Die stille Revolution

Landwirtschaft

Multifunktionale Landwirtschaft im 21. Jhd

Mit 256 Studenten und 52 Lehrenden begann die heutige Humboldt Universität zu Berlin (HUB) die akademische Ausbildung in den Fächern Jura, Medizin, Philosophie und Theologie. Die Naturwissenschaften gehörten zur Philosophischen Fakultät. Viele weitere Fachrichtungen kamen im Zeitablauf hinzu. Zum Beispiel die 1881 gegründete Landwirtschaftliche Hochschule, die 1934 als Landwirtschaftliche Fakultät angegliedert wurde und mit Mitscherlich hervorragende Agrarwissenschaftler hervorbrachte.
Gestern wurde im Audimax das Jubiläum 125 Jahre Landwirtschaftliche Hochschule in Berlin mit einem Festakt begangen, dem die wissenschaftliche Tagung „Multifunktionale Landwirtschaft im 21. Jahrhundert“ vorausging. Mit vier Fachsymposien belegte die HUB die zentrale Rolle der Landwirtschaft – und das viel mehr vor sich geht, als manche ahnen.

Vielfalt im Anbau und im Nutzen
Marktreformen wie die Zuckermarktordnung scheinen mancher Kulturpflanze ein wirtschaftliches Ende zu bereiten. Neue Nutzungsformen erhalten allerdings die Kultur und bringen neue Anbauideen hervor.
Nach Dr. Stefan Mittler von der Syngenta Seeds GmbH zeigte, dass der Zuckerrübe trotz Anbaurückgang eine Perspektive bleibt. Im ersten Jahr nach der Reform ist der Anbau in Deutschland von 420.000 auf 360.000 ha zurückgegangen. In Irland und Slowenien wurde der Anbau komplett eingestellt. Die Rübe muss aber nicht nur in die Zuckerproduktion gehen, sondern kann auch für die Erzeugung von Ethanol herangezogen werden. Solange Ethanol aus dem Dicksaft der Rübe erzeugt wird, würde der Markt entscheiden, in welche Nutzung die Rübe geht. Vergleichbar zu Brasilien. Dafür brauchen sie einen hohen Zuckergehalt, der zur Zeit bei 17,5 Prozent liegt und jedes Jahr um 1,4 Prozent steigt. Deutschland liegt mit einem Zuckerertrag von 8 bis 10 Tonnen je Hektar knapp unter dem Spitzenerzeuger Frankreich.
Zuckergehalt und Rübenertrag sind Zuchtziele aus den 1940er Jahren. Saftreinheit und Saatgutqualität kamen in den 80er und 90er Jahren hinzu. Mittlerweile stehen andere Ziele im Vordergrund: Resistenzen gegen Nematoden, Herbizide und Trockenheit. Dabei muss die Rübe nicht mehr nur im März gesät und ab Oktober geerntet werden. Im Winterrüben-Projekt mit einer Ertragssteigerung von 30 Prozent werden die Rüben im Herbst ausgesät. Dabei müssen die Züchter aber die Vernalisation und das Schossen unter Kontrolle bringen. Die Rübe ist eine zweijährige Pflanze, die nur im ersten Jahr den Rübenkörper hervorbringt. Nach der Überwinterung beginnt bei der Pflanze, die zu den Gänsefußgewächsen zählt, die Sprossbildung, wobei der Stängel bis zu zwei Meter groß werden kann. Genau das ist auch das Problem bei der so genannten Vernalisation, da die Rübe zu den Langtagpflanzen gehört. Sinkt die Temperatur bei länger werdenden Tagen überspringt die Pflanze quasi das erste Jahr mit der Rübenbildung und beginnt sofort mit der Bildung des Sprosses. Schossresistenz ist dabei eine wichtiges Zuchtziel, damit die Rübe nach der Überwinterung doch noch den Rübenkörper ausbildet. Während heute die Rübenkampagne, wie die Rübenernte heißt, 13 bis 15 Wochen dauert, so kann die Winterrübe über einen Zeitraum bis zu 25 Wochen Ertrag bringen.
Trotz Marktreformen muss nach Dr. Mittler nicht auf einen Anbau verzichtet werden. Steigerten die Chinesen ihren Zuckerverbrauch um 100 Prozent auf 17 kg im Jahr, dann entstünde ein Mehrbedarf an Weißzucker von 10 Millionen Tonnen oder 1,3 Mio. ha Rübenanbaufläche. Der Verzehr an Zucker in Deutschland liegt nach Angaben der Universität Bonn bei 130 Gramm pro Tag. In den 47 kg pro Jahr sind auch alle die Mengen erhalten, die „versteckt“ in den Lebensmitteln enthalten sind.

NaWaRo
Nachwachsende Rohstoffe sind das neue Steckenpferd der Landwirtschaft und Politik. Es geht dabei um den Ersatz der fossilen Energieträger. Am günstigsten stellt sich Mais auf, der von einem Hektar Fläche 5 Haushalte mit 2 bis 3 Personen energetisch versorgen kann oder einen Pkw 70.000 km weit bringt. Dipl.-Ing Karen Sensel von der HUB sieht 500.000 ha mögliche Anbaufläche für Energiemais. Hinzu kommen 400.000 ha für Raps und weitere Flächenkapazitäten für Naturfasern und Dämmstoffe.
Noch einen Schritt weiter geht die Biomass to Liquid – Technik (BtL), bei der ein Synthesegas aus Biomasse gewonnen wird und mit rund 3.000 Liter Dieseläquivalent doppelt so ergiebig ist wie bei normalen Biogasanlagen. Die Vorteile von BtL: Frei von Schwefel, Teer und Aromaten. BtL ist so neuartig, dass der Standort für die erste Anlage noch nicht festgelegt ist. Wolf Winkelmann vom Landvolkkreisverband Uelzen (Niedersächsischer Bauernverband) beschrieb bei dieser Technik die möglichen Auswirkungen der erheblichen Nutzungsvielfalt, die auf die Bauern zurollt: Geplant ist eine Anlage, die eine Million Tonnen Biomasse aufnehmen soll und damit die bisherigen Vorstellungen von kleinen dezentralen Biogasanlagen deutlich übertrifft.
Der Landkreis Uelzen ist für seinen Kartoffelanbau berühmt. Würde nun Getreidestroh für die BtL-Anlage geerntet, dann gäbe es den folgenden Problemkreis: Der Getreideanbau würde sich ausdehnen, aber nicht zwingend zu Lasten der Kartoffel, sondern durch Aktivierung stillgelegter Flächen. Das Einzugsgebiet für die BtL-Anlage würde überregionale Ausmaße annehmen und durch den Strohentzug gehe organische Substanz verloren, welche die Humusbilanz in der recht vieharmen Region verschlechtern würde.
Dabei geht es Winkelmann nicht darum, die BtL-Technik zu verteufeln. Das Beispiel aber zeige, wie umfangreich eine „Biomasse-Logistik“ aufgebaut werden muss und welcher erhebliche Strukturwandel die „Energie vom Acker“ nach sich ziehen wird.
Die Frage, welches Flächenmanagement für die Zukunft erforderlich wäre, um alle Anforderungen der neuen Märkte zu befriedigen, fand keine Antwort. Wolf Winkelmann und Moderator Prof. Ellmer vom Fachbereich Acker- und Pflanzenbau der HUB waren sich darüber einig, dass die „neuen Märkte“ noch zu jung sind, um Auswirkungen aufzuzeichnen.
Ökonomisch wird die erhöhte Nutzungskonkurrenz Auswirkungen auf die Preise haben. Möglicherweise steigen in Zukunft auch wieder die Erzeugerpreise für das bisherige Kerngeschäft der Bauern: für Lebensmittelrohstoffe.

Die Bauern in der Verantwortung
Prof. Dr. Eckart Kramer von der Fachhochschule Eberswalde legte den Fokus auf einen bei vielen Bauern und den meisten Verbrauchern noch nicht ausreichend bekannten Punkt. Das neue Lebensmittel- und Futterrecht gibt den Bauern viel mehr Verantwortung für ihre Produktionsqualität als bisher. Die „Gute Fachliche Praxis“, die beispielsweise regelt, welche Auflagen bei der Ausbringung von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln zu beachten sind wird um die Punkte Dokumentation und Rückverfolgbarkeit erweitert und von den Kreisbehörden kontrolliert.
Die Reinigung von Erntemaschinen muss genauso dokumentiert werden, wie welcher Fahrer mit welchem Fahrzeug, nach welcher Vorfracht das Gut transportiert hat. Im Rahmen der Qualitätskontrolle drückt sich der Aufwand, den der Handel teilweise bereits gegenüber dem Verbraucher führt, nun haftungsrelevant auf die Erzeugerebene durch. Wer nicht dokumentiert verspielt seinen Marktzugang. So bekommen die Bauern einer süddeutschen Handelskette einen Bonus für die geforderten Qualitäten – aber das sei die Ausnahmen, führte Prof. Kramer an.
Betriebe werden durch die Lebensmittelüberwachung nach Betriebskontrollen in verschiedene Risikoklassen eingeteilt. Danach richtet sich die Kontrollhäufigkeit. Für ein mittleres Risiko sieht Brandenburg Kontrollen im Abstand von 1,5 Jahren vor.
„... eigentlich wollte ich nur Getreide anbauen...“ hört Prof. Kramer manche Bauern klagen. Die Zukunft wird spannender.

Im Rahmen des Jubiläumsjahres der HU Berlin steht am 14. Oktober die Jahrestagung der Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer in Möglin an. Dann wird die „200. Wiederkehr der Landwirtschaftlichen Lehranstalt in Möglin“ gefeiert. Informationen gibt es unter: www.albrecht-daniel-thaer.org

Alle Informationen zu Forschung und Studium an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der HU gibt es im Internet unter: www.agrar.hu-berlin.de

Roland Krieg

Zurück