Eier ohne Kükentöten
Landwirtschaft
Töten von männlichen Küken nur noch im Übergang erlaubt
Männliche Küken von Hochleistungslegerassen lassen sich nicht mästen und als Hähnchenfleisch verkaufen. Lege- und Schlachtleistung beeinflussen sich genetisch gleichzeitig negativ.
Rund 45 Millionen männliche Küken werden derzeit nach dem Schlupf geschreddert. Das Tierschutzgesetz verbietet das Töten ohne vernünftigen Grund.. Zwei Brütereien hatten 2013 gegen einen Landeserlass von NRW geklagt, der ihnen das Kükentöten verbieten wollte.
Am Donnerstag beschäftigte sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Thema und bestätigte, dass Tieren nach § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes nicht ohne vernünftigen Grund Leid zugefügt werden darf. „Im Lichte das im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommene Staatsziel Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund“, heißt es aus Leipzig.
Die Belange des Tieres wiegen schwerer als die wirtschaftlichen Belange des Unternehmens. Im Gegensatz zu Schlachttieren werden die männlichen Küken frühestmöglich getötet. Damit stünde ihre „Nutzlosigkeit“ schon vorher fest.
Mit Blick auf die Möglichkeiten der Geschlechtererkennung im Ei gesteht das Bundesverwaltungsgericht dem Ende des Kükentötens eine Übergangszeit zu, die aber nicht terminiert ist.
Standortbestimmung der Verfahren
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner begrüßt das Urteil: „Ethisch ist es nicht vertretbar, diese Praxis muss so schnell wie möglich beendet werden.“ Neben der Möglichkeit, Bruderhähne zu züchten, für das vom Ministerium rund zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, verweist sie auf die schon bestehenden Alternativen eines endokrinologischen und eines spektroskopischen Verfahrens. Das endokrinologische Verfahren zur Geschlechterbestimmung im Ei bereits im Einsatz und auf dem Weg zur Serienreife. Hierbei werden die Eier etwa neun Tage lang bebrütet. Dann wird von jedem Ei etwas Flüssigkeit gewonnen, ohne dass das Ei-Innere berührt wird. An diesen Proben wird das Geschlecht mit einem biotechnologischen Nachweisverfahren innerhalb kurzer Zeit bestimmt. Nach unserer Kenntnis schlüpfen mit Hilfe dieses Verfahrens derzeit 30.000 Gebrauchslegeküken pro Woche. Eine weitere Möglichkeit ist das spektroskopischen Verfahren. Hier werden die Eier etwa vier Tage lang bebrütet. Dann wird ein spezieller Lichtstrahl in das Ei-Innere geschickt. Das Geschlecht wird durch eine Analyse des reflektierten Lichts bestimmt.
Reaktionen
Martin Häusling von den Europäischen Grünen kritisiert die Übergangszeit und Züchtungspraktiken: „Ich bedaure, dass das Gericht die wirtschaftlichen Interessen der Massentierhaltung über das Staatsziel Tierschutz stellt. Tiere sind keine Massenware, die nach Bedarf weggeworfen werden kann. Wir Grünen/EFA werden weiterhin dafür kämpfen, dass Tierwohl vor Profit steht, in ganz Deutschland und in der ganzen Europäischen Union. Tiere dürfen nicht mehr einseitig auf Leistung gezüchtet werden. Langlebigkeit und Robustheit müssen die Hauptkriterien sein. Bei Geflügel müssen wir zum Zweinutzungshuhn zurück.“
Der agrarpolitische Sprecher der SPD, Rainer Spiering sieht die Bundesregierung weiter in der Pflicht, weil es trotz Alternativen noch keine Fristsetzung gibt. Die Vermeidung eines Datums zeige eher, dass die vorhandenen Möglichkeiten noch nicht praxisreif seien. „Es ist endlich an der Zeit, dass dieser langanhaltende Tierschutzverstoß der Vergangenheit angehören soll, zumal dies sowohl im Koalitionsvertrag als auch in einem ergänzenden Entschließungsantrag seitens der SPD gefordert und vereinbart wurde. Die SPD-Bundestagsfraktion ist nicht bereit, eine erneute zeitliche Verschiebung zu dulden, nur weil Brütereien sich nicht schnell genug auf ein Ende des Kükenschredderns eingestellt haben. Wir brauchen einen konkreten Zeitpunkt und Vorgaben von der Bundeslandwirtschaftsministerin, wie genau der Umstellungsprozess gestaltet werden soll.“
Kritik gibt es auch von Tierschutzverbänden. Da die Alternativen noch nicht praxisreif sind, dürften die Brütereien weiter machen, kommentiert „Vier Pfoten“. Die Übergangszeit bremse die Bemühungen für die Zucht auf ein Zweinutzungshuhn aus.
Agrarexpertin Katrin Wenz vom BUND fordert die Bundesregierung konkret auf, „die notwendigen Forschungs-, Beratungs- und Umbaufördermittel bereitzustellen.“
Mit Blick auf den Begriff „Übergangszeit“ stellt auch NRW-Ministerin Ursula Heinen-Esser Forderungen an die Bundesregierung auf und sieht die Geflügelwirtschaft in der Pflicht: „Ich erwarte daher, dass angesichts des erheblichen technischen Fortschritts das Bundeslandwirtschaftsministerium schnellstmöglich die Rahmenbedingungen fördert, das Töten männlicher Küken zu unterbinden. Gemeinsames Ziel aller Beteiligten muss ein Ausstieg aus der Kükentötung sein. Die Wirtschaft soll schnellstmöglich auf tierschützende Praktiken bei der Legehennen-Erzeugung umsteigen. Die Methoden zur frühzeitigen Geschlechtsbestimmung im Ei stehen kurz vor der Marktreife, sind also sehr zeitnah umsetzbar.“
Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast hat sich bereits technologisch positioniert: „Niedersachsen hält das sogenannte spektroskopische Verfahren, mit dem bereits wenige Tage nach der Befruchtung des Eies die Geschlechtsbestimmung erfolgen kann, für den aus Tierschutzsicht sinnvollen Weg. Das sogenannte endokrinologische Verfahren, das frühestens neun Tage nach der Befruchtung eingesetzt werden kann, greift hingegen zu spät ein und wird von Tierschutzexperten daher abgelehnt.“ Seit 2011 dürfen Tiere in Niedersachsen nicht mehr getötet werden, um sie in Tierkörperbeseitungsanlagen zu entsorgen. Per Erlass für die Übergangszeit wirtschaftlicher Verfahren der Geschlechtererkennung, dürfen die männlichen Küken nach Betäubung als Ersatz für Futtertiere wie Mäusen in Zoos und Falknereien eingesetzt werden.
Übergangsfrist
Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZVG) begrüßt das Urteil im Zusammenhang mit der Übergangszeit. „Wir wollen lieber heute als morgen aus dem Kükentöten aussteigen“, sagte ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. Der ZVG will zwar ebenfalls keinen Termin markieren, benennt aber die Parameter für die „wirtschaftliche Praxisreife“. Die Technik muss flächendeckend allen Brütereien zur Verfügung stehen, die Technik muss eine Sortierkapazität vom etwa 100.000 Eier am Tag haben und eine Genauigkeit von mindestens 95 Prozent aufweisen. Die Schlupfrate der gewünschten weiblichen Hennen darf nur minimal geringer werden. Diese Voraussetzungen seien aber bei den heute bekannten Verfahren nicht gegeben. Aktuell produzieren 47 Millionen Legehennen pro Jahr rund 14 Milliarden Konsumeier. Der Durchschnittsdeutsche verzehrt pro Jahr 235 Eier. Der Selbstversorgungsgrad liegt bei nur 69 Prozent.
Lesestoff:
BVerwG 3 C 28.16 vom 13. Juni 2019
Remmel-Erlass: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/nrw-erlass-gegen-kueken-toeten.html
Bruderhahn: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bruderhahn-eier-ohne-kuekentoeten.html
„respeggt“-Freilandeier: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/stopp-des-kuekentoetens.html
Roland Krieg