Die Öko-Umstellung ist keine spontane Idee

Landwirtschaft

Niedersachsens ehrgeizige Pläne für den Ökolandbau

„Man stellt nicht von heute auf Morgen um.“ Der Vater von Johannes Blanke hat 2016 das erste Mal darüber nachgedacht. Abgeschlossen ist der Prozess noch nicht, auch wenn der Sohn auf seinem Teil des Hofes im Heidekreis, ganz frisch, die gesamte Fläche am 01. Juni dieses Jahres nach ökologischen Standards zertifiziert bekam. Für den Johannes Blanke lag die Initialzündung für die Umstellung in einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung, eine sichere Vermarktung beschleunigte den Prozess. Zum Jahresende verlassen die letzten Milchkühe den Betrieb. Blanke nahm am Mittwoch von seinem Traktor aus an der Video-Sitzung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums mit Journalisten teil. Dafür unterbrach er das Striegeln des Hafers. Auf 338 Hektar baut er Öllein, Hanf, Hafer, Roggen, Bio-Zuckerrüben an. Auch die Sojabohne steht in der Fruchtfolge. Sie wird mangels regionaler Vermarktung nach Freiburg für die Lebensmittelproduktion vermarktet. Heute ist er froh, die Chance zur Umstellung im Jahr 2016 ergriffen zu haben. Leiden gehört zum Erfahrungsschatz dazu: „Es geht auch mal eine Kultur in die Büx.“

Niedersachsen hat viel vor

Das Agrarland Niedersachsen hat beim Ökoanbau in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. Zum Jahresende 2020 bewirtschaften 2.253 Betriebe 134.574 Hektar landwirtschaftliche Fläche nach ökologischen Standards. Das ist ein Anteil von 5,2 Prozent. Der Aktionsplan Ökolandbau sieht eine Verdoppelung der Fläche bis zum Jahr 2025 vor. Im „Niedersächsischen Weg“ ist die Zielvorgabe mit 15 Prozent bis zum Jahr 2030 vorgegeben. Da muss viel zusammenkommen, wenn die einzelbetrieblichen Umstellungspläne langsam reifen. Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast ist optimistisch und hat die Fördergelder im Budget schon in Richtung 15 Prozent Ökoanteil eingestellt.

Den richtigen Rahmen setzen

Die Zahl umstellungswilliger Landwirte ist bundesweit seit Jahren hoch, wie der Deutsche Bauernverband jährlich bemisst. Am Ende bleiben immer nur wenige, die den Weg auch tatsächlich gehen. Niedersachsen hat sich vor allem in den östlichen Landkreisen Uelzen und Lüchow-Dannenberg zwischen Landwirten, Verarbeitern und Handel eine Eigendynamik entwickelt, die am Ende auch die Konsumenten überzeugt [1].

Für den richtigen Rahmen in Niedersachsen verantwortlich ist seit 20 Jahren das „Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen" (KÖN), das jüngst als Gesellschafterin das neue Kompetenznetzwerk Ökolandbau Niedersachsen (i-KÖN) gegründet hat. Das „i“ signalisiert die institutionelle Förderung und damit Sicherheit für die Arbeit und Weiterentwicklung des Ökolandbaus im Land. Aufgaben, wie die Bereitstellung von Informationen zur Umstellung, die Ausrichtung der  Aktionstage Ökolandbau Niedersachsen übernimmt das i-KÖN von seiner Gesellschafterin, will sich aber stärker um den Aufbau eines Netzwerkes entlang der Produktionskette kümmern. Weiterhin mit rund 20 Projekten im Jahr.

Dazu gehört die Schaffung von Ökomodellregionen. Nach Holzminden, Goslar und Uelzen ist Hannover als städtischer Nachfrageraum als vierte Ökomodellregion hinzugekommen. In der Landeshauptstadt steht die ökoregionale Ernährung im Vordergrund. Im nächsten Jahr sind drei weitere Ökomodellregionen geplant, sagte Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast am Mittwoch.

Die Ministerin will mit i-KÖN Geschäftsführerin Carolin Grieshop die Gunst der Stunde nutzen, dass in der Pandemie Konsumenten deutlich stärker auf Bioprodukte zurückgegriffen haben. Die Biobranche hat mit einer Verdoppelung des Nachfragezuwachses auf 25 Prozent ein Ausnahmejahr hingelegt, das die Beteiligten nach der Pandemie beibehalten wollen. In der Direktvermarktung gab es ein Plus von 35 Prozent. Der Wegfall der Gastronomie hat die Menschen mehr zu Hause kochen lassen. Sie haben dabei ihren Einfluss auf die Rohstoffauswahl ausgenutzt. „Wir sehen, dass der Markt wächst“, erklärte Grieshop.

Hemmnisse und Chancen

Niedersachsen macht bundesweit den nächsten Schritt. Für die nächste und letzte Bundesratssitzung vor der Sommerpause Ende Juni bereitet Otte-Kinast zusammen mit dem Bauministerium einen Antrag für den Abbau von Hürden durch Baugenehmigungen und der TA-Luft vor. Details sind noch in Arbeit, sagte die CDU-Ministerin.

Auslauf für die Nutztiere und Emissionen sind einer der bestehenden Zielkonflikte, die Landwirte bewältigen müssen [2]. Auch baurechtlich ist das nicht so einfach, weil die Praxis nicht allzu oft Verordnungskonform ist. Darüber wussten Kerstin und Stephan Klünemann aus dem Emsland zu berichten. Die 2015 errichteten Putenställe wurden zu Beginn konventionell betrieben. Hier war die Abschaffung der Sauenhaltung die Initialzündung der Umstellung. Allerdings haben die Putenställe eine 80 cm hohe Betonaufkantung und galten nach alter EU-Ökoverordnung als nicht barrierefrei. Mit der neuen Öko-Verordnung allerdings wurde alternativ der Bau zweier Rampen als Aus- und Einlauf für die Puten auch ökologisch akzeptiert.

Für das Ehepaar Klünemann gab es auch noch einen zweiten Impuls. Der Händler für ihren Chicorée suchte als neue Absatzchance Betriebe, die das Gemüse auch in Bioqualität anbauen. Seit diesem Jahr erzeugen die Emsländer Puten und Chicorée für Naturland. Die Umstellung ist abgeschlossen. Für Kerstin Klünemann ist die Umstellung beim Gemüse ein Ausstieg aus dem Hamsterrad des steten Wachstums. „Wir haben für uns eine Nische gefunden, wo wir nicht größer werden müssen.“ Das ist ein Satz, der fast nur von Biobauern zuhören ist.

Öko ist mehr als Bio

Die Klünemann und Blanke zeigen beispielhaft, dass die Umstellung von konventionell auf ökologische Produktion zu allererst eine Kopfsache ist. Es ist ein Prozess mit einem neuen Ziel. Carolin Grieshop ergänzt: „Motivation allein reicht nicht. Landwirte müssen dahinter stehen.“ Öko als Zwang werde nicht funktionieren.

Dann kommt erst der Dschungel. Gerade in Deutschland ist die Verbändelandschaft ausgeprägter präsent als in europäischen Nachbarländern. Früher im  Gemüsebereich und heute bei Biofleisch wird ein kleiner Markt durch die unterschiedlichen Verbändestandards künstlich fragmentiert. Versuche, die internen Reibungsverluste zu überwinden, haben die Verbände vor schon vor über zehn Jahren zu verhindern gewusst [3].

Die Verbändelandschaft bleibt ein Problem. Klünemanns haben mit EU-Bio angefangen und sind dann auf Naturland umgeschwenkt. Vorteile der Verbände liegen in der Fachberatung und bei der Vermarktungshilfe. Am Ende müssen die Landwirte betriebsindividuell entscheiden, welche Verordnungen und Vorgaben am besten umzusetzen sind, sagte Stephan Klünemann zu Herd-und-Hof.de. Die EU-Umstellung ist nach Blanke die einfachste, setze die Landwirte allerdings einem steigenden Preisdruck aus. Die Entscheidung für einen Verband hält Blanke für „unumgänglich“, weil die Verbändenamen in den Köpfen der Verbraucher eine hohe Präsenz haben. „Wir wollen alle Verbände mitnehmen“, ergänzte Otte-Kinast, muss allerdings auch zugeben, dass die verschiedenen Standards eine Herausforderung für die Fachebene im Ministerium und die Beratung bei der Landwirtschaftskammer ist.

Öko folgt den vorhandenen Strukturen

Die Landwirtschaft in Niedersachsen ist äußerst reichhaltig und reicht von wertvollen Bördelandschaften im Osten bis zu viehdichten Regionen im Westen. „Bio wächst immer dann, wenn Rohware nachgefragt wird“, beschreibt Grieshop. Und die Landwirte folgen den konventionellen Spuren. Im niedersächsischen Westen gibt es viel Geflügel und Schweine. Nutztierhalter werden nicht auf den Ackerbau umstellen, sondern ihren Produktionsrichtungen treu bleiben. So ist die Putenhaltung von Kerstin und Stephan Klünemann im Emsland nur folgerichtig. Bei Mastfleisch gibt es nach Grieshop eine „räumliche Zunahme“.

Aber auch nicht ungetrübt. Da der Ökolandbau die flächengebundene Nutztierhaltung einfordert, steht die tierische Produktion, auch bei Mich, unter hohem Druck der Bodenpreise. Nach Johannes Blanke gibt es den Trend, dass Betriebe ihren Ackerbau umstellen, dann aber die Tiere abschaffen. Wer für 150 Milchkühe hofnahe 15 bis 20 Hektar Weidefläche braucht, kann sie im Raum Vechta gar nicht mehr bezahlen.

„Es gibt nur eine Landwirtschaft“

Gerade auf dem Fleischmarkt hat Bio noch viel Luft nach oben. Der Run auf Rinderhack resultiert aus dem hohen Konsum von Biomilch. Neue Quinoa-Sorten erweitern das ackerbauliche Angebot und lassen viel Platz für neue Marktnischen. Es mehren sich allerdings Zeichen, dass Marktkräfte auch auf den Ökoanbau wirken werden, dem sich die Verbändelandwirtschaft dauerhaft nicht entziehen kann.

Der Boom bei Öko ist aber für alle gut. „Es gibt ein Zusammenwachsen zwischen ökologischen und konventionellen Betrieben.“ Ministerin Barbara Otte-Kinast macht ihre Aussage an der Bodenbearbeitung fest. Die mechanische Hacke hat konventionelle Betriebe neugierig auf die nicht chemische Unkrautbekämpfung gemacht. Sie blickt zuversichtlich in die Zukunft, denn „es gibt nur eine Landschaft.“

Und: Nicht jeder Bio-Bauer muss gleich mit dem anspruchsvollen Striegeln von Getreide beginnen. Damit hat Johannes Blanke nach Ende der Videokonferenz weiter gemacht.

Lesestoff:

[1] Wie regionale Wertschöpfungsketten entstehen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/umstellung-braucht-gute-planung.html

[2] Tierwohl und Emissionsschutz: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-tierschutz-wird-am-emissionsschutz-scheitern.html

[3] Bei Öko mehr auf die Erzeugerseite schauen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/neuer-dachverband-fuer-oekologischen-landbau.html

Roland Krieg

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