Die Neugeburt der Gentechnik
Landwirtschaft
Gentechnik: Die Debatte beginnt von vorn
Die neuen Züchtungstechniken schlagen hohe Wellen. CRISPR und Co. breiteten sich in kürzester Zeit in alle Laboren der Welt aus. Ob die neuen Techniken auf der „alten Gentechnik“ aufsetzen oder etwas Neues sind, ist bei Wissenschaftlern noch nicht entschieden, bei den „alten Gentechnikkritikern“ hingegen schon [1 + 2].
Am Mittwochabend diskutierten Wissenschaftler beim Zeit-Forum in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften über die neuen Versprechungen. Während die „alte Gentechnik“ quasi per Schrotschuss genetische Veränderungen hervorgebracht hat, sind punktgenaue Scheren auf molekularer Basis heute so präzise wie noch nie, sagte Prof. Dr. Jens Boch vom Institut für Pflanzengenetik der Universität Hannover. „Die Technik ist erstaunlich effizient.“ Und das Produkt, wie eine neue Weizensorte, sieht am Ende genau so aus, wie von der Natur gemacht.
„Off-Targets“ will Prof. Dr. Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin aber nicht ausschließen. Damit sind Seiteneffekte gemeint, die durch die Manipulation unerwünscht auftreten könnten. Diese Skepsis gehöre zur wissenschaftlichen Grundausstattung, aber, so betonte Prof. Dr. Bärbel Friedrich, Vizepräsidentin der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die Seiteneffekte sind viel kleiner als erwartet. Möglicherweise im Vergleich zur normalen Kreuzungen sogar unwichtig.
Die Versprechen sind alle bekannt: Die Pflanzenzüchter wollen mit den neuen Techniken widerstandsfähige Pflanzen für den steigenden Nahrungsbedarf erzeugen, bei denen die Landwirte keine Pflanzenschutzmittel mehr einsetzen müssen. Wird beim Menschen der einzige Rezeptor zerstört, an dem das HI-Virus andocken kann, könnten die Menschen gegen die seit den 1980er Jahren ausgerufene Geißel AIDS immun werden.
Motiv und Vision sind bei alter und neuer Gentechnik gleich. Die neuen Methoden unterscheiden sich durch ihre Präzision, die mittlerweile auch kleine Labore kostengünstig umsetzen können und dadurch, dass keine Fremdgene verwendet werden. Das Endprodukt lässt sich von einem natürlichen Produkt nicht mehr unterscheiden. „Das ist die Krux“, betonte Prof. Friedrich.
Daher ist die Sichtweise auf die neuen Züchtungstechniken weltweit sehr unterschiedlich. Wer sie vom Endprodukt her definieren will, stört sich nicht an der Art und Weise, wie gezüchtet wurde. Wer sich den Prozess anschaut, der findet „etwas Unnatürliches“ und lehnt auch das Produkt ab. Am Ende wird das Dilemma auf den Schultern der Landwirte abgeladen, prognostiziert Prof. Boch. Doch: „Man sollte alle Möglichkeiten ausschöpfen.“
Das ist der Punkt, wo die Ethiker ins Spiel kommen. Reicht eine Risikodiskussion aus, oder stellen die neuen Methoden die Gesellschaft nicht wieder vor die Grundfrage, wie sie leben soll? Das fragt Prof. Dr. Peter Dabrock vom Lehrstuhl der Systematischen Theologie (Ethik) an der Friedrich-Alexander Universität Nürnberg-Erlangen. „Es ist eine Technologie, die der gesellschaftlichen Debatte bedarf. Ob es ein Moratorium geben soll? Da bin ich zurückhaltend“, sagte der Ethiker. Es gibt verschiedene Moratorien. So scheint es eine Übereinstimmung gegen eine Keimbahnintervention bei Menschen zu geben, sofern es die Vererbung auf die nächste Generation gibt. Prof. Dabrock glaubt nicht an eine schnelle Akzeptanz für die neuen Züchtungsmethoden. Die unterschiedliche Akzeptanz bei grüner und roter Gentechnik sei tief eingegraben: „Da gibt es eine schwierige Gemengelage.“ Den gesellschaftlichen Diskurs soll es bereits der Technik selbst willen geben, die ja durchaus Nützliches hervorbringen könne.
Der Diskurs müsse aber offen geführt werden. Sind Hunger und Armut nur über Züchtung zu beseitigen und sind Zivilisationskrankheiten nur durch genetischen Eingriff zu vermeiden? Prof. Dabrock will die Debatte so tief führen, dass die Ursachen, die für den Einsatz der neuen Techniken sprechen, nicht hingenommen werden müssen. Die Technik sei keine Ausrede, andere Maßnahmen vernachlässigen zu dürfen.
Positionspapier der Europa-Grünen
„Wo Gentechnik drin ist, muss auch in Zukunft Gentechnik draufstehen. Die Menschen müssen selbst entscheiden können, ob sie derartige Produkte wollen oder nicht. Würden die neuen Verfahren nicht als Gentechnik eingestuft, dürften sie ohne jede Risikoprüfung auf den Markt. Das mag gut für die Konzerne sein, es ist auf jeden Fall schlecht für Menschen, Umwelt und alle Anbieter gentechnikfreier Produkte.“ Die Grünen im europäischen Parlament haben am Mittwoch auf einer Konferenz gleich deutlich Stellung bezogen. Europaabgeordneter Martin Häusling und der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner lehnen in dem Positionspapier die neuen Züchtungstechniken ab, da sie „in die Zelle eingreifen und Genveränderungen vornehmen oder forcieren.“ Die EU will diesen Sommer entscheiden, ob die Techniken unter das Gentechnikgesetz fallen.
Lesestoff:
[1] Neue Züchtungstechniken in der Diskussion. Welche Techniken sind das überhaupt?
[2] Experten fordern Moratorien
Roland Krieg