Die Krisentrends in der Landwirtschaft

Landwirtschaft

Ernährungssicherheit nicht nur Aufgabe der Landwirte

Als die Europäische Kommission vor drei Jahren ihre Aufgabe begann, gingen die Kommissare vom Klimawandel als größte Herausforderung aus. Dann aber ging es Schlag auf Schlag und neue Krisen kamen hinzu, sagte Agrar-Kommissar Janusz Wojciechowski am Mittwoch bei einer Diskussion um die Ernährungssicherheit im Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR). Zunächst habe die Pandemie Volkswirtschaft und die Landwirtschaft belastet, jetzt belaste die russische Invasion der Ukraine die globalen Märkte und Lieferketten. Nach Wojciechowski dürfen die Europäer den Landwirten und den Herstellern dankbar sein, dass es bislang zu keinen wirklichen Lebensmittelengpässen gekommen ist. „Es droht uns kurzfristig keine Ernährungskrise“, unterstrich der polnische Kommissar. Noch 2020 hat die EU Nahrungsmittel im Wert von 184 Milliarden Euro exportiert und für 122 Milliarden Euro importiert. Als größte Handelsregion für Nahrung spielt die EU eine wichtige Rolle bei den weltweiten Warenstömen.

Die EU hat auch mit Solidaritätskorridoren über Polen, Rumänien und den baltischen Häfen Engpässe beim ukrainischen Agrarexport überbrückt und vor dem Getreideabkommen zur Ausfuhr über das Schwarze Meer Zeichen gesetzt. Für die europäische Landwirtschaft sieht es langfristig aber nicht so rosig aus, wie der Kommissar erstmals aus einer neuen Analyse berichtete.

Trends in der Landwirtschaft

Zwischen 2010 und 2020 haben alleine in den vergangenen drei Jahren drei Millionen landwirtschaftliche Betriebe in Europa aufgegeben. Aktuell gibt es nur noch neun Millionen Betriebe in 27 Mitgliedsländern. Der rückläufige Trend ist in allen Ländern zu verzeichnen. So viele Neulandwirte, egal ob konventionell oder ökologisch zertifiziert, rücken gar nicht nach. Die Lücke wird immer größer, denn aktuell liegt das Durchschnittsalter der Landwirte bei 57 Jahren. Bei einem Drittel der neun Millionen Betriebsleiter liegt es sogar bei über 65 Jahren.

Es bleibt auch die Frage, wie viel Land stellen die Länder den Landwirten zur Verfügung. Zwischen 2010 und 2020 wurde es ein Prozent weniger, was umgerechnet eineinhalb Millionen Hektar Flächenverlust für Nahrungsmittel, Futtermittel und Energie sind. Das sollte den Ländern und der EU zum Nachdenken anregen, unterstrich Wojciechowski.

Besonders leidet derzeit die Tierhaltung, die für die nachhaltige Ausrichtung der Landwirtschaft wertvoll ist. Vor allem geben die kleineren Betriebe zu Gunsten von intensiver wirtschaftenden Betrieben auf.

Für die Antwort auf diese Trends gibt es nur die Gemeinsame Agrarpolitik, die mit ihrer ersten Säule der Direktzahlungen und der zweiten Säule für den ländlichen Raum mit stärkeren Instrumenten ausgestattet werden müsse. Am Ende komme das dem gesamten ländlichen Raum mit eigenen Wertschöpfungsketten und sozialer Aktivität zugute – was Aufgabe des AdR und seinen Programmen ist.

Gesamtaufgabe Landwirtschaft

„Die globale Ernährungssicherheit ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte Marlene Mortler (CSU) vom Agrarausschuss des Europaparlamentes. Sie fordert ein aktiveres Handeln, das nicht erst durch Krisen Europa vorzeitig gegen Gefahren wappnet. Die steigenden Preise für Lebensmittel und Energie haben Menschen in Europa ärmer gemacht. Auch in Europa. Weltweit beträgt die Zahl der unterernährten Menschen, die sich keine gesunde Nahrung leisten kann bei drei Milliarden. Heute müssen mehr Menschen auf deutlich weniger Fläche ernährt werden, was innerhalb der Landwirtschaft als Lösung für das Weltthema Ernährung umgesetzt werden muss.

Pauschale Reduktionsvorgaben, wie die von Pflanzenschutzmittel und weitere Auflagen sind kontraproduktiv. Mortler verweist auf Sri Lanka, das nach einem Verbot von Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger erst die Landwirte, dann die Wirtschaft und am Ende das Land selbst in den Ruin getrieben habe.

Die bayerische Europaabgeordnete fordert eine EU-weite Eiweißstrategie für eine unabhängige Futterversorgung und eine Düngemittelstrategie zur Sicherung der Erträge. Damit Lösungen langfristig greifen sind neue Technologien notwendig. Mit Agroforstsystemen, Präzisionslandwirtschaft, neuen Züchtungsmethoden und Regeln gegen Lebensmittelverschwendung ist ein breiter Werkzeugkasten vorhanden.

Die Kosten der Teuerungen

Isilda Maria Prazeres Gomes, portugiesische Sozialdemokratin, ist Vorsitzende der NAT-Kommission. Darin sind mehr als 100 Bürgermeister, Stadträte und Regionalpräsidenten für den ländlichen Raum und seinen Aufgaben für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Gesundheit und Tourismus vertreten. Die Teuerungen fallen innerhalb der EU sehr unterschiedlich aus. Brot und Getreide sind im August 2022 in Ungarn 76 Prozent teurer als im Vorjahresmonat geworden. EU-weit liegt der Durchschnitt bei 16 Prozent. Hohe Teuerungsraten mit 36 Prozent gibt es auch in der Slowakei und dem Baltikum. Gerade die weniger wohlhabenden Haushalte sind von den Preissteigerungen gebeutelt und müssen mehr Geld für Lebensmittel ausgeben. Die Auswirkungen auf den ländlichen Raum sind nicht absehbar und die EU müssten bei den Betriebsmitteln für die Landwirte und den Preisen für Verbraucher marktregulierend eingreifen. Auf dem Land fehle die lokale Produktion immer häufiger und Landwirte müssen sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Gomes verweist auf die Strategie „Farm-to-Fork“, die den Wandel für die Landwirtschaft ermöglichen könne.

Regionale Zukunft

Im Ausschuss der Regionen arbeitet der polnische EVP-Abgeordnete Piotr Calbecki an einem Bericht über die Sicherung der Ernährung in Europa. Er fordert die Abgeordneten auf, langfristiger zu denken und die Regionen mit Wirtschaftsmöglichkeiten zu beleben. Nachhaltige, hochmoderne Erzeugung und Herstellung mit kurzen Wegen zu den Verbrauchern müssen in ein langfristiges Konzept einfließen. Die regionale Lebensmittelerzeugung sichert die Europäische Ernährungssouveränität, erläuterte Calbecki den noch nicht veröffentlichten Bericht. Die Landwirte haben vor allem in diesem Jahr die Auswirkungen des Klimawandels direkt auf ihren Feldern bemerken können. Mit Stärkung der regionalen Autonomie können resiliente Ernährungssysteme entstehen.

Roland Krieg

© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html

Zurück