Die Zukunft ist grün

Landwirtschaft

Agrarstudium – Quo vadis?

Kaum ein anderes Berufssegment hat so viele unterschiedliche Perspektiven wie die Agrarwirtschaft. Über das Studium finden Absolventen den fundierten Weg in die Mitte gesellschaftlicher Diskussionen über den Weltagrarbericht oder widmen sich technisch hochspezialisiert dem effektiven Ressourceneinsatz. Der Weg in die Welt steht auch dem Hofnachfolger oder Betriebsleiter offen.
Die seit gestern in Berlin laufende Tagung „Agrarstudium in Deutschland – Wohin geht der Weg?“ beschäftigt sich nicht nur mit den Lehrinhalten, sondern vor allem mit einer Standortbestimmung im Bologna-Prozess: Der Umgestaltung der Lehre zu einem europäischen Hochschulraum mit mobilen Studenten, die in anderen Ländern weiterstudieren, einer strafferen Studienorganisation und der Umwidmung der Abschlüsse in B. Sc. und M. Sc. - der „Gesellenprüfung“ und der „Meisterprüfung“ in einem wissenschaftlichen Studiengang, wie Prof. Dr. Martin Braatz von der Fachhochschule Rendsburg die Abkürzungen übersetzt.

Gutes Image, hoher Bedarf
Das Thema beinhaltet „Brisanz, Aktualität und Diskussion“, sagte Dr. Andreas Quiring von der Andreas-Hermes-Akademie, denn „Agrarier sind nötiger denn je!“. Die landwirtschaftlichen Betriebe, die vor- und nachgelagerten Bereiche, die Administration und die Beratung brauchen sie. Das Agribusiness wird internationaler und die damit verbundenen Herausforderungen größer.
An Nachfrage können die Ausbildungsstätten nicht klagen, denn „das Image der Branche stimmt“, stellt Hans-Benno Wichert, Bildungsbeauftragter des Deutschen Bauernverbandes (DBV) fest. Das Agrargeschäft weise eine „hohe Änderungsdynamik“ auf. Die Betriebe müssen strategische Allianzen eingehen, der Markt globalisiert sich, die Risikoabsicherung auf Unternehmerebene werde immer wichtiger. Das führt zu einem „Wettbewerb um qualifiziertes Personal“. Grundsätzlich ist die Ausbildung in der Branche gut aufgestellt. Von der Berufsschule über unzählige Ausbildungsbetriebe, Berufsakademien, Fachhochschulen und Universitäten könne die Agrarwirtschaft auf eine „bewährte Ausbildungstradition“ zurückgreifen.
Doch seit 10 Jahren läuft der Bologna-Prozess und Studenten klagen über verschultes Lernen, Arbeitslast und Prüfungsstress, sowie zu wenig Zeit, sich um andere Fakultäten zu kümmern, um ihren Blick zu weiten. Peter Seidl, Präsident des Bundesverbandes Landwirtschaftlicher Fachbildung sieht die Aufgabe der Lehrgestaltung darin, die Balance zwischen studentischer Begeisterung für das Fach und der Bewältigung des Arbeitspensums zu finden.

Agrarforschungsallianz
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat am Mittwoch die finanzielle Unterstützung für eine „Agrarforschungsallianz“ zugesagt, die „der Fragmentierung der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung durch eine Bündelung der Kompetenzen“ entgegenwirken will, erklärte Staatssekretär Gert Lindemann. Die Zusammenarbeit soll vorhandene Strukturen und Mittel effizienter nutzen. Die Agrarforschungsallianz geht auf eine Initiative des Falkultätentages für Agrarwissenschaften der Leibniz-Gemeinschaft und des Senats der Bundesforschungsinstitute des BMELV zurück.
Zu den Aufgaben gehört ein grundsätzlicher Informationsaustausch zu anstehenden Forschungsfragen, eine gemeinsame Entwicklung von Forschungsschwerpunkten, Schaffung von Forschungsverbünden, die international wettbewerbsfähig sind, eine gemeinsame Initiierung von Forschungsanträgen und gemeinsame Nutzung der Infrastruktur.
Die Geschäftsstelle soll in Braunschweig eingerichtet werden, das BMELV stellt dafür 500.000 euro für einen Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung. Danach soll der Beitrag schrittweise reduziert werden und sich ab 2014 durch Mitgliedsbeiträge vollständig selbst tragen. Eine Gründungsveranstaltung ist in den nächsten Monaten vorgesehen.

Bologna-Prozess im Agrarbereich
Viel Kritik an einem Prozess bedeuten nicht, dass er gescheitert ist. Aber dass es Handlungsbedarf gibt, zeichnete Markus Ebel-Waldmann, Präsident des VDL-Bundesverbandes – Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt, auf. Der Umsetzungsprozess auf B. Sc. und M. Sc. - Abschlüsse sei verbesserungsbedürftig, doch machbar, da es sich meist um „handwerkliche Probleme“ handelt, die beseitigt werden können.
Das neue zweistufige Bildungssystem hat in Deutschland zu 5.309 B. Sc. und zu 4.201 M. Sc. – Studiengängen geführt. Allein im Agrarbereich gibt es jetzt 223 Studiengänge, von denen 107 Masterabschlüsse bieten. Der Agrar- und Forstbereich hat sich bereits zu 97 Prozent umgestellt, weise aber jetzt eine unüberschaubare Vielfalt auf. Weder Studenten, noch Arbeitgeber fänden „ihre“ richtige Kombination. Nach Ebel-Waldmann sind die Ziele nach 10 Jahren Bologna „noch lange nicht erreicht“ und die Verschulung des Studiums schränke die Freiheit der Lehre ein. Trotz europaweiter Einführung von Bachelor und Master hätten die Studenten „Angst“ im Ausland zu studieren, weil sie nicht sicher sind, dass die Module wirklich gegenseitig anerkannt werden. Am Mittwoch Morgen noch hat das Präsidium des VDL Empfehlungen für Verbesserungen ausgesprochen:
Der Master soll als Regelstudium bei den Universitäten aufgebaut werden und der Bachelor muss zwingend ein Praktikum beinhalten.
Derzeit dürfen nur 20 Prozent der B. Sc. mit der Mindestnote von 2,5 zu dem weiterführenden Masterstudiengang zugelassen werden Der VDL empfiehlt, die Quote auf 80 Prozent zu erhöhen. Dem Dipl.-Ing. soll ein gleichgewichtiger M. Sc. – Ing. gegenüber gestellt werden und die Hochschulen, die ihren Absolventen zu einer Erstanstellung in der Wirtschaft verhelfe, sollen eine „Employment Prämie“ erhalten.

„Soft skills“ fehlen
Christian Bahsitta, Student der Agrarwissenschaften an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg, blickte als Betroffener auf die neuen Studienregeln. Er bestätigte die hohe Arbeitslast mit Lehrveranstaltungen zwischen 08:00 Uhr morgens und 18:00 Uhr abends, wobei manchmal noch ein Chemietutorium diesen bis 19:45 Uhr verlängert. Die Prüfungen können nicht auf andere Semester verschoben werden, so dass die Semesterferien mit zwei Prüfungszeiträumen zu Beginn und am Ende belegt sind. Zwischen den Prüfungen sind oft nur zwei bis drei Tage Zeit zum Lernen, was sehr hohe Anforderungen stellt, wenn nach der Betriebswirtschaftslehre, erst Statistik und dann die Biologie der Photosynthese abgefragt wird.
Gerade bei den Fachhochschulen arbeiten viele Studenten auf den elterlichen Betrieben, so dass sie im Sommer tageweise auch noch zwischen Mähdrescherkabine und Hörsaal wechseln müssen.
Was im Studium generell zu kurz kommt, sind die von Bahsitta als „soft skills“ bezeichneten Inhalte der Personalführung. Die Absolventen gehen nach dem Studium auf große Betriebe, wo sie mehrere Angestellte führen müssen. Personalrechtliche Grundlagen, Arbeits-, aber auch Brandschutz fehlen in der Ausbildung gänzlich, beklagt sich Bahsitta. Eigentlich die gesamte Unternehmerpraxis, wo doch künftig der Bedarf an leitendem Personal immer größer werde.

Ist das Agrarstudium im Bologna-Prozess wirklich durchgefallen? Was sagen die Hochschulen und was die künftigen Arbeitgeber? Das steht morgen im zweiten Teil.

Roland Krieg; Foto: Tagungsflyer

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