„Die Milch macht´s“ – nicht mehr
Landwirtschaft
Die Milch hat viele Baustellen
Der Berliner Food-Aktivist Hendrik Haase bringt es auf den Punkt: „Die Milch macht´s“ - Ein guter Spruch aus den Zeiten der Marketinggesellschaft CMA, der heute aber nur noch die erreicht, die mit der CMA aufgewachsen sind [1]. Was die CMA bei den Verbrauchern so beliebt machte, waren die Emotionen im Produkt. Die heute vorangestellte Fachlichkeit in der Agrarwerbung geht an den städtischen Millennials komplett vorbei. „Wer trinkt noch Milch in der Großstadt“, fragte Haase auf dem Milchforum an diesem Montag. Die coolen neuen Marken, über die Jugendliche sprechen, bestehen aus Erbsenprotein. Ein Start-up hat jüngst 7,5 Millionen Euro Ausbaukapital eingesammelt. Davon träumen die Milchbauern und die Molkereien. Nach Haase ist das keine Splittergruppe, auch wenn das vom Land aus so erscheint. Milchersatzprodukte haben in einigen Geschäften schon mehr Regalplatz besetzt als tierische Milch.
Jung und Alt
Die Initiative Milch 2.0 GmbH kommt da nicht mit. Die CMA hatte ein zehnmal größeres Budget und internationale Haferdrinkerzeuger werben aggressiver, jugendlicher und international. Geschäftsführerin Kerstin Wrieth brennt mit der Initiative [2] „für dieses weiße Wunder“ und setzt auf Nahrhaftigkeit und Einzigartigkeit. Doch eine reine Werbeagentur wollen die Milchmenschen nicht sein. Sie wollen die Branche insgesamt darstellen.
„Wir waren viel zu lange viel zu leise“, sagte die Milchbäuerin Heike Röthenbacher aus Weißenburg-Gunzenhausen in Mittelfranken. Die Milchbauern haben auf den Betrieben von der Anbindehaltung bis zum Automatischen Melkroboter sehr viel getan, aber die Städter haben das nicht mitbekommen. Die Branchenkommunikation könne nur der Anfang sein. „In meiner Altersgruppe sehe ich die 80 Prozent Milchtrinker nicht mehr“, sagte die Jungbäuerin. Nach Haase wollen die Verbraucher bei der Werbung „auf eine Reise mitgenommen werden“. Aber: Die junge Generation reist eben anders als die alte.
Ob auf der Absatzseite eine Brücke gebaut werden kann, ist fraglich. Die promovierte Oecotrophologin Jasmin Peschke leitet den Fachbereich Ernährung am Goetheanum in der Schweiz. Dort sitzt die Freie Hochschule der Biodynamiker. Der Demeter-Landbau entwickelt Pflanzen, die einen höheren Phenolgehalt haben. „Diese vitalen Merkmale wirken sich positiv auf die Gesundheit aus“, heißt es in einer Meldung vom Montag. Wie viel Milch ein Konsument allerdings täglich trinken muss, um die positiven Merkmale auch über sein Mikrobiom im Darm auf den Körper zu übertragen ist vor allem bei den Menschen offen, die mit Sport und pflanzlicher Kost sowieso schon gesündere Vorbedingungenhaben.
So aber schlägt Geschichte Wellen und ist die moderne Übersetzung des Spruches „Die Milch macht`s“.
Milch bleibt ein Rohstoff
Die Qualitätsstandards für Milch sind hoch. Sie ist im pasteurisierten Zustand frei von Keimen, die Zahl der Zellen ist begrenzt und die Protein- und Fettgehalte ähneln sich, wenn die Milch aus dem Euter fließt. Die Separierung in Bio-Milch, H-Milch, Mager- und Vollmilch, gar als Weide-, Heu- und Bergmilch spiegelt die verschiedenen Märkte wieder. In allen aber bleibt die Milch nichts anderes als ein Rohstoff, für den drei bis vier Liter für Frischkäse und 15 Liter für Hartkäse gebraucht werden. Die Fettabscheidung wird zu Butter. Alle diese weißen und gelben Linien, von denen das Marketing spricht, schaffen Werte. Im 1900 Jahrhundert gab eine Kuh 2.000 Kilogramm Milch, abzüglich der für das Kalb. Rohmilch hatte einen höheren Wert (in schlechterer Qualität) als heute, wo durchschnittlich 8.000 Kilo Milch pro Kuh und Jahr die Basis für hochpreisigen Blauschimmelkäse und andere Produkte geben. Nur, wenn die Landwirte mit einer eigenen Käserei oder in der Direktvermarktung Milch verkaufen, erzielen sie aus dem Rohstoff einen Mehrwert. Das wird sich auch künftig nicht ändern.
Die deutsche Milchbranche hat seit 2011 mit der QM-Milch die Standardmilch aufgewertet und erfasst heute rund 90 Prozent der Milchbauern. Dieses allgemeine Hochsetzen von Standards geht weiter. QM-Projektleiter Klaus Rufli beschreibt die Fortschritte, die im vergangenen Jahr mit QM+ aufgestellt wurden. Jetzt werden auch Tiergesundheits- und Tierwohlkriterien in die Audits einbezogen. Die Molkereien haben sich intensiv vorbereitet, die Berater für die Landwirte sind schon unterwegs. Rund 50.000 Milchbauern, die bereits QM-Milch liefern sollen ab April 2022 Milch im Standard QM+ liefern. Zunächst für 36 Monate. Wichtig ist, dass die Milchviehhalter ihre Schlachtrinder ohne weiteres Audit auch über QM Rind vermarkten können. Es gibt je Tonne Rohmilch-Äquivalent einen Zuschlag von 80 Cent.
Der übernächste Schritt ist ebenfalls in Planung. QM++ soll auch freien Auslauf und gentechnikfreie Fütterung beinhalten. Die Arbeitsgruppe ist dran und im Sommer sollen die Kriterien feststehen. Wichtig ist, so Rufli, es wird nicht die erzeugte, sondern die abgenommene Milch vergütet. Für die Molkereien kann es schwierig werden, wenn sie nicht nur einen Standard abholen, sondern verschiedene Milchen, die getrennt abgeholt, gelagert, verarbeitet und verpackt werden muss. Diese Separationskosten werden den einen oder anderen Aufschlag auffressen. Der Nutzen für die Landwirte ist nach Rufli klar: Den bekommen die, die sich anpassen können.
Die Sortimentsgestaltung
Da der Lebensmitteleinzelhandel den Ausstieg aus den Tierhaltungsstufen 1 und 2 bereits verkündet hat, bleibt Landwirten und Molkereien kaum etwas anderes übrig, als sich anzupassen. Erste Molkereien zahlen nach Rufli bereits Abschläge für die Stufe 1. Die Stufe 2 würden nicht alle Landwirte erreichen können.
Mario Elbers von Aldi Nord begründet das Upgraden der Konsummilch: „Wir sehen, dass sich der Markt transformiert und dem müssen wir Rechnung tragen. Tierwohl ist bei den Kunden ein wesentlicher Faktor und für den Handel ein Punkt, dem Kunden neue Produkte anzubieten.“ Nach Fleisch weiten die Händler das Thema auf die Milch aus. Der Einstieg in den Markt für Trinkmilch sei den Erfahrungen geschuldet. „Da kennen wir uns am besten aus“, erklärte Elbers. Verarbeitete Produkte werden später einbezogen. Die Aufmerksamkeit des Kunden ist aber höher, je ursprünglicher das Produkt ist. Aldi und Co. zielen also mit neuen Standards auf das eigene Geschäft und Image. Milchbauer Klaus-Peter Licht aus Rendsburg-Eckernförde kritisiert den Einstieg. Mit der Konsummilch bekommt der Handel viele Verbraucher ins Boot, aber keine Wertschöpfung auf die Milchbetriebe.
Zudem stellt der LEH nur seine eigenen Marken um. Die Markenmilch, die im Discount nur einen kleinen Anteil einnehmen, wird ebenfalls später einbezogen. Die Klausel, dass die höheren Standards nur bei heimischer Milch gelten sei der Listung der österreichischen Bergbauernmilch geschuldet. Mit dem Ende der Stufe eins werde es keine Auslandsmilch mehr geben und die Branche rückt auf die 5D-Kennzeichnung wie im Schweinebereich zu.
Das sind lange Prozesse. Elbers räumt ein, dass der LEH als Unternehmer bislang nur mit den Molkereien Geschäfte gemacht hat. Die Gespräche mit dem Agrardialog und jetzt in der Zentralen Kommission Handel-Landwirtschaft (ZKHL) haben die Tür für direkte Gespräche mit den Landwirten geöffnet.
Kartellgrenzen
Das ist ein wesentlicher Punkt, den das Bundeskartellamt am Dienstag bestätigte. Höhere Lebensmittelpreise im Handel, wie es Verbraucher wünschen und die neue Regierung umsetzen möchte wird es ohne konkrete Nachhaltigkeitsstandards nicht geben. So wie der Agrardialog es zur Prüfung eingereicht hat, sind Preisaufschläge entlang der Lieferkette bis zum Milchregal eine „Verabredung von Preisaufschlägen“ und daher wettbewerblich verboten. Auch das wirtschaftliche Ziel, den Bauern ein höheres Einkommen zu garantieren, kann die Branchen nicht von dieser Regel befreien. Das Modell sah eine nachträgliche Preisstabilisierung des vertraglichen Milchgeldes anhand der durchschnittlichen Kosten der bundesweiten Milcherzeugung vor. Dadurch sollte der Grundpreis mit Aufschlägen versehen werden. Da sollte ein laufender Prozess sein und die Transformation des Milchsektors finanzieren.
Das Kartellamt unterstreicht ausdrücklich, dass Kooperationen möglich sind. So genannte Programm-Produkte dürfen entlang der Wertschöpfungskette höher finanziert sein. So beispielsweise das Strohschwein bei Kaufland bei teilnehmenden Landwirten und Schlachtern. Kartellchef Andreas Mundt betonte: „Es gibt schon jetzt weitreichende Ausnahmeregelungen gerade im Agrarbereich.“ Weder das europäische noch das deutsche Kartellrecht verhindern Nachhaltigkeit. Die Grenzen bei Preisabsprachen aber sind klar definiert.
Auch die grüne Politik kommt zu spät
Die Erwartungen von Bauern und Verbraucher an die grüne Politik sind groß. Die Parlamentarische Staatssekretärin Ophelia Nick musste aber auf dem Milchforum kräftig auf die Bremse treten. „Wir arbeiten mit Hochdruck an der Tierhaltungskennzeichnung. Rinder und Milchvieh stehen da nicht an erster Stelle. Wir brauchen zwar keine ein bis zwei Jahre, aber bitten schon um Geduld.“ Derweil werden Standards und Geld durch den LEH verteilt, weiß auch Nick. „So schnell sind wir noch nicht.“ Es lägen stapelweise Vorschläge für die Haltungskennzeichnung vor, die alle sortiert und geprüft werden müssen. Am Ende wird ein „Mittelweg mit Augenmaß für Gesellschaft. Milchbauern und Tierschutzorganisationen“ sein. „Bei uns im Hause stehen alle Türe offen“, betonte Nick. Aber wer aktuell in der Tierhaltungsstufe 1 wirtschaftet, der sollte im Stall nach Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung suchen. „Wir wollen keine Bauern, die aufhören“, aber Details werden erst in einigen Monaten feststehen. Eine Haltungskennzeichnung für alle Nutztiere werde es im dritten Jahr der Regierung geben. Wie die Transformation finanziert wird, steht auch erst in einigen Monaten fest.
Der Markt enteilt
Peter Stahl ist Vorsitzender des Milchindustrieverbandes (MIV) und hat am Dienstag in der Pressekonferenz der Milchbranche das außergewöhnlich an der aktuellen Situation beschrieben. Die Preisspanne zwischen den Molkereien beträgt bis zu sieben Cent je Kilogramm. Preise von 40+ Cent sind zwar gut, federn aber die auf den Betrieben ebenfalls gestiegene Kosten für Betriebsmittel nicht ab. Die Landwirte fragen sich, ob sie weiter investieren sollen oder aufhören. In diese Betrachtung sind Effekte aus dem Green Deal und der Strategie „From-Farm-to-Fork“ noch nicht einmal eingearbeitet. Die Rohmilchpreise liegen derzeit wegen einem weltweit knappen Angebot über dem Niveau von Butter und Pulver. Die Spotpreise schießen nach oben. Die Exportmengen der großen Milchexporteure liegen alle unter dem Niveau des Vorjahres, aber die Nachfrage, vor allem aus China, steigt. Darauf reagieren die Spotmärkte, ziehen die bulkpreise nach oben und in der Regel folgen dann später auch die Preise für Verarbeitungsware. Für die nächsten sechs Monate sieht es nach Stahl auf dem Milchmarkt durchaus fest und gut aus. Prognosen, die darüber hinaus gehen, seien sehr vage.
Für die Landwirte, die ihren Absatz wegen dem Ende der Haltungsstufe 1 verlieren, könnte ihre Milch in den Export geben. Der Bedarf an Kuhmilch steigt weltweit, ergänzt Hans Holtorf von den frischli-Werken. Nach Stahl verändern sich die Milchflüsse. Die Importe müssen am Ende den Haltungsstufen des Handels unterliegen. Die Eigenmarken als Abnehmer von standardfreier Basismilch verabschiedeten sich von dieser Lieferquelle und erste Molkereien haben ihre Lieferbeziehungen mit Basismilch eingestellt. Wenn der LEH die Transformation konsequent durchsetzt, gewinnen die Marken mit höheren Standards. Erst im Regal, dann bei den Verbrauchern.
Der Hype um die pflanzlichen Alternativen werde die Kuhmilch auch nicht verdrängen. Nach Eckhard Heuser, Geschäftsführer des MIV, ist das nicht mit dem ehemaligen Wettstreit zwischen Margarine und Butter zu vergleichen. Damals ging es nur um Fett, heute sind es verschiedene Proteine und ein ganzes Produktportfolio. Erbsen und Ackerbohnen haben verarbeitete Milchprodukte noch nicht wirklich erreicht. Und spannend bleibe der Ausblick, wie sich die Milch aus der Petrischale entwickeln werde.
Für die Molkereien und die Landwirte werde sich nach Stahl eher bei der Vertragsgestaltung etwas ändern. Laufzeiten von 12 bis 24 Monaten mit Festpreisen seien nicht mehr zu halten. Für die gelbe Linie sieht er einen Kontrakt von sechs Monaten als Maximum voraus. Das gilt auch für die Landwirte, die sich deutlich kürzer an Molkereien binden werden. Der Erzeuger es Rohstoffes muss am Ende bei seinen Investitionen den Molkereien und dem LEH vertrauen.
Oder, die Vermarktung in die eigene Hand nehmen.
Lesestoff:
[1] Die Centrale Marketing-Gesellschaft CMA wurde 1970 als Nachfolgerin der „Arbeitsgemeinschaft Agrarexport“ gegründet und eroberte auch den deutschen Markt. 2009 wurde sie geschlossen, weil sie Gelder von allen Marktteilnehmern im Rahmen eines Absatzfonds einsammelte und dafür nur generische Werbung gestaltete, die dem einzelnen Geldgeber nur indirekt zugutekam.
[2] https://www.initiative-milch.de
Roland Krieg
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