Die Welt sucht ihre Ordnung

Landwirtschaft

Die Grenzen der Entwicklungsarbeit

Simbabwe war lange die Kornkammer Afrikas. Der autoritäre Präsident Robert Mugabe hat jedoch die kleinbäuerliche Landwirtschaft vernachlässigt. Aus Mangel an Geld und Erfahrung haben viele Familien auf Monokulturen gesetzt, sind anfällig für Preisschwankungen und Dürren geworden und leiden unter fehlenden Lagermöglichkeiten. Die Ernte muss gegen Ratten und Mäusen verteidigt werden.

Seit 2008 engagiert sich die Welthungerhilfe in dem Land und hat in der Region Gokwe erreicht, dass Baumwolle wieder durch Nahrungsmittel wie Süßkartoffeln, Chili, Erdnüsse, Tomaten, Hirse und Mais ersetzt wurde. Das dient nicht nur der eigenen Ernährungssicherung, sondern auch der Einkommenserzielung, weil die Bauern Ware an lokale Supermärkte und auch an internationale Handelsketten liefern. In Gesundheitsclubs lernen die Menschen, sich gesund zu ernähren. Die Welthungerhilfe hat im letzten Jahr dennoch Notfallkredite vergeben, weil die Region unter einer großen Dürre litt.

Diese klassische Entwicklungshilfe gibt es seit Jahrzehnten und wird es auch noch lange geben. Doch was die Welt derzeit erlebt ist ein drohender Dauerzustand einer zusammengebrochenen Weltordnung, die mit der klassischen Entwicklungshilfe nicht mehr zu lösen ist.

Flucht und Migration

Bärbel Dieckmann und Till Wahnbaeck haben am Donnerstag in Berlin den Jahresbericht 2015 der Hilfsorganisation vorgestellt und mussten trotz aller Fortschritte Grenzen aufzeigen, an die nicht nur diese Organisation stößt.

Weil es keinen Konsens mehr über die Weltordnung gibt, sind in den letzten Jahren Migration und Flucht ausgeufert. Aktuell sind rund 65 Millionen Menschen vor Armut, Naturkatastrophen und Krieg geflohen. Die Zahlen, über die Europa diskutiert, machen dabei lediglich einen kleinen Teil aus. 86 Prozent der Flüchtenden sind noch in ihrem Heimatland oder Nachbarland. Allein die Türkei beherbergt 2,5 Millionen Flüchtlinge.

Hinter dem Begriff „Fluchtursachen bekämpfen“ hat auf politischer Ebene ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die eigentliche Arbeit, die Bekämpfung von Hunger und Armut, führt die Welthungerhilfe seit mehr als 50 Jahren durch. Dazu gehören Aufgaben wie in Simbabwe. Doch aktuell arbeitet Europa mit diesem Begriff mehr der Verhinderung der Flucht durch Mauern und Zäune, an finanziellen Versprechen, die Flüchtenden an ihren Sammelpunkten nicht mehr über das Mittelmeer oder über die „Balkanroute“ zu lassen. Dadurch verbessert jedoch sich kein einziger Fluchtursachengrund in den Heimatländern der Fliehenden. Eine Bankrotterklärung nach jahrzehntelangen Versagens der Entwicklungshilfe.

Flucht oder Migration?

Präsidentin Bärbel Dieckmann will beide Begriffe deutlich voneinander unterscheiden. Migration hat immer zu den Menschen gehört und Kulturen gegenseitig belebt. Die Bilder aus Syrien aber zeigen die Zerstörung des Lebensumfeldes. Das wird keine noch so gute Entwicklungshilfe aufhalten. Dieckmann fordert die Politik auf, mit neuer Sicherheitspolitik den Rahmen herzustellen, der Entwicklungshilfe erst ermöglicht. Die Weltgemeinschaft hat nach Ende des Kalten Krieges versäumt, politische Räume wie Sicherheit, Abrüstungen sowie Daseinsvorsorge für die ehemaligen Blocktreuen und „frozen conflicts“ zu besetzen. Das Vakuum führt zum Ausbruch aller möglichen Konflikte in der Welt. Dieckmann will damit nicht nur die ehemaligen Großmächte, sondern auch die Mitverantwortung der arabischen Welt, vor allem des Irans und Saudi Arabiens, verstanden wissen. Ob die Pariser Klimavereinbarung COP 21 und die UN-Vereinbarung der Sustainable Development Goals das Vakuum ausfüllen können, bleibe fraglich. Die Vereinbarungen sind sehr, sehr wichtig, sagte Dieckmann zu Herd-und-Hof.de: „Die Wahrheit aber ist auch, dass die Umsetzung ein langer Weg ist.“

Die Politik bleibt zuerst in der Verantwortung mit dem Slogan „Wir schaffen es“, für eine konfliktarme Welt zu sorgen.

Wachstum Notfallhilfe

Die Welthungerhilfe kann den Wandel im Zustand der Welt an ihren Zahlen ablesen. Die Notfallhilfe nimmt im Budget bereits das gleiche Volumen ein, wie die Ausgaben für Basisinfrastrukturen und Landwirtschaft, erläuterte Vorstandsvorsitzender Till Wahnbaeck. „Hunger wird komplexer. Die Bekämpfung immer komplizierter.“ Die Welthungerhilfe will die Notfallhilfe in langfristige Projekte umwandeln. So bekommen syrische Flüchtende in der Türkei ein bisschen Land, Saatgut und Werkzeug, damit sie sich selbst ernähren können und zur Entspannung vor Ort auch lokale Märkte beliefern dürfen. Der Atem muss wirklich lang sein. Nach Wahnbaeck bleiben 50 Prozent der Flüchtenden rund zehn Jahre aus ihrer Heimat vertrieben.

Aber es wird nicht leichter. Die „3 K“ werden auch in den nächsten Jahren weder Migration noch Flüchtlinge stoppen können: Kriege, Klima, Krisen. Da heißt es auch, neue Wege zu gehen. Die Europäischen Entwicklungstage im Juni haben mit dem Begriff „Blending“ den Finanzierungsmix aus privater und öffentlicher Hand auf das Parkett gebracht. Die Welthungerhilfe hat vor Ort schon immer mit verschiedenen Akteuren auch privater Natur zusammengearbeitet, ergänzt Wahnbaeck gegenüber Herd-und-Hof.de. Solche Ansätze lassen sich auch bis auf internationale Handelsketten skalieren. „Da experimentieren wir sehr aktiv. Wichtig aber bleibt der Mensch im Mittelpunkt. Es geht nicht darum, der Industrie Gewinne zu generieren.“

Welthungerhilfe in Zahlen

Die 1962 gegründete Organisation ist im letzten Jahr mit 387 Auslandsprojekten in mehr als 40 Ländern aktiv gewesen. Afrika bleibt Arbeitsschwerpunkt. Die Welthungerhilfe hat ihre institutionellen Zuschüsse in Höhe von 160 Millionen Euro mittlerweile auf eine breite Basis gestellt. Gelder kommen aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium o der dem World Food Programm. Die Mittel sind in guten Händen, wie nicht nur das DZI Spendensiegel bescheinigt. 89 Prozent der Gelder landen direkt in der Projektförderung Ausland. Für die Verwaltung werden 2,2 Prozent aufgewandt. Für die Öffentlichkeitsarbeit entfallen 4,3 Prozent.

Lesestoff:

www.welthungerhilfe.de

Roland Krieg; Foto: roRo

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