Die neue Influenza - Saison

Landwirtschaft

AGI über saisonale Influenza und Pandemie

Je näher die Vogelgrippe im letzten Jahr kam, desto höher wurde auch der Wissensdurst der Menschen. Viele haben sich vielleicht zum ersten Mal intensiver mit der Influenza auseinandergesetzt. Gestern lud daher die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) zur Pressekonferenz in Berlin – rechtzeitig vor der nächsten Influenzasaison und die Gelegenheit nutzend, die Gefahr zwischen „seichter Welle und pandemischen Sturm“ abzugrenzen. Den Rahmen bildete die Vorstellung des Abschlussberichts der Influenzasaison 2005/06.

Das Viren ABC
Dr. Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut und beim Bundesamt für Sera und Impfstoffe zählte die drei Arten der Influenzaviren auf:
Influenza C: Dieser Virus ist zwar sehr weit verbreitet, hat aber die geringsten klinischen Auswirkungen.
Influenza B: Dieser Virus ist verantwortlich für die regelmäßigen und sporadischen Krankheitsausbrüche, die vor allem in Gemeinschaften, wie Wohnheimen auftreten.
Influenza A: Das sind die Typen, die regelmäßig flächenartige Ausbrüche mit teilweise verheerenden Ausmaßen wie 1918 hervorrufen können – und auch Haustiere und Wildvögel befallen. Diese Viren haben das „pandemische Potenzial“.
Zur Abgrenzung im allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich bei der Influenza um eine Infektion der Atemwege, die durch Fieber, Husten und starke Muskelschmerzen gekennzeichnet ist. Mit dem Begriff der Influenza wird nicht ein grippaler Effekt mit Erkältungssymptomen oder eine Magengrippe bezeichnet.

Ausbruch aus dem immunologischen Gefängnis
Der Virus ruft beim Menschen eine recht heftige Immunantwort hervor, der ihn an der weiteren Ausbreitung hindert. Um aus dieser Sackgasse des „immunologischen Gefängnisses“ herauszukommen, hat das Virus die Möglichkeit abzuwarten, bis es wieder Menschen gibt, die nicht mehr gegen ihn immun sind oder es verändert seine Struktur an den Antikörper-Bindungsstellen, den Epitopen, des Hämagglutinin- oder Neuraminidase-Moleküls. Letzteres ist aus Sicht der Evolution für das Virus die eleganteste Lösung, so Dr. Pfleiderer, und zeigte, dass die im Jahr 1972 zirkulierenden H3-Moleküle sich in 18 Aminosäuren des ursprünglichen „Hong-Kong“-Stammes unterschieden. Diese Veränderung wird als antigene Drift bezeichnet und erklärt, warum wir jedes Jahr eine neue Schutzimpfung brauchen.

Besser als die Wettervorhersage
Die Influenza zeichnet sich durch eine ausgesprochene Saisonalität und gelegentlich auch Regionalität aus, wenn in einer Stadt das Virus grassiert, aber in der Nachbargemeinde niemand betroffen ist. So wie das Wetter, beschreibt Dr. Udo Buchholz vom Robert-Koch-Institut die Eigenart der Influenza. Aber die Virus-Experten haben gelernt, höhere Trefferquoten zu erzielen, wie die Kollegen von der Wetterkarte. Über 1.000 Arztpraxen sind an das freiwillige Meldesystem der AGI angeschlossen und melden quasi als Sentinel häufig auftretende Atemwegserkrankungen durch den klassischen Rachen-Nasen-Abstrich. Liegt die Positivenrate bei etwa 20 Prozent, dann gibt es in dieser Region eine Woche später eine Influenzawelle.
Im letzten Jahr waren die Influenza B-Typen dominant und im Vergleich zum Jahr davor recht mild. Es wurden etwa 860.000 zusätzliche Atemwegserkrankungen registriert und 5.500 Menschen mussten stationär behandelt werden. In der Saison 2004/05 waren die Zahlen fünfmal so hoch. Doch nicht nur wann eine Influenza auftritt kann gut vorhergesagt werden, sondern in 80 bis 90 Prozent liegen die Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO auch mit der benötigten Impfstoffzusammensetzung richtig.
Schwierig ist es allerdings bei den Influenza A-Typen mit pandemischem Potenzial. So grenzte Dr. Buchholz durchaus ein und zitierte einen Berufskollegen: „The influenza clock is ticking, but we don´t know what time it is.“ Prof. Tom Schaberg vom Diakoniekrankenhaus Rothenburg (Wümme) zeigt Verständnis für einen Teil der Aufregung aus dem letzten Jahr, denn die Wissenschaftler haben es mit einer vollkommen neuen Situation zu tun. Der H5N1-virus ist das erste hochpathogene Virus, dass verschieden Arten befällt und Erkrankungen vom Hirn bis in die Muskulatur hervorruft. So solle die Diskussion um eine Pandemie keine Panikmache sein, aber die Erkenntnissicherheit, könne das Schlimmste befürchten lassen. Der Erfolg des Virus erklärt sich aus der antigenen Drift: Er hat noch keine passende Immunantwort hervorrufen können.

Grippeschutzimpfung 2006/07
Eine amerikanische Studie hat mit einem Vergleich der Virensaison 1989/99 zu 1999/2000 beeindruckende Zahlen bei 280.000 Menschen über 65 Jahren hervorgebracht, die zu 60 Prozent geimpft wurden. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen ging um 19 Prozent zurück, die Erkrankung Apoplex um bis zu 23 Prozent und die Todesfälle um 50 Prozent.
Für die Experten keine Frage, sich für die nächste Grippesaison rechtzeitig impfen zu lassen. Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, Ärztlicher Direktor an der Universitätsklinik Heidelberg, listet die Empfehlungen der „Ständigen Impfkommission“ (STIKO) beim Robert-Koch-Institut auf. Demnach sollen sich Menschen mit folgenden Grunderkrankungen impfen lassen:
Herz-Kreislauferkrankungen
Chronische Erkrankungen der Atemwege
Chronische Nierenerkrankungen
Zuckerkrankheit
Chronische Blutarmut
Angeborene oder erworbene Immunschwäche
Sowie: Personen über 60 Jahre, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und Personen, die viel mit anderen Menschen zusammen kommen. Prof. Szecsenyi weist ausdrücklich darauf hin, dass die Grippeschutzimpfung für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung kostenfrei ist und keine Praxisgebühr bezahlt werden muss. Mitunter empfehlen Arztpraxen ihren Risikopatienten zum Grippeschutz. Nach seinem dafürhalten könnte der Impfschutz in Deutschland höher sein. Nur rund 50 Prozent der über 60jährigen und 30 Prozent der jüngeren Menschen lassen sich impfen. In den Niederlanden liegt der Impfschutz bei 70 Prozent.

Wahrheit und Irrtum
Prof. Schaberg räumte mit einigen Wahrheiten und Irrtümern über die Impfung auf. So meinen manche, dass man von der Grippeimpfung doch eine Grippe bekommen könne. Das sei ein verbreiteter Irrtum, denn die verwendeten Virusbestandteile sind Totimpfstoffe und können keine Grippe hervorrufen. Ein Irrtum sei auch, dass mit der Impfung nur den bekannten und nicht den aktuellen Viren vorgebeugt werden kann. Meistens verraten sich die Viren am Ende einer Grippewelle, dass sie diejenigen sind, die bei der nächsten Saison „die erste Geige spielen“. Da die WHO weltweit Grippeviren sammelt, kommt sie auf eine Trefferquote von 90 Prozent. Manche Bürger haben Angst, dass der Impfstoff in das natürliche Abwehrsystem eingreift, was Prof. Schaberg aber sogar unterstreicht, denn nur so könne er auch wirken. Nebenwirkungen können durchaus auftreten. Da Impfstoffe in Hühnereiern vermehrt werden, können Menschen mit Hühnereiweißallergie empfindlich reagieren. Der Nutzen übersteige jedoch bei allen möglichen Nebenwirkungen die Risiken bei weitem.

Pandemievorsorge
Letztlich mussten die Experten doch immer wieder auf eine mögliche Pandemie antworten. Die Vermehrung der Impfstoffe wird in Hühnereiern vollzogen, wobei für eine Impfdosis ein Ei benötigt wird. Die Gefahr, dass bei grassierender Vogelgrippe die Eiergrundlage nicht mehr zur Verfügung steht, sieht Dr. Pfleiderer nicht. Ein pandemischer Virus würde entweder nur den Menschen oder die Hühner befallen und daher die Eierversorgung nicht in Frage stellen. Zu Herd-und-Hof.de sagte er weiter, dass im nächsten Jahr europaweit alternativ Zellkulturen als Vermehrungsgrundlage zur Verfügung stehen.
Nicht ganz so rosig ist die Sichtweise Prof. Schabergs. Weltweit stünden etwa 350 Millionen Dosen für eine Pandemie nach einer Vorlaufzeit von sechs bis sieben Monaten bereit. Selbst wenn der Ausstoß verdoppelt werden könnte, würde nur ein Bruchteil der Bevölkerung geimpft werden können, denn möglicherweise müsse ein Mensch auch zweimal geimpft werden. Das sei „kein richtiges Ruhekissen“.

Lesestoff:
Der Abschlussbericht der Influenzasaison 2005/06 und alle Vorträge werden bei der AGI im Internet veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es folgende umfangreiche Adressensammlung, sich ausgiebig zu informieren:
Webseite der AGI: www.influenza.rki.de/agi
Robert-Koch-Institut: www.rki.de
Anzahl der Virusnachweise in den Sentinel-Praxen nach dem European Influenza Surveillance Scheme: www.eiss.org
Informationen der WHO: www.who.int
Regelmäßige Berichte über internationale Virusaktivitäten unter
www.cda.gov.au (Australien)
www.cdc.gov/flu/weekly/fluactivity.htm (USA)
www.phac-aspc.gc.ca/fluwatch/index.html (Kanada)
Literatur: www.nimr.mrc.ac.uk/Library/flu
Dauerthema Vogelgrippe auf www.Herd-und-Hof.de

Roland Krieg

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