Die Nieren der Landschaft

Landwirtschaft

Niedermoor ist Boden des Jahres 2012

Moore sind die stillen Hauptdarsteller bei alten Edgar Wallace-Filmen. Schaurig schön und von Nebelfetzen durchzogen. Eine Landschaft, die wie kaum eine andere das Leben und die Kultur geprägt hat (Annette von Droste-Hülshoff – Der Knabe im Moor, 1841):

„O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt! –
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!“

Bodenkundler unterscheiden zwischen Hoch- und Niedermoor. Das Hochmoor ist durch Regenwasser geprägt, beim Niedermoor wird der hohe Wasserstand durch Grundwasser gespeist. Hier ist die Torfschicht mindestens 30 Zentimeter dick. Eine exakte Trennung ist nicht immer möglich, erklärte Prof. Dr. Jutta Zeitz von der HU Berlin. Sie stellte am Montag das Niedermoor am Weltbodentag als Boden des Jahres 2012 vor.


Wasserreich

Was dem Knaben unter seinem Tritte entsprang hat dem Niedermoor Jahrhunderte Ruhe gesichert. Moore charakterisieren sich durch Wasserüberfluss und die luftdicht konservierten Pflanzen- und Wurzelreste von Schilf und Seggen sind das Substrat des Bodens selbst. Die Menschen haben ihn als Torf genutzt. Der hohe Anteil an Pflanzenmasse sorgt für ein hohes Wasserspeichervermögen, einen hohen Humusgehalt und ist außerordentlich nährstoffreich. Niedermoore gelten als „Niere der Landschaft“. Das Wasser hat die intensive Nutzung aber auch immer verhindert. Niedermoore wurden als letzter Landschaftsteil bei Hungersnot und im Krieg in Bearbeitung genommen.

Typischer Grünlandstandort

Niedermoore entstehen in Niederungen, an Flussläufen und an Seen. Sie finden sich in kühlen und feuchten Erdregionen und sind in Deutschland hauptsächlich in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zu finden. Auch an der Donau und im Voralpenland sind sie vertreten. Rund eine Million Hektar umfassen die Niedermoore. Moore sind nicht mineralischen Ursprungs, quasi Extremisten der Böden, so Dr. Zeitz. Die Pflanzenreste bilden das Substrat des Bodens und färben sie dunkel bis zu tiefem Schwarz. In Norddeutschand ist das bei der Feldbestellung leicht zu erkennen. Moore bilden sich täglich neu durch neues organisches Substrat und wachsen von unten nach oben.
Die Böden sind hydromorph. Das heißt, der Wassereinfluss hat sie gestaltet. Bis 1770. Dann begann ihr Niedergang durch Entwässerung. Meliorationsgräben haben Friedrich II. „eine neue Provinz“ in Friedenszeiten beschert. Die Entwässerung wurde in der DDR systematisch vorangetrieben und noch im Jahr 1988 wurde eine Tiefpflug-Sanddeckung eingezogen. Mit einer Sandschicht wurde die Tiefgründigkeit des Niedermoors beendet und ein ertragsreicher Ackerstandort gebildet.
Was früher ein typischer Grünlandstandort mit Erlengruppen und Wasserflächen war, wurde zu einer Maiskultur für die Biogasanlage. Diese Degradierung des Niedermoors führt zu einer Sackung des Bodens, weil das Wasser entfernt wurde. In manchen Regionen ist der Boden in zehn Jahren um 80 Zentimeter eingesunken.
Durch den hohen Wasserstand hatten sich wirkliche Spezialisten in Fauna und Flora mit dem nassen Standort arrangiert. Die Entwässerung entzieht der Sumpfschrecke, dem Breitblättrigen Knabenkraut, Wollgras und dem Großen Feuerfalter die Lebensgrundlage. Die Entwässerung führt im Boden aber auch zur Bildung von Erdbröckel. Größere Erdklumpen, die in ihrer Summe die Wasserführung von unten durch Unterbrechung der kapillarfähigen Poren unterbindet. Oder der Boden vermulmt: Es bildet sich ein „Einzelkorn-Gefüge“. Die Gefügeeigenschaften des Bodens zur Führung von Wasser, Luft, Nährstoffen und für Bodenlebewesen geeignet gehen verloren.

Niedermoor und Klima

Intakte Niedermoore können bis zu zwei Tonnen Kohlendioxid je Hektar speichern und spielen daher in der aktuellen Klimadiskussion eine große Rolle. Durch die Entwässerung kommt Sauerstoff an die Pflanzenreste und der darin gespeicherte Kohlenstoff wird in die Atmosphäre freigesetzt. Der Niedermoorstandort wird von der CO2-Senke zum Erzeuger von Treibhausgasen. Intensiv genutzte Niedermoore können bis zu 40 Tonnen Kohlendioxid freisetzen. Daher sagte Schirmherrin Anita Tack, Umweltministerin in Brandenburg, in ihrer Grußbotschaft auf dem Weg zur Klimakonferenz nach Darfur: „Moorschutz geht uns alle an!“
Kurt Augustin, Abteilungsleiter für Wasser und Boden im brandenburgischen Umweltministerium
, erläuterte das Moorschutzprogramm, das Brandenburg im nächsten Jahr auflegen will. Das Dauergrünland auf den Niedermoorstandorten ist praktizierter Klimaschutz und verhindert durch die permanente Vegetationsdecke die Erosion durch Wind und Wasser. Das Moorschutzprogramm will die Standorte vor allem in Gewässernähe und am Hang kartieren und Wasserwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft für ein gemeinsames Nutzungskonzept gewinnen.

Erlenmöbel vom Niedermoor

Viele Standorte stehen schon unter Naturschutz. Viele mehr aber noch nicht. Oftmals wird auch von bäuerlicher Seite von Wiedervernässung gesprochen, doch eine „Renaturierung“ der Böden ist nicht einfach. Vielfach wird nur Staunässe daraus, so Prof. Zeitz. Bewährt hat sich eine Flachtorfnutzung der oberen Zentimeter.
Vor der Wiedervernässung muss nach Prof. Zeitz die Frage des Flächenkaufs geklärt sein und dann geht es um eine genaue Planung. Entwässerungsanlagen müssen rückgebaut werden. Solschwellen und spezielle Querungen für Wege, die auch bei hohem Wasserstand die Zugänglichkeit von Feldern sichert sind möglich.
Aber es sind auch Widerstände in der Bevölkerung zu überwinden. Das Stichwort „Vernässung“ lässt Menschen um ihre Keller fürchten. Bürgerinitiativen malen Schimmelbefall und Beeinträchtigungen der Gesundheit an die Wand. Hier haben die Wissenschaftler bei der Aufklärung versagt, erläutert Prof. Zeitz selbstkritisch.
Niedermoore können auch genutzt werden. Vereinzelt grasen schon Wasserbüffel auf neuen Niedermooren und Schilf, Seggen und Erlen können als Biomasse sowohl energetisch als auch stofflich für Möbel genutzt werden. Regionale Wertschöpfung.

Boden des Jahres

Bereits zum 8. Mal hat das „Kuratorium Boden des Jahres“ ein Exemplar aus der Vielfalt der Weltböden gekürt. Die Wissenschaftler haben dabei die Balance zwischen wissenschaftlicher Wissensvermittlung und breitenwirksamer Ansprache erlernt, erklärte Kuratoriumsmitglied Prof. Dr. Monika Frielinghaus vom Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg bei Berlin. Der Boden des Jahres hat mittlerweile das öffentliche Interesse geweckt und richtet den Blick auf die Erde unter unseren Füßen.
Bodenschutz sei aber noch kein ganzes Gebilde, sondern eine Baustelle auf der von verschiedenen Seiten gebaut wird. So bietet die Kürung immer wieder Gelegenheit auf den hohen Flächenverbrauch von 108 Hektar am Tag in Deutschland hinzuweisen.

Ablehnung im Bundestag

Allerdings sind in der Bundespolitik die Fortschritte nicht zu sehen. Die Bundestagsfraktionen der Grünen und Linken haben jeweils Anträge zur europaweiten Stärkung des Bodenschutzes und Beendigung der deutschen Blockade für ein europäisches Bodenschutzgesetz eingereicht. In der letzten Woche hat der Bundestag die Beschlussempfehlung zur Ablehnung der Anträge aus dem Agrarausschuss angenommen. Es war zu konkrete Maßnahmen zur Reduzierung des Flächenverbrauches und zur Einführung einer europäischen Bodenschutzrahmenrichtlinie aufgefordert.
Die CDU/CSU-Fraktion begründete ihre Ablehnung darin, dass bereits 19 europäische Richtlinien das Thema Boden berücksichtigen. Für eine Bodenschutzrahmenrichtlinie lägen derzeit zu viele verschiedene Entwürfe vor und die FDP-Fraktion begründet ihre ablehnende Haltung mit Kosten in Höhe von 320 Millionen Euro, von denen etwa zwei Drittel auf die Kommunen entfallen würden. Die FDP fürchtet auch eine Verwässerung strenger deutscher Parameter, weil andere Länder noch nicht so weit wären. Die Grünen hingegen haben argumentiert, dass die unterschiedlichen Normen die Wettbewerbsgleichheit beeinträchtigen und daher durch eine Rahmenrichtlinie harmonisiert werden sollten.

Moore gegen Klimawandel

Die Wahl des Niedermoorbodens zum Boden des Jahres könnte parallel zur Klimakonferenz in Durban dem Bodenschutz einen neuen Impuls geben. Das Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei arbeitet an Strategien zur Revitalisierung der Niedermoorstandorte. Sie speichern zwischen 20 und 30 Prozent der gesamten Kohlenstoffvorräte im Boden und damit zwischen 40 und 60 Prozent des Kohlendioxids in der Atmosphäre.
Sie schauen beim Wiedervernässen aufs Detail. Die Trockenlegung habe nach Dr. Jörg Gelbrecht vom IGB zu irreversiblen chemischen und physikalischen Änderungen der oberen Bodenschicht geführt. Der in den Boden gelangende Sauerstoff wandelt organische in anorganische Stoffe um, die leichter ausgewaschen werden. Wenn also der Standort wiedervernässt wird gelangen nach Analyse des IGB vor allem Stickstoff und Phosphor in angrenzende Gewässer.
Das IGB unterstützt die These von Prof. Zeitz, dass das Abtragen der oberen Torfschicht vor dem Wiedervernässen die Auswaschung der Nährstoffe verhindert.
Revitalisierte Moore beginnen sofort mit dem Speichern des Treibhausgases, so Dr. Gelbrecht. Durch den erneuten Sauerstoffabschluss entsteht allerdings das klimaschädlichere Methan. Daher sucht das IGB nach Pflanzen, die am wenigsten Methan bilden, um sie beim Wiedervernässen gezielt auszusäen. Die Renaturierung braucht Geduld: „Moore brauchen Jahrzehnte, um einen Zustand zu erreichen, der ihrem ursprünglichen Status entspricht“, so Dr. Gelbrecht.

Lesestoff:

Zentral für alle Beteiligten sei die Internetadresse des Bundesverbandes Boden angegeben: www.bodenwelten.de

Roland Krieg (Text und Fotos)

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