Ein Kontinent verändert sich
Landwirtschaft
Der Vertrag mit Afrika
Jahrzehntelang haben Milliarden an internationaler Hilfe die Länder in Afrika nicht so weit gebracht wie die Länder in Südamerika und in Südostasien. Seit Jahren wird darüber diskutiert, wie die Entwicklung des Kontinents vorangebracht werden kann. In den letzten Jahren verändert sich Afrika und die G20-Länder verfolgen seit dem letzten Jahr mit dem „Bündnis mit Afrika“ (Compact with Africa) ein neues Modell. „Eine moderne Entwicklungspolitik“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag in Berlin sagte.
Dutzende afrikanischen Regierungschefs, die Kanzlerin und Entwicklungsminister Gerd Müller besprachen auf Einladung des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft und der Subsahara Afrika Initiative (SAFRI) von Handelskammer und Exportwirtschaft das im letzten Jahr von den G20-Ländern gegründete Modell. Die klassische Entwicklungshilfe habe bislang kaum etwas erreicht, erklärte Merkel. Jetzt geht es um Reformpartnerschaften in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.
Das Modell legt das bisherige einseitige Geben ab und fördert die Länder, die sich mit Reformen für privates Kapital öffnen und selbst bestimmen, welche Hilfe sie benötigen. Standortangepasst. Da die öffentlichen Gelder für die großen Aufgaben nicht reichen, will die Politik vermehrt privates Kapital einbeziehen.
Die Sicht Afrikas
Wenn die Europäer Afrika sagen, verbinden sie 53 souveräne Staaten zu einem Kontinent. In den letzten Jahren haben sich die einzelnen Länder sehr unterschiedlich entwickelt. Nach Hans Peter Lankes von der Weltbank hat der Verfall der Rohstoffpreise besonders die fragilen Staaten in einen Abwärtstrend sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Natur gezogen. Auf der anderen Seite gibt es afrikanische Länder, die prosperieren und hohe Wachstumsraten aufzeigen. Dort gibt es bereits eine Menge kleinerer und mittlerer Firmen, die Fertigungsprozesse für verarbeitete Waren aufgebaut haben. „Fertigung ist abhängig vom Handel“, erklärt Lankes. Entgegen dem Trend sinkender ausländischer Direktinvestitionen, können die Länder des Compact with Africa steigende Investitionen verzeichnen. Afrika wird lokaler und die Außenhandelsmuster verändern sich. Die bisherige Fragmentierung der Politik, des Handels und der Infrastruktur hemmt die Entwicklung, wie die UN-Organisation für Handel und Entwicklung noch vor einigen Jahren detailliert aufführte [1].
Die Selbstbesinnung auf den eigenen Aufbau entspricht den Wünschen des ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo. Die Afrikaner wollen keine Almosenempfänger sein, unterstrich er in Berlin. Seinen Worten nach solle sich die Entwicklungshilfe in Richtung Handel und Investment ausrichten. Die Verbesserung der Makroökonomie stimuliert die Wirtschaft, setzt Anreize für Investitionen und schaffe dadurch die dringend benötigten Arbeitsplätze. Die Politik müsse den privaten Sektor ermutigen, damit die afrikanischen Firmen national und international wettbewerbsfähig werden. Akufo-Addo freut sich auf ein neues Fertigungswerk von VW, Siemens will in Ghana eine Basis für Westafrika aufbauen. Der Präsident weiß aber auch, was die Voraussetzung dafür ist. „Wir wollen in Frieden wachsen!“.
Daher ist es mit Ländern, die keinen Frieden und viel Korruption haben, so eine Sache. Sie gehören nicht zu den Compact-Ländern. Die Bundesrepublik hat zuletzt Kenia wegen anhaltender Korruption Gelder gestrichen [2]. Sind also die elf Compact-Länder privilegiert [3]? Sicherlich. Sie machen sich auch privilegiert. Tunesiens Finanzminister Mohamed Ridha Chalghoum weiß, dass der öffentliche Sektor alleine für die Entwicklung nicht ausreicht. Um aber privates Kapital zu erhalten, hat sich das nordafrikanische Land Wachstumsziele gesteckt, will die Staatsverschuldung zurückfahren und Investitionsfreiheit einführen. Die Haushaltsdefizite in Afrika sind für Marokkos stellvertretenden Außenminister Mohcine Jazouli durchaus ein Problem. Marokko bietet sich wegen seiner strategischen Lage als Partner für Europa und China an und will ein Tor zum südlichen Afrika werden. Sonderwirtschaftszonen sehen heute anders als in der Vergangenheit aus. Heimische Firmen sind daran beteiligt. Aber das Werben für ausländisches Kapital führt auch zu Restriktionen, wie Entwicklungsminister Abdoulaye Bio Tchané aus Benin sagte: Die Regierung hat die Streiktage auf zwei pro Monat und zehn pro Jahr begrenzt. Dennoch sucht sein Land vermehrt Handelsabkommen mit den Nachbarstaaten für die regionale Integration.
Für Paul Kagame, Vorsitzender der Afrikanischen Union, vollziehen sich wichtige Veränderungen auf dem Kontinent. Die Länder suchen mehr Integration und setzen Reformen um. Sie geben mehr Geld für die eigene Entwicklung aus. Freizügigkeit des Personenverkehrs und Freihandelszonen sind „historische“ Veränderungen. Genau das befördert die Comapct with Africa-Initiative. Das werde über die beteiligten Länder einen Beispieleffekt für die Nachbarn haben.
Wenn die Länder zusammen mit den G20-Staaten gemeinsam an einem Strang ziehen, gibt es neue Perspektiven, ist sich Matamela Cyril Ramaphosa, stellvertretender Vorsitzender der G20-Beratungsgruppe für Afrika, sicher. Gegenüber den Vorläufer-Strategien der Industrialisierung oder dem Energiezugang für Alle verleihe das Afrikabündnis neue Impulse und messbare Effekte. „Afrika ist für Geschäfte offen!“. In den nächsten fünf Jahren erwartet Ramaphosa den Zufluss von 100 Milliarden US-Dollar.
Pilotprojekte
Die in Berlin vorgestellten Pilotprojekte haben einen Umfang von rund 500 Millionen Euro. Neben „Moving Ruanda“ [4] modernisiert die HL Hamburger Leistungsfutter GmbH in Ghana ein Futtermittelwerk für heimische Futtermittel wie Palmkernkuchen oder Maniok. Geschäftsführer Jens Reimann will mit modernster Technik das Futter ohne chemischen Aufschluss für die Nutztiere verbessern und über die Futtermittelqualität auch die Lebensmittelqualität in Ghana steigern. Das Hamburger Knowhow sei für die ghanaischen Landwirte von großem Nutzen, wenn auch die Herausforderungen für den Produktverkauf und die Beratung groß seien.
Mehr Mittelstand
Angela Merkel hat einen Entwicklungsfonds für kleine und mittlere Unternehmen in Europa und Afrika angekündigt. Rund eine Milliarde Euro sollen in den nächsten drei Jahren von Deutschland nach Afrika fließen [5]. Ausformuliert ist das Entwicklungsinvestitionsgesetz noch nicht. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) könnte, so eine ausführliche Antwort auf eine Anfrage der FDP, ein Gesetz aus der Vergangenheit reaktivieren. Zwischen 1963 und 1981 konnten Unternehmen, die in Entwicklungsprojekte investieren, steuerliche Sonderabschreibungen geltend machen. Die Senkung der Körperschaftssteuer um einen Prozentpunkt würde heute aus Deutschland Gelder zwischen 660 und 1.980 Millionen Euro frei machen. Generell arbeitet die Bundesregierung an Doppelbesteuerungsabkommen, die derzeit mit 13 afrikanischen Staaten gelten. Die Bereitstellung privaten Kapitals könne durch Risikokapital-, Private-Equity- oder Venture-Capital-Fonds gewährleistet werden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) sind bereits in verschiedenen Fonds für den Mittelstand beteiligt. Wenn also Dr. Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft eine neue Risikoverteilung und neue Finanzierungsinstrumente fordert, steht ihm bereits eine Angebotspalette zur Verfügung. Offenbar zieht es die Firmen nicht Afrika. Die afrikanischen Regierungschefs sind seit Montag in Berlin und treffen sich auch heute noch zu weiteren Konsultationen. Die Größe der Konferenz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bislang nur wenige deutsche Firmen in Afrika investieren. Das liegt auch daran, dass die G20-Initiative mehr eine G1-Aktion ist. Der entwicklungspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Uwe Kekeritz kritisiert, dass Deutschland bisher als einziges Land bilaterale Partnerschaften eingegangen ist.
Auf der Suche nach Balance
„Das ist ein ganz wichtiger Schritt, den wir heute machen“, sprach Entwicklungsminister Gerd Müller. Mit zwei Milliarden neuen Erdenbürgern bis 2050 steht der Kontinent vor großen Herausforderungen. Die kann auch Deutschland nicht alleine reißen. Müller kritisiert daher nicht nur Deutschland, das gerade einmal ein „paar Milliönchen“ in den Haushalt stellt. Auch Brüssel bekommt sein Fett weg. Derzeit wird der Afrikatitel im EU-Haushalt nur um eine auf sechs Milliarden Euro bis 2027 erhöht. Die EU dürfe nicht so zaghaft auf Afrika zugehen, sagt Müller.
Der deutsche Investitionsfonds wird sich an Darlehen und Beteiligungen bis zu vier Millionen Euro beteiligen. Bis zur Obergrenze von 750.000 Euro ist eine Kofinanzierung bis 50 Prozent möglich.
Müller steht vor dem gleichen Dilemma wie alle seine Vorgänger. Europäische Verbraucher bezahlen für ein Kilo Kaffee etwa sechs Euro. Davon kommen lediglich 50 Cent beim afrikanischen Landwirt an. „Wir müssen die Situation umdrehen“, fordert er. Die Landwirte in den Ländern sollen nicht nur Rohmaterialien, sondern verarbeitete Produkte auf den Markt bringen. Im Bereich der Energie, dürfen die Länder nicht nur an die großen Energieanlagen, sondern auch an den „Solarkoffer“ für den Nachbarn denken. An dieser Ausbalancierung sind schon viele Projekte gescheitert. Die einen benachteiligen die Kleinbauern und den Mittelstand, die anderen haben keine Breitenwirkung.
Was hilft wirklich?
Der entwicklungspolitische Sprecher Christoph Hoffmann von der FDP spricht vom Frust in Afrika, weil außer leeren Versprechen noch immer nichts geschehen sei. Hoffmann setzt auf privates Kapital, für das die afrikanischen Länder ihre Rahmenbedingungen anpassen müssen. Das gelte aber auch für die deutschen Unternehmen, die am Ende das Geld bereits stellen sollen. Im digitalen Zeitalter will die FDP Direktzahlungen von einem deutschen Fonds auf ein afrikanisches Smartphone überweisen.
Auch die soziale Marktwirtschaft kennt nicht nur Gewinner. Sensibel wird es, wenn die Verlierer schon arm sind und hungern. Die Balance zwischen Hilfe und Wirtschaft kennt keinen Königsweg. Gerd Müller weiß, das Compact with Africa nur ein Baustein ist. Der faire Handel gehört genauso dazu, wie die Wahl der deutschen Konsumenten bei ihrem Konsum.
„Die Compacts bergen durch den Fokus auf Privatinvestitionen die Gefahr, das Gemeinwohl zu vernachlässigen“, sagte Uwe Kekeritz über den Wirtschaftsgipfel Afrika. Doch: Welches neue Beispielmodell hat aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahrzehnten eine Breitenwirkung der Entwicklung in Afrika hervorgebracht, will Herd-und-Hof.de wissen:
Uwe Kekeritz: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Ansätze zur Hungerbekämpfung immer dort erfolgreich waren, wo das lokale Wissen der Kleinbauern mit in die Strategien integriert wurde. In der Regel braucht es keine hochtechnisierten Anbaumethoden, die in erster Linie auf Ertragssteigerung setzen. Wie das Beispiel des burkinischen Kleinbauers Yacouba Sawadogo zeigt, der jüngst für seine Anbautechnik, mit der die kargen Böden wieder fruchtbar werden, mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Umsetzungsorganisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit versuchen bereits verstärkt lokales Wissen in ihre Ansätze aufzunehmen. Da gibt es aber in jedem Fall noch Luft nach oben. Zumal die Agrarindustrie durchaus auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Politikansätze im Bereich der Hungerbekämpfung hat.
HuH: Mit Blick auf die ökologische Landwirtschaft in Afrika zeigt sich jedes Jahr auf der BioFach in Nürnberg, dass 90 Prozent des Umsatzes des globalen Handels mit Ökoprodukten in den USA und der EU verbleiben. Wenn ein Ökolandwirt statt ehemals 2,00 US-Dollar am Tag jetzt drei US-Dollar am Tag durch faire Preise verdient, aber weiterhin auf 1,5 ha landwirtschaftlicher Fläche wirtschaftet, sind damit die Gründe für eine Aufgabe des Hofes und eine Migration in die Stadt beseitigt?
Uwe Kekeritz: Natürlich werden die Umsatzsteigerungen durch faire Handelsbeziehungen allein nicht alle Probleme lösen können. Sie sind allerdings ein wichtiger Startpunkt zur Etablierung höherer Einkommen für die ländliche Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent. Zumal über faire Handelsbeziehungen zwischen Afrika und Europa die Möglichkeit besteht, dauerhafte und zuverlässige Absatzmärkte für afrikanische Produkte zu etablieren. Hinzu kommt, dass die Handelsbeziehungen so ausgestaltet werden müssen, dass Sie den Aufbau von Wertschöpfungsketten fördern. So können neue Jobs geschaffen und höhere Einkommen generiert werden. Genossenschaften aber auch Abnahmekooperativen könnten dann dabei helfen, dass verarbeitete Produkte und nicht nur Rohmaterialen exportiert werden. Denn allein die Zollunterschiede bei Rohstoffen wie Kakao und Kaffee im vgl. zu Produkten nach der ersten Verarbeitungsstufe führen dazu, dass es für Bauern in den Anbauländern sehr viel schwieriger ist höhere Umsätze zu generieren.
HuH: Vielen Dank für die Antworten.
Lesestoff:
[1] Defizite der inneren Entwicklung Afrikas: https://herd-und-hof.de/handel-/afrika-armut-im-ueberfluss.html
[2] Weniger Finanzhilfe für Kenia: https://herd-und-hof.de/handel-/wegen-korruption-weniger-entwicklungsgelder-fuer-kenia.html
[3] Ägypten, Äthiopien, Benin, Elfenbeinküste, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Senegal, Togo und Tunesien
[4] Mobilität in Ruanda: https://herd-und-hof.de/handel-/moving-rwanda.html
[5] Exportmodell Mittelstand erreicht Indien: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/make-in-india-mittelstand.html
Investitionen in Afrika neu denken: https://herd-und-hof.de/handel-/investitionen-in-afrika-neu-denken.html
Von der Bekämpfung von Fluchtursachen zur Rückkehrpolitik? https://herd-und-hof.de/handel-/von-der-fluchtursachen-bekaempfung-zur-rueckkehrpolitik.html
Roland Krieg