Ein „Blaues Band“ für den Hochwasserschutz

Landwirtschaft

NABU fordert ganzheitliches Hochwasserschutzkonzept

Die Menschen leiden noch immer unter dem Juni-Hochwasser, das erneut als Jahrhundertflut eingeordnet wurde. Hab und Gut sind von den Wassermassen zerstört worden, Häuser müssen saniert werden und die Ackerbauern können auf den teilweise noch immer unter hohem Wasserstand leidenden Flächen keine Herbstaussaat ausbringen. Die Folgeschäden für 2014 sind in dem vor einem Monat beschlossenen Aufbauhilfegesetz und Fluthilfe von acht Milliarden Euro noch nicht einmal enthalten [1].

Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (NABU), kritisierte die Bundesregierungen, Konsequenzen aus der Jahrhundertflut aus dem Jahr 2002 nur teilweise umgesetzt zu haben. Tschimpke forderte mit dem „Blauen Band“ einen neuen ganzheitlichen Ansatz für den Schutz vor Hochwasser. Begleitet wurde Tschimpke von der Breakdance-Crew Flowjob aus Magdeburg. Die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts entging nur knapp einer Katastrophe, weil die Wassermassen aus der Saale den Deich bei Klein Rosenburg durchbrachen – was zu bösem Blut im Elbe-Saale-Winkel führte. Die Menschen argwöhnen, dass nicht alles getan wurde, den Deich zu retten, um Magdeburg vor der Überflutung zu schützen [2].

Die neuen Deiche hatten gehalten, betont Dr. Hermann Onko Aeikens, Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt, das mit 115.000 Hektar überfluteten Flächen am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Für Olaf Tschimpke ist das trügerische Sicherheit. Denn neue Deiche führen Wasser nur schneller an die Unterlieger ab. Es gibt mehr zu tun zwischen Regenwolken und Mündung des Stroms, um das Wasser im Zaum zu halten. „Ein Fluss braucht Platz“, heißt die Devise des NABU, der für den künftigen Hochwasserschutz mehr Renaturierungen und Auen in einem Bundesprogramm „Blaues Band“ einfordert. Zwei Drittel der Flussabschnitte in Deutschland sind eingedeicht und bieten dem Wasser keinen Raum, wenn es eng wird. Polder, wie an der Havel, sind zwar in der Lage Hochwasserscheitel zu minimieren, doch reiche das nicht. Zum umfassenden Hochwasserschutz gehört auch die Einbeziehung der Nebenflüsse, sagt Tschimpke zu Herd-und-Hof.de.

Vor dem Hintergrund der Flutschäden 2013 müssen die Leistungen der vielfach ungeliebten Auen gegengerechnet werden. Die Auen an den 79 größten Flüssen Deutschlands besitzen ein Gesamtpotenzial für den Rückhalt von 42.000 Tonnen Stickstoff und 1.200 Tonnen Phosphor pro Jahr. Diese Reinigungsleistung dürfe mit 500 Millionen Euro im Jahr verrechnet werden. Der Hochwasserschutz ist in die Wasserrahmenrichtlinie der EU eingebunden, die ökologische Gewässer einfordert.

Die Landwirte fürchten den hohen Wasserstand, der Hochwasserspitzen nicht mehr aufnehmen kann. Nach Angaben des NABU ist das falsch. Auen und Altarme verringern Spitzen und reduzieren die Geschwindigkeit von Hochwasserwellen. Die hohen Pegelstände 2013 wären in einem intakten flächendeckenden Gesamtkonzept des Hochwasserschutzes geringer ausgefallen.

Demzufolge ist Hochwasserschutz nicht mehr nur Aufgabe der Länder. Gefragt ist die Kooperation mit dem Bund. Tschimpke kritisiert, dass viel Geld für den Hochwasserschutz aber aus dem Umweltschutz kommt.

Der Havelpolder dient als positives Beispiel, der im Juni 2013 dem Hochwasserscheitel rund 32 Zentimeter genommen hat. Alleine das Deichvorland von 10.000 Hektar kann 160 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen. Die Polderflächen hinter dem Deich sind genauso groß und können weitere 125 Millionen Kubikmeter aus dem Fluss nehmen.

Der NABU ist an dem Polder der Unteren Havelniederung beteiligt gewesen. Die naturnahen Ufer und natürlichen Strukturen im Fluss führen nach einer Überflutung auch zu einer schnelleren Wiederbesiedlung. Wochenlanges Stauwasser führt zu einem Sauerstoffmangel im Boden und Absterben der Mikrofauna und Flora.

Die Forderung nach mehr Auen stößt in der Landwirtschaft auf Widerstand. Der Landesbauernverband Brandenburg hat die Parole „Polder statt Auen“ ausgegeben. So einfach ist das nach Tschimpke nicht. Jeder Flussabschnitt hat seinen standortangepassten Hochwasserschutz. Die Landwirtschaft gehört als Flächennutzer dazu und muss für vorbeugenden Hochwasserschutz großzügig entschädigt werden. Gegenüber Herd-und-Hof.de räumt der NABU-Präsident mit einem Missverständnis auf: Der NABU hat nie von einer Enteignung von Flächen gesprochen. Die Havelpolder seien ein Modellprojekt, das Schule machen sollte.

Ursachen für fehlgeleiteten Hochwasserschutz ist auch die fehlgeleitete Verkehrsinfrastruktur der Bundesregierung. Die Modernisierung der Bundeswasserstraßen ist mangels Finanzierung lückenhaft. Die einzelnen Abschnitte müssen auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen hin überprüft und bei geringem Bedarf renaturiert werden. Verkehrswege wie der Rhein stehen dabei nicht zur Disposition, betont Tschimpke gegenüber Herd-und-Hof.de. Mit der Kritik stellt sich der NABU aber auch gegen die Industrie, die den mangelhaften Ausbau und Unterhalt des Wasserstraßennetzes bemängelt. Dem Verkehrsministerium wirft Tschimpke vor, keine Signale für eine nachhaltige Infrastruktur zu setzen. Es müssten viel mehr Güter auf die Schiene gesetzt werden. Auch da gibt den Flüssen mehr Raum.

Lesestoff:

[1] Bundeskabinett beschließt Aufbauhilfegesetz

[2] Nach der Flut: Reise in den Elbe-Saale-Winkel

Roland Krieg (Fotos: roRo; Fotos in Druckqualität auf Anfrage)

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