Die Zukunft von Obst und Gemüse
Landwirtschaft
AMI Obst- und Gemüse-Forum
Obst
und Gemüse haben noch Luft nach oben. Im Jahr 2009 wurden mit rund 700
Millionen Tonnen Obst und Gemüse 26 Prozent mehr als im Jahr 2000 produziert.
Nach Helwig Schwartau, Bereichsleiter Gartenbau der Agrarmarkt
Informations-Gesellschaft (AMI) setzen viele schwache Volkswirtschaften auf
pflanzliche Produkte und haben dabei auch Obst und Gemüse (O+G) im Portfolio.
O+G gilt als Frischeprodukt schlechthin und hat eines der positivsten Images
der landwirtschaftlichen Produktion. So ist auch in Deutschland die
Gemüseproduktion in den letzten 20 Jahren vor allem bei Blattsalaten und
Zuckermais gestiegen. Die Kategorie Wurzel- und Knollengemüse profitiert von
der starken Nachfrage nach Möhren, ergänzt Dr. Hans-Christoph Behr,
Bereichsleiter Gartenbau und Verbraucherforschung bei der AMI.
Auch
wenn die EHEC-Krise dem Gartenbau eine empfindliche Delle versetzte, muss
dieses Segment langfristig nicht um seine Marktanteile fürchten. Das 2. AMI
Europäische Obst- und Gemüseforum, das Ende letzter Woche in Berlin stattfand,
zeigte aber auch: Der Sektor steht unter Druck.
Rahmenbedingungen
Auch
Obst und Gemüse unterliegen den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Konsumentwicklung.
Nach Dietmar Pech-Lopatta von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK)
drücken zwar die Schuldenkrise und die Inflation auf das Konsumverhalten der
Westeuropäer, doch die der Deutschen sei „überraschend robust“. Die Nachfrage
nach Gütern des täglichen Bedarfs steigt europaweit. Allerdings reagieren die
Verbraucher in Spanien, Griechenland und Portugal mit Kaufzurückhaltung oder so
genannten „Down Trading“: sie greifen vermehrt auf billigere Produkte zurück.
Die Deutschen gehen mit den Preisen mit – sie steigern ihre Ausgaben, und
wollen zunächst auf nichts verzichten.Das
spiegelt sich in der Handelslandschaft wider. In West- und Nordeuropa ist das
Wachstum der Discounter deutlich gebremst. Lediglich in Irland und
England profitieren sie von der gestiegenen Inflation. Großes Plus machen sie
auch in Osteuropa. In Russland legen die landeseigenen Discounter um 16 Prozent
zu, in Polen sogar um 22 Prozent. Dort haben sie vor allem mit dem eigenen
Discount Biedronka fast ein Drittel des Umsatzes bei den Waren des täglichen
Bedarfs erreicht.
Für
den O+G-Bereich sind das nicht unbedingt gute Nachrichten, denn bis auf England
wächst der Frischebereich gegenüber den anderen Warenkörben
unterdurchschnittlich.
Daher
fällt die Prognose von Pech-Lapotta nicht ganz so günstig aus. In Westeuropa
verringert sich die Häufigkeit des Einkaufs. Und es steigt der angebotsbezogene
Einkauf. Wachstumschancen und daher gute Absatzmärkte bilden Russland und die
Ukraine. Beide sind die Wachstumslokomotiven in Osteuropa, was auch den
Frischebereich mit einschließt.
Warenströme
Weltweit
verändern sich für Obst und Gemüse die Warenströme, weil neue Märkte
attraktiver werden und neue Produzenten auftreten. Das wird nach Helwig
Schwartau auch Europa spüren, das jährlich rund 10 Millionen Obst importiert.
Auch künftig noch Importmarkt Nummer eins; aber mit rückläufiger Bedeutung.
So
konzentrieren Mittel- und Südamerika sich weiterhin auf die stagnierenden
Märkte USA, EU und Russland, doch in Südostasien sind viele neue
Bananenproduzenten hinzugekommen. Mit 55 Millionen Tonnen produzieren sie schon
mehr als die Hälfte der Jahresproduktion. Das führt zu einem Preisverfall und
Dumpingpreisen von 0,59 Cent je Kilogramm im Discount. Dieser Preis kann nicht
kostendeckend sein, denn nach Schwartau ist ein Kilogramm Bananen im
Einfuhrhafen Rotterdam ohne Reifung erst ab 0,70 Cent zu haben. Für den
weiteren Transport und die Gewinnspanne im Discount kämen jeweils noch rund
sieben Cent hinzu.
Aber
auch weltweit gilt bereits, dass der kürzeste Transportweg zählt. So wird den
Neuseeländern der Apfeltransport nach Europa für 30 bis 40 Cent je Kilogramm schon
zu teuer. Sie orientieren sich zunehmend an den neuen Absatzmärkten in
Südostasien. Dafür stellen sie sogar das Sortiment um, denn die Asiaten
bevorzugen süßere Sorten wie beispielsweise den Gala.
Für
Exportländer bleibt Europa weiterhin als Absatzmarkt wichtig, so Schwartau,
bekommt aber zunehmend Konkurrenz aus Asien und Nordafrika. Dort gehen bereits
die Topqualitäten hin.
Erzeugerorganisationen
Das
sind Chancen für die Erzeuger, mehr für den heimischen Markt zu produzieren.
Rudy van der Stappen von der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen
Kommission plädiert dabei, die Erzeugerorganisationen (EZO) zu stärken. Das
läuft zwar schon seit Reform der Marktordnung für Obst und Gemüse,
bleibt aber auch für die Gemeinsame Agrarpolitik in der neuen Förderperiode ab
2014 aktuell. Nach van der Stappen werden sie beim „Greening“ der neuen
Agrarpolitik eine wichtige Rolle spielen. 1.600 EZO gibt es in der EU, ungleich
verteilt. Die Benelux-Länder hoch organisiert, in Polen beispielsweise mit elf
Prozent Marktanteil, nur gering.
Die
EZO liefern rund 40 Prozent der O+G-Produktion mit einem Jahresumsatz von 47
Milliarden Euro. Die EU bezuschusst sie mit etwa 800 Millionen Euro jährlich.
Damit
die EZO vor allem gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel in eine gleichwertige
Position kommen, sollen sie stärker gefördert werden. Dafür soll es Ausnahmen
im Wettbewerbsrecht geben können, aber nicht so, dass eine dominante Position
entsteht. So sollen vor allem keine horizontalen Verbünde entstehen, die mit
Preis und Quote in den Markt eingreifen.
Hausaufgabe Innovationen
Organisation
alleine reicht aber nicht. Dr. Behr blickte detaillierte auf einzelne Märkte
und zeigte Probleme auf, die gelöst werden müssen.
Weißkohl
hat bei den Verbrauchern an Beliebtheit verloren. Das liegt vor allem daran,
dass er stückweise verkauft wird und jeweils so rund zwei Kilogramm wiegt.
Diese Portionsgröße ließe den Verbrauchern nur die Wahl zwischen „kaufen“ oder
„liegen lassen“. Vor allem für die wachsende Anzahl an Ein-Personen-Haushalten
ist der Weißkohl zu viel. Es hat zwar Versuche mit kleineren Kohlköpfen
gegeben, doch sind die dann im Anbau und der Vermarktung so teuer, dass der
Preisunterschied zwischen den kleinen und großen Kohlköpfen für eine echte
Konsumentenwahl zu gering ist. Hier fehlt ein neues Produkt.
Doch
nicht nur beim Weißkohl ist Innovation gefragt. Auch der Blattsalat wartet auf
Ideen. Nach Dr. Behr ist der Verbrauch an Blattsalat in Deutschland zweigeteilt.
Im Süden beliebt und vielfältig angeboten, taucht er im Norden deutlich weniger
auf. Sogar so wenig, dass Aldi Nord in gar nicht im Angebot hat. Es bleibt
offen, so Dr. Behr, ob die Kunden ihn nicht kaufen, weil er nicht angeboten
wird, oder ab er nicht präsentiert wird, weil er keinen Absatz findet. Hier
fehlt die Marketing-Idee.
Demgegenüber
erlebt die Tomate eine Renaissance. Verantwortlich ist dabei die enorme
Sortimentserweiterung. Es gibt sie klein als Cherry- und Kirschtomate, groß als
Fleischtomate und mittlerweile haben auch farbige Sorten die Auslagen erobert.
Von einer Sortimentserweiterung profitieren nach Dr. Behr alle Segmente. Vor
allem sind die kleinen Sorten in kleinen Verpackungen untergebracht und
erzielen höhere Preise als die lose Ware.
Doch
Innovationen brauchen Zeit, wie Hans Renia von Nunhems aus den Niederlanden
berichtet. In diesem Sommer hat Nunhems eine neue Galia-Melone auf den Markt
gebracht. Die Züchter haben beobachtet, dass Kunden den Reifegrad von Melonen
nur schwer einschätzen können. Sie reichen und klopfen an der Frucht und lassen
sie im Zweifel liegen. Ihre neue Sorte reift grün heran und wechselt dann
innerhalb von zwei Tagen zu einem leuchtend gelben Farbton. Der Verbraucher
kann jetzt an der Farbe erkennen, ob er die Melone kaufen und essen kann, oder
ob sie noch ein paar Tage bis zum Verzehr reifen muss. Die Züchtung neuer Sorten dauert im Durchschnitt zehn Jahre.
Lesestoff:
Roland Krieg (Text und Fotos)