Die Paten des ländlichen Raums

Landwirtschaft

Fachtagung „GAP-Reform“ der Bundesgrünen

Der ländliche Raum hat seine eigene Visitenkarte. Zwei Drittel der Bevölkerung leben auf dem Land, 97 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung werden erzielt und Landwirtschaft sowie Handwerk und halten den ländlichen Raum aktiv und lebendig. Cornelia Behm, Sprecherin für Ländliche Entwicklung von Bündnis 90/Die Grünen will diese Visitenkarte trotz demografischer Herausforderung erhalten. Ein Instrument dafür ist die zweite Säule der Agrarpolitik, die, neben der ersten Säule der landwirtschaftlichen Direktzahlungen, Experimentierraum für die Landwirtschaft und die integrierte ländliche Entwicklung bietet, erklärte Behm am Montag beim Fachgespräch „GAP-Reform 2013 – Neue Chancen für den ländlichen Raum“ in Berlin. Die zweite Säule halte Geld bereit, das nicht nur für die Bauern bestimmt ist.

Paten für die zweite Säule

Während in der Öffentlichkeit die Direktzahlungen breit diskutiert werden, werde die zweite Säule ein wenig vernachlässigt, erläuterte Friedrich Ostendorff, Grünen-Sprecher für Agrarpolitik. Außerhalb Deutschland gebe es außer den Grünen nur „wenig Paten für die zweite Säule.“ Die Politik habe zwar das Vokabular für Naturschutz, Daseinsvorsorge und „Greening“ übernommen, untermauere es jedoch nicht mit der notwendigen Substanz. Daher plädieren die Grünen auf Bundes- und Europaebene für eine starke zweite Säule. In Deutschland verteilen sich die Agrargelder für die 7-Jahres-Periode auf die erste und der zweiten Säule zu 282 und 90 Milliarden Euro.

Was ändert sich?

Die auslaufende „alte zweite Säule“ ist selbst ein Säulenmodell mit verschiedenen Schwerpunkten und dem ELER-Fonds für die Gesamtentwicklung des ländlichen Raums. ELER steht für Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und wird nach Vorstellungen der EU in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2014 ein anderes Gesicht erhalten.
Der ländliche Raum soll sich gemäß der Europa 2020-Strategie entwickeln, erläuterte Josefine Loriz-Hoffmann aus der EU-Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung in Brüssel. „Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und räumliche Entwicklung“ sollen „intelligent, nachhaltig und integrativ“ wachsen. Dazu werden Zielindikatoren erstellt, die mit verschiedenen Maßnahmen erreicht werden sollen. Daher wurden die Leitlinien für alle Fonds, die mit dem ländlichen Raum zu tun haben, unter einem neuen „Gemeinsamen strategischen Rahmen (GSR; englisch CSF, s. Bild) zusammengefasst. Die Mitgliedsländer können sich die Maßnahmen nach ihren Bedürfnissen zusammenstellen, die Kofinanzierung sinkt in den Hautregionen von 85 auf 50 Prozent.
Die Kernpunkte sind „Förderung von Wissenstransfer und Innovation“, „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“, „Förderung der Organisation der Nahrungsmittelkette und des Risikomanagements“, „Wiederherstellung, Erhaltung und Verbesserung der Ökosysteme“, „Förderung der Ressourceneffizienz und des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten Wirtschaft“ sowie die „Förderung der sozialen Eingliederung, der Bekämpfung der Armut und der wirtschaftlichen Entwicklung in den ländlichen Gebieten.“


Früher waren die Maßnahmen an Achsen gebunden, künftig sollen europäische Kooperationspartnerschaften entstehen können, die Landwirte mit vor- und nachgelagerten Bereichen eingehen können, beschreibt Loriz-Hoffmann eine der wesentlichen Neuerungen. Der Ansatz der zweiten Säule für die Entwicklung des ländlichen Raums sei geblieben, die Finanzierung sei auf eine Öffnung der einzelnen Fonds fokussiert, um komplexere Aufgaben zu lösen.

Aufgaben und Sichtweisen: Vielschichtig

So multifunktional der ländliche Raum ist, so vielschichtig sind auch die Betrachtungsweisen. Baden-Württemberg und Bayern finanzieren den ländlichen Raum eher agrarlastig, räumt Wolfgang Reimer aus dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg ein. Die beiden Länder hätten einen Nachholbedarf bei der Agrarstruktur. Die Niederländer oder neuen Bundesländer hingegen investieren die Gelder der zweiten Säule eher in die Infrastruktur. In Dänemark spielt diese Betrachtung kaum eine Rolle und in Osteuropa geht das Geld in die Agrarinvestitionsförderung, um zu den „alten“ EU-Länder aufzuschließen. Reimer fürchtet, dass die GAP-Reform eher für die Stärkung im globalen Wettbewerb genutzt werden könnte.
Gegenüber den vorherigen Reformen vermisst Reimer eine klare Strategie. Das bisherige Achsenmodell habe mit der hohen Kofinanzierung eindeutig eine Lenkungsfunktion für die Entwicklung gehabt – doch beides werde in der Reform aufgegeben. Er wisse derzeit nicht, wie Gelder aus dem ELER-Fonds beispielsweise mit dem EFRE-Fonds, dem Europäischen Fonds für die regionale Entwicklung, kombiniert werden könnte. Kohlenstoffarmes Betriebswachstum von Handwerksbetrieben seien nicht mit den Zielen der Agrarbetriebe kombinierbar, erläuterte Reimer.
Martin Häusling, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament
, sorgt sich vor allem um die geringer werdende Kofinanzierung. „Failed states“ wie Griechenland und Schleswig-Holstein hätten kaum noch einen Spielraum mit der zweiten Säule, so Häusler. Er plädiert für einen flächendeckenden Ressourcenschutz, damit mit der zweiten Säule nicht betriebsbedingte Schäden durch die Direktfinanzierung ausgeglichen werden müssen. Außerdem solle die zweite Säule nicht überfrachtet werden. Risikoabsicherungen hätten dort nichts zu suchen.

Reform-Bewertungen

Im Fachgespräch gaben vier Vertreter ihre Kurzbewertung zur GAP-Reform ab.
Nach Dr. Jürgen Metzner, Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Landschaftspflege, hat der Naturschutz sowieso schon nur eine kleine Lobby. Die neue GAP will ohne Artikel 57 auskommen, der Flächenerwerb und Gebietssteuerung durch die Landschaftspfleger ermöglichte. Dr. Metzner fürchtet einen Rückbau der Landschaftspflegeleistungen, obwohl sie nur zusammen mit den Landwirten umgesetzt werden können. Er forderte die Aufnahme von Naturschutzleistungen in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) des Bundes, um wenigstens darüber Mittel zu erhalten.
Den Ökolandbau als Fast-Gewinner der GAP-Reform sieht Dr. Alexander Gerber vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der Ökolandbau schafft ohne Probleme die sieben Prozent vorgeschriebener ökologischer Vorrangfläche und erhöht alleine durch seine Umsetzung die regionale Wertschöpfung um 15 Prozent. Allerdings fehlt es dem politischen „Wording“ an Substanz, den Ökolandbau aus der Nische als Wirtschaftsweise mit Leitbildcharakter anzuerkennen. Wie ein Zehnkämpfer sei der Ökolandbau nicht der Beste in den Einzelsparten, doch bilde er die ökonomischen, sozialen und ökologischen Ziele in seiner Multifunktionalität am besten ab. Dr. Gerber denkt schon an die Reform der GAP ab 2020. Dann sollte das Säulenmodell überholt und die ökologische multifunktionale Landwirtschaft das Leitbild für die Agrarpolitik sein.
Hingegen hinterfragte Prof. Dr. Peter Weingarten vom Johann Heinrich von Thünen-Institut die GAP grundsätzlich als richtiges Instrument für die Entwicklung des ländlichen Raums. Der Gemeinsame strategische Rahmen sei nicht auf den Förderliberalismus ausgerichtet und die sechs Prioritäten seinen agrarbetont. Die Finanzierung der landwirtschaftlichen Betriebe zu 100 Prozent in der ersten Säule als europäische Gemeinschaftsaufgabe stehe im Ungleichgewicht mit den ebenfalls europäisch und sogar globalen Klimaschutzzielen, die in der zweiten Säule mit nur 50 Prozent finanziert werden.
Einen Schritt deutlicher formuliert der hessische Agrarberater Thomas Schaumberg seine Sichtweise. Eine Landwirtschaftspolitik müsse nicht automatisch eine Politik für den ländlichen Raum sein. Er forderte die Europaparlamentarier zu mehr Mut auf, die territoriale Entwicklung des Landes zu betonen.

Bürokratie und Zeitplan

Wolfgang Reimer wünschte sich innerhalb der Reform eine wirkliche Vereinfachung und schlug gleich vor, mehr Pauschalierungen einzuführen. Derzeit sei die Verwaltung in Baden-Württemberg damit beschäftigt bei rund der Hälfte der 40.000 Betrieben, Gelder bis zu 100 Euro wieder zurückzufordern. Im Ländle werde diskutiert, ob wegen dieser Bürokratie nicht nur noch Projekte mit einem Volumen von mindestens 100.000 Euro gefördert werden sollten.
Josefine Loriz-Hoffmann hingegen verweist auf das Entbürokratisierungspotenzial der Reform, auf den Februar-Bericht von Edmund Stoiber, der rund die Hälfte des Bürokratieaufwandes in den Mitgliedsstaaten ausgemacht hat, und vor allem auf Deutschland. Die Deutschen werfen der EU zwar gerne Bürokratie vor, leisteten sich zu Hause aber 16 verschiedene Länderauslegungen einer EU-Vorgabe.
Offen bleibt auch der Zeitplan für die GAP-Reform. In diesem Frühjahr wählt Frankreich im nächsten Jahr Deutschland. Damit sind in zwei wichtigen Agrarländern die Positionen für mindestens die Wahlzeit offen, erläuterte Martin Häusling. In diesem Sommer will das Europäische Parlament eine eigene Vorlage formuliert haben, zu der rund 2.000 Änderungsanträge erwartet werden. Trotzdem soll bis Ende 2012 das EU-Parlament mit seinem Vorschlag durch sein, der dann aber noch 2013 an den fehlenden Finanzrahmen angepasst werden muss. Die zweite Jahreshälfte bräuchten die Mitgliedsländer für die pünktliche Umsetzung zum 01. Januar 2014.
Nach Reimers ist dieser Zeitplan nicht zu halten. In Brüssel werde darüber diskutiert, die GAP-Reform erst ein Jahr später umzusetzen.

Rolle des Mitgliedslandes

Schon heute teilen die Mitgliedsländer der zweiten Säule zur Entwicklung des ländlichen Raumes unterschiedliche Bedeutung zu. Das wird sich auch künftig nicht ändern. Sowohl Liroz-Hoffmann als auch Friedrich Ostendorff haben die Umschichtungsmöglichkeiten aufgezählt, mit denen Mitgliedsländer mehr Geld in die zweite Säule lenken können. „Egal wie die Reform ausfällt“, so Ostendorff, „Hauptsache wir haben genug in der zweiten Säule.“

Lesestoff:

EU-Seite mit den GAP-Vorschlägen: http://ec.europa.eu/agriculture/cap-post-2013/legal-proposals/index_de.htm

Reaktionen zu den Legislativvorschlägen

Bürokratie-Bericht von Edmund Stoiber: http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/admin_burden/best_practice_report/best_practice_report_en.htm

Extensive Weiden zwischen Markt und ländlicher Entwicklung

Im Agrarausschuss wird bereits heftig an der Reform der GAP gearbeitet: Thema Greening und Thema Direktzahlungen

Landwirtschaft und Handwerk

Roland Krieg; Grafiken. DBV und EU

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