Die Züchtung von Rind und Schwein

Landwirtschaft

Tierzuchtkongress in Berlin

Die Agrarbranche und die Gesellschaft sprechen bei dem Thema Züchtung mit zwei Zungen und Blicken auf die Realität und die Herausforderungen durch verschiedene Brillen. Zumeist geht es um die Pflanzenzüchtung, bei der die landwirtschaftlich ferne Gesellschaft schon fundamentale Kenntnisse vermissen lässt. Umso deutlicher werden die Unterschiede bei der Züchtung von Nutztieren. Das Thema Öffentlichkeitsarbeit spielte auf dem Berliner Kongress zur Zucht von Rind und Schwein fast ebenso eine große Rolle, wie die wissenschaftlichen Themen, die es an die Landwirte zu bringen gilt.

Leistungsdaten gestern und heute

Im 1900 Jahrhundert wurde das Schwein auf den Betrieben noch auf Fettgehalt gezüchtet. Heute ist vom Verbraucher gewünschtes mageres Fleisch ein Muss in der Züchtung – und seit den 1980er Jahren haben die Züchter das Stressproblem bei den Tieren und die mindere Fleischqualität in den Griff bekommen. Unbeobachtet von den Konsumenten.

Heute wird ein Schwein in Deutschland innerhalb von drei Monaten auf rund 110 Kilogramm gemästet. Um das Jahr 1800 wurde es spätreif nach drei Jahren und 40 Kilogramm geschlachtet, wie Dr. Nora Hammer, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Rind und Schwein zurückblickte.

Vor 25 Jahren haben die Landwirte im Durchschnitt 3,8 Kilogramm Futter für die Erzeugung von einem Kilogramm Schweine aufgewandt, heute kommen sie mit 2,8 Kilogramm Futter aus. Das ist bei 45 Millionen Schweinen eine Ersparnis von 1,8 Millionen Tonnen Futter und damit Reduzierung der Fläche bei einem Ernteertrag von 80 Dezitonnen Weizen pro Hektar von 225.000 Hektar.

Heute spielt auch die Zugleistung von Rindern keine Rolle mehr, die vor der Traktorisierung der landwirtschaftlichen Betriebe ein Muss war. Das alles sind Entwicklungen in der Tierzucht, die mit den Themen Ernährungssicherung, Anzahl der Beschäftigten auf einem Betrieb und das Einkommen der Landwirte volkswirtschaftliche Zuchtziele umgesetzt haben. Die Ansätze von heute wichtiger werdenden Themen, wie Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl waren im Keim schon immer vorhanden. Für die Landwirte hat die Tierzüchtung Produktivität, die Effizienz zwischen Input und Output, Tiergesundheit und Fruchtbarkeit der weiblichen Tiere betriebswirtschaftliche Ziele erfüllt.

Die Tierzucht unterliegt sich verändernden Bedingungen. Heute wird die einseitige Leistungszucht bei geschlechtsgebundenen Merkmalen, wie Milchleistung oder Legeleistung bei Hennen kritisiert [1]. In der Kritik an der Tierhaltung steckt meist die Kritik an der Tierzucht mit drin. Ob allerdings die Tierzucht allein Fragen der Umweltwirkung, des Ressourcenverbrauches und der Nahrungsmittelkonkurrenz durch die Tierhaltung lösen kann, ist fraglich. Sie stellt aber die Basis der Nutztierhaltung überhaupt erst her.

Von der AMK zur ZKL

Nach Tagungen zu Schaf und Ziegen widmeten sich in diesem Jahr die Züchter. Organisiert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) koordinierten neben dem Bundesverband Rind und Schwein (BRS) die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde (DGfZ) und die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) die Tagung.

Inhaltlich abgesteckt von Michael Kramer (DVG): „Es gibt keine einfachen Lösungen.“ Unterstrichen von Georg Geuecke (BRS): „Kritische Aussagen zu Tierhaltung gibt es nahezu täglich in den Medien.“ Und bestimmend von Jörn Bennewitz von der Gesellschaft für Tierzuchtwissenschaften e.V. an der Universität Hohenheim: „Tierzucht ist ein ganz elementarer Baustein für die Tierhaltung.

Der Tierzucht muss auf dem Weg zu einer nachhaltigen Tierhaltung eine noch größere Bedeutung beigemessen werden. „Seit Jahren arbeiten die Zuchtverbände durch andere Schwerpunktsetzung in der Zucht aktiv daran, die Nachteile der bis in die 80er Jahre angewandten reinen Leistungszucht zu Gunsten von Gesundheit und Robustheit auszugleichen.“ So haben die Landwirtschaftsminister der Bundesländer es in ihrem Beschluss in der Agrarministerkonferenz im September 2018 in Bad Sassendorf formuliert. Der Beschluss folgt der Aussage des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“. Marieke Poppe von der Universität Wageningen hat die Weiterentwicklung in ihrem Vortrag eindrücklich aufgezeigt.

Die stetige Erhöhung der Milchleitung hat zu sinkender Fruchtbarkeit, mangelnder Eutergesundheit und reduzierter Lebensdauer geführt. Das Auffinden von Merkmalen, die in der Zucht genutzt werden können, hat zu einem Ausgleich geführt und die Gesundheitsparameter bei anhaltend hoher Milchleistung auf den Status zurückgebracht. „Gesundheit wurde zum stetigen „topic“, sagte die Niederländerin. Für Milchvieh wurde erst diesen April ein neuer Gesamtzuchtwert eingeführt, bei die Bewertung von Gesundheitsmerkmalen und Kälberfitness von 40 auf 49 Prozent erhöht und die Gewichtung der Milchleistung von 45 auf 36 Prozent reduziert wurde.

Stefan Rensing vom Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung e.V. aus Verden prognostiziert, dass im Rahmen der gesellschaftlichen Diskussion, Parameter wie Klimaanpassung und Futtereffizienz künftig wichtiger und rund ein Viertel des Zuchtwertindexes umfassen werden. Und das nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit. Der Vergleich von Zuchtwertmerkmalen in der Milchviehhaltung weltweit von Christa Egger-Danner von ZuchtData Wien zeigt in allen Ländern mit wesentlicher Milchviehzucht vergleichbare Entwicklungen.

Burkhard Schmied aus dem BMEL stellte die tierzüchterischen Aussagen der Zukunftskommission Landwirtschaft vor. Höchstleistungen werden nicht mehr angepeilt. Klimaresilienz und sinkende Emissionen stehen im Vordergrund der Empfehlungen, „die von der neuen Koalition wohl aufgenommen werden.“

Die Suche nach Zuchtzielen

Ob es um die Pflanzen- oder Tierzucht geht: Die fundierten Kenntnisse über Züchtungsarbeit sind in der Öffentlichkeit kaum vorhanden. Qualitative Merkmale, wie die Milchleistung, sind gut vererbbar, leicht zu messen und schnell zu selektieren. Rückwirkend ist das ein Grund, für die enorme Leistungssteigerung von durchschnittlich 2.000 auf 8.000 Kilogramm Milch pro Laktation zwischen 1900 und 2000. Verbraucher wünschen sich gerne „robuste“ Tiere – was allerdings alles andere als ein Zuchtmerkmal ist. Züchter und Tierhalter können „robust“ nicht beschreiben. „Robust“ kann nicht gemessen werden und steht daher für eine Zuchtbewertung nicht zur Verfügung.

Soll beim Rind der Methanausstoß reduziert werden, gibt es eine Fülle an Möglichkeiten, die von der Haltungsform über das Fütterungsmanagement bis zur Zucht reichen. In den Fokus der Wissenschaftler gerät das Mikrobiom. Beim Menschen längst als Gesundheitstreiber erkannt, gewinnt es in der Nutztierhaltung an Bedeutung. Methan wird durch Methanbildner im Verdauungstrakt erzeugt und Vergleiche können, aufzeigen, durch welche Faktoren die Zahl der Methanbildner reduziert werden können.

Dazu brauchen die Züchter Korrelationen, Beziehungen zwischen Parametern, um am Ende auf Rinder zu gewinnen, die im Zusammenspiel mit Haltung und Fütterung weniger Methan produzieren. Welcher Einfluss dabei den größten Effekt hat, ist derzeit noch unklar. Jörn Bennewitz von der Gesellschaft für Tierzuchtwissenschaften (GIT) an der Universität Hohenheim spricht von einer hologenomischen Selektion. Neben dem genetischen Vererbungssatz des Schweines an sich, bildet auch das Mikrobiom aus verschiedensten Mikrobien im Magen und Darm ein eigenes Genom. Der künftige Gesamtzuchtwert werde sich aus der Genetik des Schweines und der Genetik des Mikrobioms zusammen setzen. Auch, wenn die Vererblichkeit (Heritabilität) von verschiedenen Mikroben mitunter lediglich bei 0,2 liegt, wie Sven König von der Justus-Liebig-Universität Gießen aufführte. 0,7 und aufwärts bis 1,0 sind sehr starke Vererbungsgrade.

Ein gutes Tierleben

Bei allem bleibt die Frage offen, was ein gutes Tierleben sei, dass Verbraucher sich wünschen und bei dem es sowohl im ökologischen als auch im konventionellen Landbau Defizite und zahlreiche gute Beispiel gibt. Die Rinderzüchtung ist sicherlich deutlich weiter fortgeschritten, als die Schweinezucht, die in komplexen Hybridprogrammen und kaum noch in bäuerlicher Hand abläuft. Noch weniger zukunftsweisend ist die Geflügelzucht, die weltweit nur von wenigen Firmen betrieben wird [2].

Wie mit Hilfe der Digitalisierung die Einzelpflanzenbetreuung auf dem Acker schon kein Problem mehr ist, befindet sich die Tierhaltung erst auf dem Weg vom Herdenmanagement bis zur Einzeltierbetreuung [3].

Nutztiere werden nicht gleich Morgen im Haltungsparadies ankommen. Auf dem Weg dorthin bleiben nach Kay-Uwe Götz von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) offene Fragen. Eine Analyse der LfL zeigt, dass er Fleischkonsum bis 2040 vor allem im Schweinebereich in Deutschland um mehr als die Hälfte einbricht. Der Konsum von Rind und Geflügel bleibt stabil. Fleisch wird also, so Götz bei durchschnittlich 600 Gramm pro Kopf und Woche zu einem „besonderen Nahrungsmittel“. „Craft Meat“, wie Götz es nennt. Fleisch steht zunehmend durch Ersatzprodukte unter Druck.

Der Wandel über die Tierhaltung in die Tierzucht müsse durch die Vorteile der Tierhaltung in die Gesellschaft getragen werden. Vor allem Wiederkäuer können mit dem Erhalt der Kulturlandschaft, Ziele der Biodiversität erreichen, die den Menschen Freizeit und Erholung bietet. Dazu müssen sie die Kaskadennutzung von für Menschen nicht verwertbarem Grünland verstehen.

Für Götz verändert sich künftig der Speiseplan von Nutztieren und geht von Futtermitteln, die auch von Menschen genutzt werden können weg. Nebenprodukte, tierische Mehle, Lebensmittelabfälle und Speisereste werden künftig wieder stärker in den Vordergrund rücken.

Aus dieser Sichtweise ist der Fleischexport ebenfalls kritisch zu sehen. Fleisch, das in andere Länder exportiert wird, verhindert nach Götz vor Ort die positiven Effekte der Nutztierhaltung, wie geschlossene Nährstoffkreisläufe und Grünlanderhalt.

Was in der Öffentlichkeit schief läuft

Nicht alle Tierhalter pflegen ihre Tiere. Die meisten aber doch. Vor dem Kongress haben öffentlich-rechtliche Medien unabhängig von der Tagung die Aufregungsmaschinerie in Gang gesetzt. „Report Mainz“ hat anhand eines Beispiels in Brandenburg mit verhungerten Kälbern die Systemfrage in der Milchviehhaltung gestellt. Die Hochleistungskühe erzeugen keine männlichen Mastkälber, die den Landwirten mehr kosten als einbringen und vernachlässigt werden.

Das Überangebot von Kälbern hat die Preise auf bis zu zehn Euro absinken lassen. Der Subeit allerdings fordert ein Zurück, einen Stopp, weil den Autoren Kenntnisse für eine Lösung fehlen.

Die Marktlage bei Kälbern ist derzeit in der Tat schwierig, schreibt Jörn Bennewitz [1]. Fleischrassen und Zweinutzungsrinder erzielen deutlich höhere und gewinnbringende Preise. 39 Prozent der Milchkühe in Deutschland stehen schon in der Doppelnutzung von Fleisch und Rind, führte Heiner Kahle von der Rinderzucht Schleswig-Holstein auf der Tagung aus.

Es gibt aber noch mehr Lösungen. Gerade kurzfristig kann der Einsatz des Fleischbullen auf reinen Milchrindern männliche Kälber hervorbringen, die im Vergleich zu Fleckvieh und Schwarzbunten Zweinutzungstieren vergleichbare Erlöse erzielen und den spezialisierten Milchrinderhaltern zusätzliches Einkommen generieren. Spermasortierung für weibliche oder männliche Tiere sind heute gängige Methoden.

Mittelfristig sind nach Bennewitz verlängerte Zwischenkalbe- und Laktationszeiten züchterisch für eine reduzierte Kälberanzahl möglich. Denn jede Kuh im Bestand kann nur durch ein weibliches Tier ersetzt werden. Je länger eine gesunde Kuh Milch gibt, desto weniger Kälber sollte sie zur Welt bringen. Das wird sogar noch drängender, wenn bei gleich hohem Milchkonsum weniger Rindfleisch gegessen wird. An diesen Punkt wird auch die ökologische Milchviehhaltung einmal kommen.

Die Publikumsmedien werden aber nur über das berichten, was sie in Erfahrung bringen wollen.

Lesestoff:

[1] Bennewitz, J. Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Tierzucht in: Züchtungskunde, 93, (3) 190 – 200, ISSN 0044-5401

[2] Ein besonderes Thema ist die ökologische Tierzüchtung, die gegenüber der ökologischen Pflanzenzüchtung ihren eigenen Zielen weit hinterherläuft. Auf der BioFach 2018 haben die Öko-Tierzüchter festgestellt, dass die ökologische Nutztierzüchtung kein Weg zurück, sondern etwas komplett Neues ist, für das die Zuchtbasis im Wesentlichen überhaupt noch erst geschaffen werden muss: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bio-von-anfang-an.html

[3] Auftaktveranstaltung DigiTier: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/digitale-projekte-fuer-das-tierwohl.html

Roland Krieg

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