Die Zukunft des Gartenbausektors

Landwirtschaft

Gartenbau wird unterschätzt

Die Clusterstudie des Thünen-Instituts im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums brachte es für Deutschland an den Tag [1]. Der Gartenbau wird lediglich auf 1,3 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausgeführt, erwirtschaftet aber 14 Prozent der Verkaufserlöse. Im weiteren Sinne müssen auch der Gartenlandschaftsbau und die Friedhofsgärtnerei einberechnet werden sowie die vor- und nachgelagerten Bereich wie Versicherungen und Düngemittelindustrie.

Siegfried Scholz, Generalsekretär des Zentralverbandes Gartenbau (ZVG) nennt die Marktorientierung als Triebfeder des Gartenbaus, was in den letzten zehn Jahren aber zu einem rasanten Strukturwandel geführt hat. Die Zahl der Betriebe mit Zierpflanzen ist um 22 Prozent gesunken.

Gartenbau unterschätzt

Siegfried Scholz war am Dienstag einer von vier Experten, die im EU-Agrarausschuss die Herausforderungen für den Gartenbausektor dargestellt haben. Gerade vor dem demografischen Wandel hat der Gartenbau eine Chance. Die Menschen wollen gesunde Produkte aus einer nachhaltigen Produktion in einer intakten Umwelt. Regionalität ist die Chance für die verbliebenen kleinen Betriebe, ihre Marktnische zu finden. Mit 35 Prozent werden mehr als Drittel der Gartenbauerzeugnisse über den Erzeugerhandel verkauft. In dem Zusammenhang sei die Branche auch offen für neue Ideen wie der Aquaponik [2].

Herausforderungen

Diese Leistungen des Gartenbaus werden unterschätzt. Auch Anthony Snell, stellvertretender Vorsitzender der Sektion Gartenbau beim britischen Bauernverband NFU, weist darauf hin. Die Verbraucher verbinden mit de Landwirtschaft eher die Milchproduktion als die Gärtner. In den West-Midlands werden immerhin 13 Prozent der britischen Kartoffeln und 15 Prozent des Spargels erzeugt. Snell selbst hat einen Betrieb, der jährlich 1.200 Tonnen Erdbeeren und 600 Tonnen Himbeeren vermarktet.
Er muss aber gegen das Wetter kämpfen. Der letzte Sommer war der feuchteste der letzten hundert Jahre und dieses Frühjahr das feuchteste der letzten 50 Jahre. Sonst kämpfen die Gartenbauer eher mit der Trockenheit. In den West-Midlands müssten bis 2020 30 Prozent mehr Wasserspeicher gebaut werden. Aber auch die Vermarktung ist eine Herausforderung. England ist eines der wenigen Länder, in denen die Zahl der Erzeugerorganisationen rückläufig ist. Derzeit gibt es nur noch 31 gemeinsame Erzeugungs- und Vermarktungsstrukturen. Die Hürden für eine Teilnahme sind in England zu hoch, beklagte Snell.

Handelsbenachteiligung

Jorge Brotons, Vorsitzender des spanischen Dachverbandes der Erzeuger und Exporteure von Obst, Gemüse, Blumen und lebenden Pflanzen (FEPEX), lenkt die Aufmerksamkeit auf den Handel. In Spanien sind sogar 50 Prozent der Arbeitnehmer im Agrarsektor mit der Produktion von Obst und Gemüse beschäftigt. Die EU schaffe aber asymmetrische Handelsbeziehungen, weil sie Drittländern immer wieder vergünstigten Marktzugang verschaffe [3]. Umgekehrt sei der Markt für europäische Produkte eher verschlossen. Auch im Bereich Pflanzenschutz müsse die EU Reziprozität herstellen. Andere Länder verschärfen phytosanitäre Maßnahmen, während die EU Drittländern Nachsicht zeige. Doch gerade neue Pflanzenkrankheiten können die heimische Produktion stark gefährden. Die Forschung müsse nach Brotons näher an der Praxis ausgelegt sein. So sollten Nützlinge und der integrierte Pflanzenbau die Rückstände von Obst und Gemüse auf null setzen, um eine Alternative für den Ökolandbau zu haben.

Chance Export

Auch Italien hat der Strukturwandel erfasst. Donato L´Abbate aus dem Vorstand der S.O.P. (Societa Ortofrutticola Polignanese) sieht die kleinen Händler auf dem Rückmarsch. Rund 80 Prozent des Obst und Gemüses werden in Italien mittlerweile in den Supermärkten verkauft. Die Erfassung und Logistik hat sich dem anpassen müssen, worunter auch das Image der Branche leidet. Die jungen Menschen nehmen den Sektor nicht mehr als Ausbildungsplatz wahr. Die Erzeugerorganisationen haben den Wandel wahrgenommen und sich vertikal bis an die Ladentheke organisiert. Sie exportieren mittlerweile auch in den Mittleren und Nahen Osten. Dort sind die neuen Nachfragemärkte und bieten den Gartenbaubetreibern neue Chancen.

Mehr aufklären

Die anschließende kurze Debatte der Parlamentarier brachte noch weitere Baustellen auf den Plan. Zum einen schädige die EU mit nicht wissenschaftlichen Entscheidungen über Pflanzenschutzmittel, wie zuletzt zu den Neonicotinoiden, die Gartenbaubranche selbst, zum anderen muss noch mehr darüber aufgeklärt werden, dass die Rückstandproblematik innerhalb der EU anders ist, als bei Drittstaaten. Scholz: Die Branche habe ein Problembewusstsein beim Einsatz von Chemikalien. Auch wenn das Volumen selbst kaum zurückgegangen ist, sei jedoch die Giftigkeit deutlich verringert worden.
Die spanische Christdemokratin Esther Herranz Garcia will bis zum Herbst einen ersten Entwurf für einen Bericht über Wachstumsstrategien für den europäischen Gartenbau vorlegen.

Lesestoff:

[1] Wirtschaftliche Bedeutung des Gartenbausektors in Deutschland, Thünen-Report 2: www.ti.bund.de -> Thünen Publikationen -> Thünen Report -> Thünen Reports 2012

[2] Bei der Aquaponik werden Süßwasserfische und Gemüsesorten in einem geschlossenen Kreislaufsystem produziert. Herd-und-Hof.de hatte im letzten Jahr eines dieser Systeme in Berlin besucht:

[3] Spanien beklagt sich öfters über die Einfuhr marokkanischer Agrarprodukte und argwöhnt, dass die erlaubten Quoaten auch schon mal übertroffen werden.

Roland Krieg

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