Die Schwierigkeit der regionalen Landwirtschaft
Landwirtschaft
Berlin-Brandenburger Landwirtschaft
Mit zusammen sechs Millionen Einwohnern haben die beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg einen großen Absatzmarkt für landwirtschaftliche Produkte. Zudem ist die Spannung zwischen Stadt und Land größer als in anderen Metropolregionen. Seitens der Hauptstadt hat sich ein landwirtschaftsfremdes Milieu herausgebildet, im Schutz der städtischen Grenzen ein Idyll ländlichen Lebens aufbaut, das punktuell, wie beispielsweise in der überregional bekannten Markthalle Neun in Kreuzberg einen bedeutenden Kondensationspunkt hat. Seitens Brandenburgs hat die Wende vor 30 Jahren tiefe Spuren in der Agrar- und Landwirtschaft hinterlassen. Tierbestände wurden abgebaut, Verarbeitungsstrukturen haben nicht überlebt und Berlin hat sich weiterhin über die etablierten Lieferstrukturen Westberlins ernährt. Die sandigen Böden Brandenburgs sind keine Grundlage für ertragsfähige Räume, wie sie rund um München, Hamburg oder Frankfurt/M. für die Nahversorgung vorhanden sind. Die regionale landwirtschaftliche Versorgung der Metropole Berlins ist ein Dauerthema, das aktuell das grüne Landwirtschaftsministerium zu bewältigen hat.
An Akteuren mangelt es nicht. Der Ernährungsrat in Berlin, die Fördergemeinschaft Ökolandbau (FÖL) in Berlin-Brandenburg, auch der Landesbauernverband sind Treiber einer Entwicklung, die nicht so recht in Schwung kommt. Das rot-rot-grüne Bündnis setzt auf eine Weiterentwicklung der nachhaltigen Ernährungsstrategie und will einen „Ernährungs-Campus“ etablieren, der auf ökologisch und regional erzeugte Lebensmittel setzt. Für die Akteure der Regionalwert AG war das die Gelegenheit für eine Diskussion am Donnerstagabend, um die Agrarwende selbstbestimmt voranzutreiben [1].
Die Ausgangssituation
Autorin Tanja Busse hat die Rahmenbedingungen zusammengestellt. Das Artensterben hat sich vom Expertenwissen über verschwundene Arten zur Erkenntnis der systemischen Bedrohung ganzer Ökosysteme weiterentwickelt. Das Verschwinden einzelner Falter von der Artenliste hat viele Konsumenten kalt gelassen. Doch die Ausbreitung von sauerstofffreien Todeszonen in der Ostsee von Dänemark bis Russland hat mittlerweile eine andere Dimension angenommen, bei der mehr Menschen um die Nachhaltigkeit sorgen. Zudem hat sich mit den Themen Übergewicht und Adipositas eine Erkenntnis breit gemacht, um die mittlerweile auch die Politik nicht mehr herumkommt [2]. „Wir haben ein Ernährungssystem, das Menschen die Möglichkeit gibt, sich krank zu essen“, sagt Busse. Vergebliche Aufforderungen, mehr Sport zu machen und sich gesund zu ernähren setzten in ihrer Erfolglosigkeit dem Freiwilligkeitsprinzip ein Ende.
Für die Landwirtschaft bedeutet die „Agrarwende“ eine Umkehr zu regionaler Produktion von gesunden Lebensmitteln. Es geht aber viel mehr um eine Transformation, wie Staatssekretärin Silvia Bender aus dem Brandenburger Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) sagt [3].
Die Realität
Allerdings treffen die Wünsche für die Transformation auf das Höfesterben im Strukturwandel. „Wir wollen eine Transformation, der eine Schuldenlast trägt. Der bei vollem Betrieb eine Kehrtwende macht“, räumt Busse ein. Bender stellt fest: „Es gab noch nie eine so große Bereitschaft für die Transformation.“ Sowohl die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) macht Schritte nach vorne und die beiden Koalitionsampeln in Berlin wollen bei Agrar- und Umweltschutz in der Landwirtschaft mehr als nur Entschädigungen.
Ende Oktober hat Potsdam seinen Ökoaktionsplan vorgestellt, der nach Minister Axel Vogel klar stellt: „Ziel ist es, die Region Brandenburg/Berlin nachhaltig und ausreichend mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln zu versorgen und damit den Betrieben auch neue Einkommensmöglichkeiten in regionalen Wertschöpfungsketten zu erschließen.“
Doch während in den Diskussionen von regionaler Landwirtschaft die Rede ist, heißt es in den Papieren oft genug, dass nur die Bio-Landwirtschaft gefördert werden soll. Auch Bender legt den Fokus auf die Verbändelandwirtschaft: „Wir wollen mehr Umstellungsbetriebe gewinnen. Die Nachfrage ist da. Und nicht nur in Berlin.“
Ob der Ausschluss von konventionellen Betrieben der Richtige Weg ist, bleibt offen. Es mangelt an Verarbeitungsstätten, erklärt Bender. Ob die Mühle, die Molkerei oder die Kartoffelschälmaschine für den Ökolandbau oder für alle Betriebe arbeiten soll bleibt in der Abwesenheit egal. Bei Gründung und Anschaffung aber nicht. Das Land selbst kann keine Verarbeitungsstrategien aufbauen. Potsdam kann aber die Rahmenbedingungen formulieren. Das Land will so genannte Wertschöpfungskettenentwickler ausbilden, die Erzeuger, Kunden, Vermarkter und Industrie zusammenbringen. Am Ende wird das ein vertiefendes Regionalmanagement sein, das in den vergangenen Jahrzehnten auch nur kleine Erfolge hat feiern können. Wie schwierig das ist hatte Volker Krause von der Bohlsener Mühle auf der BioFach 2020 beschrieben [4]. Silvia Bender kennt den Schlüssel für den Erfolg: „Wir brauchen vor Ort mehr Menschen, die sich für die Transformation entscheiden. Das sind langwierige Prozesse.“
Der Markt
Und aktuell haben es Ökolandbau und Umweltmaßnahmen schwer. Die hohen Preise für Agrarrohstoffe von knapp 300 Euro je Tonne Weizen und rund 650 Euro je Tonne Raps werden die Betriebe nutzen, ihr Hofsterben zu verhindern. Die Prognosen sehen eine längere Phase der hohen Preise voraus, gegen die Transformatoren werden kämpfen müssen. Auf Anfrage wollte die Regionalwert AG dazu keine Stellungnahme abgeben.
Kürbisse aus dem Oderbruch
Ein Beispiel für die Arbeit der Regionalwert AG ist der Betrieb von Hanna und Johannes Erz im Oderbruch. 2013 gegründet haben sie den Betrieb 2015 in einen Haupterwerbsbetrieb geführt, der auf elf Hektar Kartoffeln, Linsen und Hokkaido-Kürbisse anbaut. Peggy Giertz vermehrt auf rund 2.000 Quadratmeter samenfestes Saatgut und entwickelt neue Sorten für Gemüse, Blumen und Kräuter an. Der 2018 gegründete Demeter-Betrieb bekam im Sommer 2020 eine Investitionssumme von 12.000 Euro für die Existenzgründung. Die eingetragene Genossenschaft „Havelmi***“ aus dem Jahr 2019 erzeugt eine rein pflanzliche Milchalternative aus Zutaten in Bioland-Qualität. Im Mai 2020 bekam die Genossenschaft mit fünf Mitarbeitern 1.000 Euro als Umzugshilfe in eine neue Produktionshalle in Brandenburg an der Havel.
Lesestoff:
https://www.regionalwert-berlin.de
[1] Auf der Suche nach Beteiligungskapital: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/buergerkapital-gegen-strukturdefizite.html
Weitere Aktienausgabe im Oktober 2021: https://herd-und-hof.de/handel-/agrarwende-selbst-finanzieren.html
[2] Herbsttagung der DDG und DAG 2021: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/die-schleichende-pandemie.html
[3] Die Rheinländerin (Bündnis 90/Die Grünen) hat Agrarwissenschaften studiert und unter anderem bei der FÖL und der Biobodengenossenschaft gearbeitet. Derzeit gilt sie als Favoritin für einen der beiden Staatssekretärposten bei Cem Özdemir im Berliner Kabinett.
[4] Umstellung braucht gute Planung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/umstellung-braucht-gute-planung.html
Roland Krieg
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