Die Vielfalt der Stärke
Landwirtschaft
Neue Entwicklungen in der Stärketechnologie
Die biochemische Sicht auf die Genesis ist eindeutig. Bald nach der Trennung von Licht und Dunkelheit schuf Gott die Glucose. Mit dieser Analogie betonte Prof. Dr. Dr. e.h. Friedrich Meuser von der TU Berlin auf der Alfred-Kühn-Vorlesung der Berlin-Brandenburgischen Gesellschaft für Getreideforschung die Bedeutung des kleinen Zuckermoleküls. Tiere und viele Mikroorganismen nehmen mit der Nahrung nicht nur Mineralstoffe und Vitamine auf, sondern Energie. Die wird von den Pflanzen im Rahmen der Photosynthese durch Absorption von Licht aufgebaut: Sechs Teile Kohlendioxid und sechs Teile Wasser werden unter Lichteinfluss zu einem Teil Glucose und sechs Teilen Sauerstoff, den die Pflanze wieder abgibt.
Die Glucose ist der Ausgangsstoff für die Herstellung von komplexeren Molekülen wie Stärke und Cellulose. Und das ist die Basis von Dämmstoffen, Kleber, Verpackungen und Zutaten in der Lebensmittelindustrie. Prof. Dr. Rudolf Klingler (Foto) von der Beuth Hochschule für Technik Berlin gab einen Überblick über die neuen Entwicklungen in der Stärketechnologie.
Überschaubare Stärkebranche
Mit 18 Fabriken in Deutschland ist die Stärkebranche nach Prof. Klingler überschaubar. Nur zwei befinden sich in Süddeutschland, zwei produzieren Mais-, sieben Stärke aus Weizen und die anderen Kartoffelstärke. Ein wenig Erbsenstärke ist lokal integriert. Die Firmen produzieren aus 4,3 bis 4,5 Millionen Tonnen Rohstoffen etwa 1,5 Millionen Tonnen Stärke. Die Ausbeute ist deshalb so gering, weil die Kartoffel etwa 70 Prozent Wasser enthält.
Die anfallende Stärke wird zu 51 Prozent verzuckert, der Rest ist natürliche Stärke und modifiziert (23 Prozent). 44 Prozent der Stärke wird für technische Lösungen, wie Pappe oder Leim verwendet, die Lebensmittelindustrie nutzt native und modifizierte Stärke für ihre Produkte und die Getränkeindustrie greift auf die Zuckerproduktion zurück.
Nach Prof. Klingler hat sich der Stärkemarkt in Deutschland nur wenig verändert. In den letzten 15 Jahren ist ein leichtes Plus von 15 Prozent zu verzeichnen. Dabei fällt zwar auf, dass das Interesse an der Maisstärke abgenommen hat, aber auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de resultiere das nicht aus neuen Nutzungsformen des Mais heraus, wie beispielsweise die Biogasnutzung.
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Stärkeindustrie in D |
Stärkeindustrie in EU | ||||
|
1998 |
2001 |
2004 |
1998 |
2001 |
2004 |
Umsatz Mrd. € |
1,0 |
1,1 |
1,2 |
5,2 |
6,5 |
7,0 |
Produktion Mio t |
1,5 |
1,5 |
1,5 |
7,7 |
9,0 |
9,1 |
Rohmaterial Mio t |
4,5 |
4,4 |
4,5 |
19,1 |
21,2 |
20,6 |
Firmen |
8 |
8 |
8 |
28 |
27 |
23 |
Werke |
16 |
15 |
14 |
75 |
67 |
65 |
Beschäftigte |
2.400 |
2.200 |
2.400 |
19.000 |
17.000 |
16.000 |
Kartoffeln |
66 % |
66 % |
66 % |
46 % |
41 % |
36 % |
Mais |
16 % |
14 % |
14 % |
31 % |
31 % |
33 % |
Weizen |
18 % |
20 % |
20 % |
23 % |
28 % |
32 % |
Q: Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe II Hrsg. FNR 20071) |
Technologische Neuerungen
Nach Prof. Klingler ist das Abwasserabgabengesetz der 1980er Jahre einer der wichtigen Treiber für neue Technologien gewesen. Neue Verfahrenstechnik hat den Frischwasserbedarf und die Abwassermenge verringert. Die Firmen bereiten mittlerweile ihr Abwasser schon so auf, als wenn es aus der Kläranlage kommt.
Die Stärkegewinnung erfolgt prinzipiell nach den Schritten der Vorreinigung des Rohstoffes, der Zerkleinerung und der Auswaschung der wasserlöslichen Stärke. Die Stärkemilch wird dann entwässert und getrocknet.
Eine der Neuerungen im komplizierteren Verfahrensprozess sind Multihydrozyklonanlagen. Kleine Zylinder in der Größe einer Zigarette. Bei der ersten Vorstellung des Gerätes hätte niemand daran geglaubt, das bis zu 300 Liter Wasser durch die Geräte fließen und gleichzeitig Fraktionen trennen können, so Prof. Klingler. Der Hydrozyklon weist prinzipiell eine Einlassöffnung auf und am anderen Ende zwei Ausgänge. Einer für die leichtere und einer für die schwerere Fraktion, die in der Kammer durch schnellen Wirbel getrennt werden. So werden beispielsweise Proteine und Feinfasern abgetrennt.
Bei der Herstellung von Stärke aus Weizen wird mittlerweile ein 3-Wege-Dekanter eingesetzt, der die unterschiedlichen Stärkefraktionen auftrennt. Die Dekanterzentrifuge trennt die so genannte A-Stärke vom Weizengluten und der B-Stärke aus der gummiartigen Feuchtkleberfraktion.
Getreidestärke (inkl. Mais) |
Stärke ist nicht gleich Stärke
Die neuen Technologien sind auch erforderlich. Nach Prof. Klingler benötigt jedes Produkt heute seine bestimmte Stärke. Eigenschaften wie Transparenz, Grenzviskosität oder die Gelfestigkeit können modifiziert werden. Voraussetzung ist die Charakterisierung der Molekülstruktur. Insbesondere des verzweigten Amylopektins. Mit Thermoanalysen oder bestimmten Spektroskopen sind die Technologen den Geheimnissen der Stärke auf der Spur. Enzyme wandeln das verzweigte Amylopektin über den Zwischenschritt Dextrin in lineare Amylose um oder bauen amyloglucosidische Zucker auf.
Neue Produkte entstehen. Beispielsweise Amyloprodukte die wie Gelatine wirken, Platten eine bessere Dämmung verschaffen oder resistente Stärke, die im Darm nicht mehr abgebaut wird: Als sättigender Ballaststoff im Rahmen einer gesünderen Ernährung.
Dextrine sind für Emulsionen als fettglänzendes Gel in der Kosmetik denkbar – aber braten und kochen kann man mit dem Fettersatz nicht.
Eigenschaften wie der Amylosegehalt, die Gelbildung oder die Molekülgröße können auch züchterisch bearbeitet werden.
Dextrine sind auch schon zu Ringen zusammengebaut worden. Als Kleiderfutter genutzt, nimmt der Ring Aromen auf, die später einfach ausgewaschen werden können. Bis dahin hält die Kleidung den Geruch von anderen Nasen fern.
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Native Stärke |
Modifizierte Stärke |
Papier |
51 % |
51 % |
Pappe und Klebstoff |
12 % |
17 % |
Fruchtzubereitung und Milchprodukte |
- |
11 % |
And. Lebensmittel |
12 % |
15 % |
Chemische Industrie |
4 % |
- |
Q: FNR2) |
Alfred Kühn Stiftung
Der Berliner Bäckermeister Alfred Kühn hat mit seiner Stiftung den Grundstein für die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung auf dem gesamten Gebiet der Backwarenherstellung gelegt, die für die praktische Bäckerei von Bedeutung haben. Zusätzlich werden der Allgemeinheit zugängliche wissenschaftliche Veranstaltungen verwirklicht.
Lesestoff:
www.getreideforschung.de
1) Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe Teil II, Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR), 2007
2) Stoffliche Verwertung von Kohlehydraten in der Bundesrepublik, Studie der ECO SYS für die FNR, Dezember 2009
Roland Krieg, Fotos: Ralf Flucke (Folie Prof. Klingler)