischen Kirchen, des Tourismusverband Mecklenburgische Schweiz und der IHK Stralsund das Forum Kirche und Tourismus.

Offene Kirchen
Seit rund fünf Jahren gibt es im Verbund mit Dänemark und Schweden das Projekt der "offenen Kirchen" auf dem Land. In Vorpommern wurden daraus die "Offenen pommerschen Dorfkirchen", an denen sich 166 Kirchen beteiligen und zu 26 Entdeckungsrouten verbunden wurden. Vor den Kirchen informieren Plexiglastafeln in den vier Sprachen, deutsch, englisch, schwedisch und polnisch über das Gebäude und wo es den Schlüssel für das Tor gibt, falls die Kirche einmal verschlossen sein sollte. 2003 wurden Kurse angeboten, damit Interessierte sich in 74 Stunden für 180 Euro zu Kirchenführern bei der IHK ausbilden lassen können. Seit 2003 haben sich gut 200 Reiseführer und viele, die mit dieser Tätigkeit eine Selbstständigkeit begründen wollen, die Kurse besucht. Dorfkirchenführer und Interessierten konnten sich auf dem Forum Rat über rechtliche Vorrausetzungen und Marketingtipps holen.

Faszination Kirche
Bereits Theodor Heuss wusste, so Claus Wergin, zu berichten, ?wie die roten Ziegel in der Abendsonne sich von ihrer Masse befreien?. Die Backsteingotik bietet neben dem bekannten Güstrower Dom oder dem Münster in Bad Doberan, noch viele andere Schätze zu heben: Die Kirche von Ludorf (bei Röbel) an der Müritz wurde bereits 1346 eingeweiht und besitzt als einzige in Norddeutschland den gleichen Grundriss wie die Kirche vom heiligen Grabe in Jerusalem. Kirchen haben nicht nur für Eingeweihte etwas zu entdecken: Wer das nördliche bunte Rosenfenster des Pariser Notre-Dame bestaunt oder durch die Höhe des Kölner Doms beeindruckt ist, der findet einen ganz besondern Reiz, wenn der Kirchenführer auf dem Dorf beschreibt, dass die Figur mit dem Schlüssel in der Hand und der charakteristischen Stirnlocke Petrus ist - überall. Kunsthistoriker Prof. Dr. Ernst Badstübner aus Berlin zeichnete auf dem Form mit seinem Vortrag durch Bilder über die christliche Ikonographie einen Bogen, der deutlich machte, dass es einen Unterschied gibt, etwas durch Betrachten schön zu finden oder das Dargestellte durch Erkennen auch zu verstehen.

Heuhotel und Kirche
Im Pressegespräch zum Forum wurde auch der Projektdschungel beklagt. Landurlaub mit Heuhotel, oder mit Naturschutz oder mit regionalen Spezialitätenfesten; und jetzt kommt auch noch die Kirche dazu. Das Dorf ist integraler Bestandteil des Landes und die Kirche ist integraler Bestandteil des Dorfes und seiner Geschichte. In Basedow oder der vorpommerschen Dorfstraße gibt es bereits Projekte, das Dorf als Ganzes dem Tourismus näher zu bringen. Das Ziel ist erreicht, wenn das Dorf mit seinem Umland nicht als Museumsidylle, sondern lebendiger Raum vermittelt werden kann, in dem Rohstoffe für Ernährung und erneuerbare Energie gewonnen werden, Handwerk Berechtigung hat, für das es in der Stadt keinen Platz gibt und Wissen vermittelt, was in der Stadt nicht erfahrbar ist: Heuhotel, eigenes Brot backen und eine Biogasanlage besichtigen. Jetzt gehören in MV die Kirchen auch dazu.
Lust? Dann informieren Sie sich unter www.landurlaub.mv.de

Roland Krieg

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