Die Politik überholt die Verbraucher

Landwirtschaft

„Kabinettsbeschluss ein Riesenschritt“

Pünktlich zum Start des 3. Forum Bioenergie in Berlin beschloss das Kabinett am 05.12. ein umfangreiches Maßnahmepaket zum Klimaschutz. 14 Gesetze und Verordnungen sowie sieben weitere Maßnahmen die erst im Mai 2008 formal beschlossen werden setzen das Meseberger Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung um.
Windräder in OstfrieslandDas Paket ist so umfangreich, dass Bewertungen der Branche einen Tag später auf dem Fachprogramm der Berliner Solarpraxis-Tagung erst noch in der Detailsammlung sind.
Verbraucher werden sich durch die Wucht der Texte, die auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums unter www.bmu.de einsehbar sind, erschlagen fühlen, dachten sie, dass ein Windrad hier und ein Maisfeld dort den Austausch fossiler Energiequellen nahezu kostenneutral oder sogar preiswerter bewerkstelligen kann.

Deutschland könne bei der Klimakonferenz in Bali mit dem Paket „glaubwürdig für konsequente Maßnahmen in den Industrie- und Entwicklungsländern werben“, so Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. „Das Handwerk wird massiv von dem Ausbau der Förderprogramme für die Gebäudesanierung profitieren. Durch die Novelle des Erneuerbaren Energien-Gesetzes (EEG) und durch das neue Wärmegesetz werden wir der Branche, die schon heute über 235.000 Menschen Arbeit gibt, zusätzlichen Schwung geben.“

Klimamaßnahmen werden zum Dauerthema
Auf dem Energieforum nannte Clemens Neumann aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium noch einmal die Kerngedanken des Klimapaketes: Energieeinsparung, Energieeffizienz und Ersatz der Energie durch erneuerbare Formen. Mit der Novellierung des EEG versuche man das Konkurrenzverhältnis zwischen Nahrungsmittel- und Energiepflanzenanbau zu entspannen. Die Betriebe erhalten den Bonus für nachwachsende Rohstoffe demnächst auch, wenn sie Reststoffe in ihren Biogasanlagen verwerten. Um die Bioenergie vom Acker komme man nicht herum. Aktuell habe sie einen Anteil an der Primärenergie in Höhe von sechs Prozent. Davon wachsen 70 Prozent auf Äckern anderer Länder. Die gute fachliche Praxis in Deutschland müsse weltweit eingehalten werden, um der Nachhaltigkeit einen Sinn zu geben. Kriterien für Herstellung und Verarbeitung sind allerdings noch bis Mai 2008 mit Brüssel abzustimmen.

„Durch die Anhebung der Vergütungssätze für bestehende Anlagen würden zudem die gestiegenen Biomassekosten ausgeglichen und diese Anlagen vor dem Ruin gerettet, begrüßte der Deutsche Bauernverband (DBV) das Klimapaket. Auch würden sinnvolle Anreize für die vermehrte Nutzung von betriebseigenen Stoffen in Biogasanlagen, speziell Gülle, geschaffen sowie zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Daneben werde mit dem vorgelegte Gaseinspeisegesetz ein wichtiger Schritt zum Anschluss von Biogasanlagen an das Erdgasnetz getan. Kritik vom DBV gibt es an der Bevorzugung der Solarthermie gegenüber der Nutzung von Biomasse bei der Wärmeerzeugung in Haushalten.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird zusammen mit dem Bundesumweltministerium einmal im Jahr einen Bericht vorlegen, der die Auswirkungen und Fortschritte der vorgegebenen Maßnahmen untersuchen wird und die Gesetze danach neu ausrichtet.
Heiko Schwarzburger, Chefredakteur von „neue wärme“ begrüßt mit diesem Bericht die jährliche Klimadebatte. Kurz vor Beginn der Klimakonferenz hat Australien als vorletztes Land das Kyoto-Protokoll unterzeichnet, was er ebenfalls als positives Signal für die Branche wertet. Gut sei auch die Prognose, dass sich der Ölpreis im nächsten Jahr auf 116 Dollar je Barrel einpendeln werde.

Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer findet, dass die Energieausbeute optimiert werden kann, „wenn dezentral erzeugtes Biogas effizient zur Erzeugung von Strom und Wärme oder als Kraftstoff eingesetzt wird.“ Die Stromerzeugung aus Biomasse wird durch die Aktivierung bisher nicht ausreichend aktivierter Potenziale gefördert. Wird Wirtschaftsdünger zu mehr als 30 Prozent bei der Biogaserzeugung eingesetzt, erhält man künftig eine höhere Einspeisevergütung. „Damit erhalten wir eine doppelte Dividende aus vermiedenen Klimaemissionen einerseits und der Einsparung fossiler Energieträger andererseits“, so Seehofer.

Die Welt ist nicht vorbereitet
Hans-Josef Fell, Bundestagsabgeordneter Bündnis90/Die Grünen hingegen steht der Ölpreiserhöhung skeptisch gegenüber. Ein hoher Preis erhöhe zwar den Investitionsdruck in andere Energiebereiche, treffe aber die Welt in den meisten Ländern vollkommen unvorbereitet. In den letzten zehn Jahren seien viele Chancen vertan worden, eine Energiewende vorzubereiten und Preise jenseits von 100 Dollar hätten massive Auswirkungen auf manche Volkswirtschaften und bergen die Gefahr sozialer Spannungen.

Agrarminister Dr. Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern erachtet es als richtig, dass die Bundesregierung Einfluss nehmen will „wo in der Welt und zu welchen Bedingungen die dafür nötigen nachwachsenden Rohstoffe erzeugt werden“.

In Deutschland habe sich die Einführungsgeschwindigkeit erneuerbarer Energien verändert. Im Bereich des Biogas sei der Markt um 40 Prozent eingebrochen, bei Windkraft um 20 und bei der Altbausanierung sogar um 60 Prozent. Hier sei das beschlossene Marktanreizprogramm anstelle ordnungspolitischer Vorgaben kontraproduktiv.

Sind die alten Biogasanlagen vergessen worden?
Ein Detail wurde gleich am Morgen heftig diskutiert. Das neue EEG definiert eine Biogasanlage neu. Dr. Nicole Pippke, Rechtsanwältin aus Berlin, verglich: Bislang verarbeitete eine Biogasanlage erneuerbare Energie oder Grubengas alleine oder in einer Kopplung von Anlagen, die betriebstechnisch zwingend zusammengehören müssen. Das novellierte EEG sieht jedoch jede Anlage als förderwürdig, die der Stromerzeugung dient. Sie müssten nur auf dem gleichen Grundstück in räumlichen Zusammenhang stehen, wobei die Anzahl der Eigentümer egal sei. Hier drohe eine Veränderung der Vergütung, wobei die bislang definierten Anlagen wirtschaftlich schlechter gestellt würden. Diese Auffassung teilten auch mehrere Kapitalgeber, die mit Inkrafttreten des Gesetzes alle alten Betreiber vor dem Aus sehen. Hans-Josef Fell allerdings sieht diese Furcht noch nicht, denn nach dem Grundgesetz dürfe ein alter Bestand durch eine Gesetzesänderung nicht rückwirkend schlechter gestellt werden.
Die Vielfalt des Kabinettsbeschlusses wird Politik und Wirtschaft in den nächsten Wochen noch weitere Einschätzungen und Analysen hervorbringen lassen.

Bedarf für eine Nachbearbeitung sieht Sachsens Agrarminister Roland Möller. Er sprach sich gegen die Erhöhung des Anteils von Biodiesel und Bioethanol bei Kraftstoffen aus. Eine Verdoppelung der Quote für Biokraftstoffe sei der falsche Weg, Nur wenn Biosprit aus Abfällen entstünde, würde diese der Umwelt nützen. „Ich hätte mir lieber ein klareres „Ja“ für Biogas gewünscht. Biogas bringt einen vielfach höheren Energieertrag und ist dazu universell einsetzbar“, betonte Wöller.

Marktbereinigung
Auch ohne das Klimapaket ist der Markt in Bewegung, denn die Forschungsergebnisse von Prof. Dr. Wilfried Zörner sind erschreckend. Für Maschinenringe in Bayern hat er am Kompetenzzentrum Solartechnik der Fachhochschule Ingolstadt 34 Biogasanlagen in Bayern untersucht.
Die meisten Anlagen schöpfen ihr Potenzial nur zur Hälfte aus. 59 Prozent der Betreiber kennen nicht den Methangehalt, also den Wert ihres Biogases, fahren die Anlage ohne Fachausbildung und ohne Notfallplan. Sie kennen zwar die Wartungsintervalle und Zündölwechsel des Blockheizkraftwerkes, führen aber kein Buch über die verwendeten Betriebsstoffe. Dreiviertel der Anlagen haben technische Probleme mit dem Rührwerk oder der Heizung, 21 Prozent großen Ärgern mit der Nachbarschaft, wegen Geruchsbelästigung oder Geräusche.
Noch wirtschaftlich risikoreicher ist die Substratbeschaffung. Ein Fünftel der Bauern hat seine Anlagen komplett fremd finanziert, über die Hälfte der Betreiber die Anlage zu mehr als 50 Prozent mit fremden Gelder hingestellt. Die Hälfte der Bauern kauft auf dem freien Markt das Substart auf, oder muss Pacht für die bewirtschafteten Flächen bezahlen. Über die Hälfte der Bauern legt mehr als acht Kilometer beim Substrattransport zurück.
Die Wirtschaftsergebnisse sind erschreckend. Bei einem Kostenanstieg des Substrats von jährlich zwei Prozent ist der Gewinn der Anlage nach 10 Jahren auf Null zurückgefahren. Steigen die Kosten um fünf Prozent, erreicht die Anlage die Nulllinie bereits nach fünf Jahren.

Das Agrarbündnis hatte als Reaktion auf das Klimapaket der Bundesregierung scho einmal einen Auszug aus dem Kritischen Agrarbericht 2008 versendet. In dem Kapitel „Bioenergie vom Acker – Chancen und Risiken“ heißt es: Der Übergang zum Zeitalter Erneuerbarer Energien ist daher keine allein technisch zu lösende Aufgabe, kein bloßer Ersatz fossiler durch nachwachsende Rohstoffe, sondern zuallererst eine gesellschaftliche Aufgabe. Energiepflanzen können nur dann zur Lösung der Energiefrage beitragen, wenn der globale Anbau und die Nutzung dem Prinzip der Nachhaltigkeit entsprechen. Um langfristig positive Effekte zu erwirken, muss eine Konsumänderung beim Energieverbrauch einhergehen, vor allem in den Industrienationen.“

Das Fazit des Professors ist eindeutig: Es fehlt an fachlicher und wirtschaftlicher Kompetenz. Viele Anlagen, die ohne eine Wirtschaftlichkeitsanalyse auf Verdacht hingestellt wurden, bedrohen die Existenz des landwirtschaftlichen Betriebs. Weil soviel Fremdkapital in den Anlagen steckt, fokussieren die Bauern ihre betriebliche Tätigkeiten auf die Energieproduktion – zu Lasten der Nahrungsproduktion.
DornumDie Anlagen hatten jedoch nur eine marginale Wärmenutzung von fünf bis zehn Prozent. Wird das gesamte Potenzial ausgenutzt, dann sind selbst solche Anlagen noch zu retten.
Aber, auch das wurde klar: Für die Wärmenutzung reichen ein benachbartes Schwimmbad oder ein paar Wohnhäuser nicht aus. Wenn im Sommer der Wärmebedarf deutlich zurückgeht, sind die Anlagen wieder ohne Nutzen.
Die Lösung ist nach Prof. Zörner eine Wärmenutzung vor Ort. So könnte beispielsweise Klärschlamm getrocknet werden, oder erzeugtes Biogas über einfache Rohrleitungen von verschiedenen Anlagen zu einer zentralen Wärmenutzung zusammen geführt werden.
Dr. Markus Helm von der Gutachtergemeinschaft Biogas GmbH zeigte anhand von Wirtschaftlichkeitsrechnungen, dass auch bei den Biogasanlagen eine größere Dimensionierung ökonomische Vorteile mit sich bringt.
Das richtige Maß zwischen kleinen und vielen dezentralen Anlagen und Megaanlagen wie im mecklenburgischen Penkun mit 40 standardisierten 500 Kilowattanlagen hat sich noch nicht eingefunden. Penkun wird professionell und effizient betrieben, führt aber zu unangenehmen Nebeneffekten in der Umgebung. Ein Mitarbeiter der Bodenverwertungsgesellschaft teilte mit, dass ein Hektar Land mittlerweile schon auf 4.500 berechnet - und mit 9.000 Euro gehandelt wird.

Am Montag folgt Teil II

Roland Krieg; Fotos: roRo: Ostfriesland: Windräder und Bauernprotest

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