Dörfer vor und in der Stadt

Landwirtschaft

Dörfer zum Wohnen, Arbeiten und Leben

Bonn hatte den Beinamen „Bundesdorf“ nie gemocht, sich aber auch nie geschämt. Schließlich ist die Siedlungsbezeichnung Bestandteil des „Stadt“gürtels von Grau-Rheindorf im Norden, über Duisdorf, Poppelsdorf bis nach Dottendorf im Süden. Werner Reinhardt von der Naturschutzstation Malchow kann auch die Metropole Berlin in „handliche Stücke“ sezieren: 87 Dörfer, sieben Städte und sechs Gemeinden. Ortsunkundige sind immer wieder überrascht, dass weite Felder immer noch innerhalb des Stadtgebietes Berlin liegen. So wie zwischen den Dörfern Malchow, Wartenberg und Falkenberg im Nordosten Lichtenbergs. Hier trafen sich im Rahmen der 2. Öko-Woche Lichtenberg Vertreter des Landschaftspark Nordost, der Naturschutzstation Malchow und des Dorfzentrums Wartenberg / Lebensmut e.V. mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft, um über „Lebendige Dörfer in der Metropole“ zu referieren.

Lebendige Dörfer
Das dünn besiedelte Flächenland Brandenburg weist noch über 200 Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern aus, wobei viele Ortsteile größerer Gemeinden gar nicht erst in der Statistik auftauchen. So ist die Entwicklung des ländlichen Raums für die Erzeugung von Nahrungsmitteln, die Gewinnung erneuerbarer Energien und den Erholungsanspruch der Städter eng an die „Organisationseinheit Dorf“ gebunden. Denen macht aber der demografische Wandel und der Rückbau der Infrastruktur zu schaffen. Weltweit.
Letztens stand in einer großen Fernsehshow das Dorf bei einem Wettbewerb um die drängende Kirchturmsanierung im Mittelpunkt und das Land Brandenburg legte vor zwei Jahren das Programm „Historische Dorfkerne“ auf. Unglücklicherweise beinhalten solche Projekte immer einen ungewollten selektiven Charakter und lassen die Mehrheit der Dörfer im Dunkeln. Dem Vorzubeugen hat die „Arbeitsgemeinschaft Dorf“ des Vereins zur nachhaltigen Lokal- und Regionalentwicklung im Land Brandenburg e.V. im vergangenen Jahr das Projekt „Lebendige Dörfer in Brandenburg – Bürgerbeteiligung im Alltag“ mittels einer Befragung durchgeführt, um eine „zukunftsgerichtete Stärken-Schwächenanalyse“ zu erhalten. Silke Stöber von der Humboldt-Universität Berlin skizzierte die Ergebnisse: So lange Menschen in einem Dorf leben und mitgestalten bleibt ein Dorf lebendig. Junge Menschen verlassen den Ort nicht aus mangelnder Dorfverbundenheit und das soziale und kulturelle Dorfleben hängt direkt von der Ausprägung der sozialen Beziehungen und gemeinschaftlichen Aktivitäten ab.

„Damit Regionalentwicklung gelingt, müssen allerdings viele Voraussetzungen erfüllt sein. „Manche Regionalinitiativen sind gescheitert, weil sie nicht das nötige Know-how hatten“, weiß Josef Göppel, MdB und Vorsitzender des Deutschen Verbandes für Landespflege DVL. Sein Verband ist seit 20 Jahren in der Regionalvermarktung aktiv. Begeisterung für die schönen Landschaften, überzeugende Produkte, stimmige Marketingkonzepte und Finanzmodelle sowie die richtige Organisationsform müssen zusammenkommen, damit regionale und umweltfreundliche Produkte erfolg haben.“
aus: LEADER forum 1.2007

Offenheit für Zuziehende spielt nach Angaben Stöbers dabei eine wesentliche Rolle. Lebendigkeit ist aber nicht gleichbedeutend mit Zukunftsfähigkeit. Diese wird durch die Stabilität der Daseinsvorsorge gewährleistet, wozu der traditionelle Dorfbäcker beispielsweise viel beitragen kann.
Rund um Berlin gebe es richtige „Themendörfer“ wie das Sportdorf Deetz, indem nicht nur jeder Bewohner Mitglied im Fußballverein ist, sondern zum Fußballplatz auch geht, um dort Kaffe und Kuchen mit anderen zu genießen. Das sind Ergebnisse von „Zugpferden“, von Persönlichkeiten mit ausgeprägten organisatorischen, fachlichen und sozialen Kompetenzen.

Tiere, Fleisch und Streuobst
Beate Kitzmann, Geschäftsführerin des Fördervereins Naturschutzstation Malchow zeigte dann, dass lebendige Dörfer auch in der Metropole Berlin möglich sind. Der Nordosten Berlins ist allerdings auch mit Naturschutzgebieten wie den Falkenberger Krugwiesen, der Lietzengrabenniederung und den Falkenbergern Rieselfeldern gesegnet. Trotzdem muss man die, auch zu nutzen verstehen. Der 1992 gegründete Förderverein weiß es - zwischen geschlossenen Wohnkomplexen und erhaltenswerten Naturarealen.
Eines der vielen Projekte ist die Erhaltung des alten Streuobstbestandes im Berliner Nordosten. Die bisherige Rekordernte wurde im Jahr 2001 mit 13 Tonnen Streuobst eingefahren, die als regionaler Obstsaft gleich ihre Abnehmer findet. Hilfreich ist dabei der Bekanntheitsgrad, der mit einer umweltorientierten Zeitung sechs mal im Jahr als Beilage eines Anzeigenblattes 230.000 Leser erreicht. Was die Malchower noch auszeichnet, ist die Pflege und Zucht der so genannten Heckrinder, die auf die Auerochsenrückzüchtung der Gebrüder Heck zurückgehen und die Wiesen zwischen den Obstbäumen pflegen.

Urbane Landwirtschaft
Und es geht mit den Dörfern in der Stadt noch weiter. Seit vielen Jahren „schrumpfen“ auch die Städte und generieren neue Probleme. Brachflächen und Gebäudeleerstand signalisieren verloren gehende Funktionen und sinkende Lebensqualität, beschreibt Dr. Felicitas Fuhrmann vom Institut für Agrar- und Stadtökologie an der HU Berlin. Die Flächen werden aber von engagierten Menschen wieder nutzbar gemacht und auf ihnen werden Agrargüter innerhalb von Stadtgrenzen bis hinein in die Innenstadt produziert. Was in Berlin bis in die 1970er Jahre noch vereinzelt in den Höfen praktiziert wurde, wird mit dem neuen Beruf des Stadt-Landwirts neu entwickelt. Dabei spielen niedrige Transport- und Lagerkosten die wichtigste ökonomische Rolle, die Betriebe auch rentabel zu gestalten. Während in den Entwicklungsländern die Landwirtschaft in der Stadt den Charakter der Subsistenzwirtschaft trägt, stehen in Westeuropa und Nordamerika therapeutische Ziele wie bei den Kinderbauernhöfen im Vordergrund. Aber nicht nur. Eine der berühmtesten Stadthöfen in England ist die Hackney City Farm in East London, die vor rund 11 Jahren gegründet wurde. Neben dem reichhaltigen Angebot an Schweinen, Gänsen, Enten und Truthähnen gibt es mittlerweile auch ein Restaurant und einen Cateringservice.
Die meisten Betriebe sind kleiner als ein Hektar und pflegen zu drei Viertel Grünland. In europäischen Großstädten breiten sich immer mehr interkulturelle Gärten als Zwischennutzung im Rahmen des Stadtumbaus aus. Oder sie dienen als Treff- und Verwurzelungspunkt für Migranten oder zur Selbstversorgung mit ökologischen Lebensmitteln. Der „Grüne Bogen“ in Leipzig Ost, Heiterblickallee, ist mit weidenden Heckrindern ein Zwischennutzungsmodell. In Zürich produzieren acht städtische Landwirte „Züricher Brotweizen“ und haben Kooperationsverträge mit lokalen Bäckern abgeschlossen. Das Züri-Chorn-Brot wird gerade zur Regionalmarke ausgebaut.

„Ursprünglich hat der ehemalige Vorsitzende der Arbeitsgruppe Kultur im Stadtmarketing, Dr. Strauch, das Projekt „Internationale Gärten“ bei der Stadt Aurich angeregt, um ausländischen Mitbürgern Gelegenheit zu verschaffen, Gemüse und Kräuter ihrer Heimat anzubauen“. Bei der Sanierung des Kreiskrankenhauses fanden die alten Fenster als Abdeckung der Frühjahrsbeete eine neue Verwendung und mittlerweile wird der produzierte Überschuss über einen kleinen Verkaufsstand und auf dem Wochenmarkt angeboten. Mong To ist den Aurichern mittlerweile als vietnamesischer Spinat ein Begriff.
nach: Profil 1 / 2002 des IVA

Märkische Grenzen
Neue Förderinstrumente haben Berlin und Brandenburg jetzt zur Genehmigung gemeinsam nach Brüssel geschickt, verkündete Klaus Richter vom Referat „Ländliche Entwicklung“ des Landwirtschaftsministeriums in Potsdam. Brandenburg legt den Förderschwerpunkt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und fördert die Diversifizierung außerhalb des Agrarsektors. Klaus Richter macht kein Hehl daraus, dass die Brandenburger die Berliner zu Gast „auf der Fläche“ haben wollen. Die Skaterbahn im Fläming sowie Tourismus insgesamt soll den Dörfer auch in der Peripherie ein Einkommen sichern. So können im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) auch nicht-investive Maßnahmen wie Seminare und Marktforschung unterstützt werden. Es ist aber nicht nur das Geld, welches allgemein weniger wird, sondern beide Bundesländer leiden auch an einem hausgemachten Problem, dass die Landesgrenze eine gemeinsame Förderung, wie sie beispielsweise in der Rhön sogar Bayern, Hessen und Thüringen vereint, verweigert.

Die wichtigste Triebfeder
Mecklenburg-Vorpommern hatte in dem Projekt „Das soziale und aktive Dorf“ bei sich untersucht, was erfolgreiche Dörfer auszeichnet und hinter der Kapitalausstattung bereits auf die Notwendigkeit des bürgerlichen Engagements hingewiesen. So wird es auch den märkischen Dörfern in und außerhalb der Stadt mit oder ohne medialer Würdigung nicht anders ergehen: Letztlich müssen die Ideen gelebt, die Gelder sinnvoll investiert und Erfahrungen ausgetauscht werden.

Anleitung zur Selbstbewertung:
Das Hessische Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz hat Anfang Mai die Arbeitshilfe „Anleitung zur Selbstbewertung dörflicher Aktivitäten“ erstellt, die als Broschüre mit eingelegter CD die Möglichkeit eröffnet, „das gemeinsame Handeln im Dorf zu bewerten“. Der Test wurde aus der Praxis für alle Stadt- und Ortsteile entwickelt, „in denen bürgerschaftliche Initiativen sich das Ziel gesetzt haben, mit ihren Projekten zu einer ganzheitlichen und nachhaltigen Entwicklung des Ortes beizutragen“, heißt es aus Wiesbaden.
Elf Handlungsfelder bieten die Möglichkeit, die Ergebnisse zu diskutieren und Erfolgsfaktoren aus dem Wettbewerb „Unser Dorf“ in Hessen abzuleiten. Die Selbstbewertung soll Stärken und Schwächen bestimmen helfen. Die Broschüre gibt es beim Regierungspräsidium Kassel, Steinweg 6, 34117 Kassel.
roRo

Agrarsoziologe Prof. Kurt Krambach, Leiter des Gesprächkreises „Ländlicher Raum“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung verwies auf der Tagung auf die Europäischen ländlichen Parlamente. Seit den 1970er Jahren treffen sich Dörfer in Finnland und seit den 1980er Jahren in Schweden zu „Nationalversammlungen der Dörfer“. 2006 gab es in Schweden bereits das 9. Parlament an dem über 1.000 Dörfer teilgenommen haben. Das sind Arbeitstreffen für den Erfahrungsaustausch und kulturelle Ereignisse, die mit einem Abschlussbericht enden. Das sind Dorfaktionsbewegungen unterhalb der kommunalen Ebene die bereits einfache Wahrheiten aufgestellt haben: Ein Dorf bleibt dem Charakter nach ein Dorf. Die Orientierung der Ideen fokussiert sich auf den Faktor Arbeit und es werden zunächst „endogene Potenziale erschlossen“ bevor finanzielle Hilfe eingefordert wird. Das bedeutet: Zunächst die eigenen Ressourcen ausloten und Möglichkeiten einschätzen.

Forderungen an die Politik
Die Naturschutzstation Malchow erarbeitet aus der Tagung heraus gerade einen Forderungskatalog an die Politik. Darin werden beispielsweise die Punkte zu lesen sein, dass kreislaufwirtschaftliche Aspekte in der Region gefördert, dass Berlin und Brandenburg länderübergreifende Projekte zulassen müssen und das im Rahmen des Tags der Regionen ein „Tag der Dörfer“ begangen werden soll.

Lesestoff:
Eine Zusammenfassung der Studie „Lebendige Dörfer in Brandenburg“ kann unter www.la21bb.de eingesehen werden.
Der DVL hat auf seiner Homepage unter „Publikationen“, „Bücher“ den „Leitfaden für eine naturverträgliche Regionalentwicklung“ bereitgestellt: www.lpv.de
Die Naturschutzstation Malchow mit allen Projekten und Terminen kann unter www.naturschutzstation-malchow.de besucht werden.
Zu den Stadtlandwirten empfehlen sich beispielsweise die Seiten www.hackneycityfarm.co.uk; www.stadt-zuerich.ch/landwirtschaft und für viele Berliner Beispiele die Seite www.urbanacker.net.
Die Dorfparlamente sind nur auf schwedisch unter www.bygde.net zu erreichen. Eine Studie von Prof. Krambach kann unter www.rosalux.de/cms/index.php?id=3362 abgerufen werden.
Der letzte Bericht auf Herd-und-Hof.de von Philipp Goßler über die ländliche Entwicklung mit weiteren Links war der Beginn der rheinland-pfälzischen Konferenzreihe.

Roland Krieg

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